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Studienfächer erklärt Was ich als Erstsemester gern über Ethik gewusst hätte

Weniger Jesus, mehr Kant? Ethikunterricht an Schulen wird immer beliebter. Eine Lehramtsstudentin erzählt, was man mitbringen muss, um Kindern kritisches Denken zu vermitteln – und was sich am Studium ändern sollte.
Aufgezeichnet von Veronika Silberg
Wie der Ethikunterricht gestaltet ist, variiert von Bundesland zu Bundesland (Symbolbild)

Wie der Ethikunterricht gestaltet ist, variiert von Bundesland zu Bundesland (Symbolbild)

Foto: Yaroslav Danylchenko / Stocksy United

Der gesellschaftliche Rückhalt der christlichen Kirchen in Deutschland schwindet  – und mit ihm offenbar der Wunsch nach Religionsunterricht in der Schule. In einer Umfrage  im Auftrag des Bundes für Geistesfreiheit Bayern (bfg Bayern) vom März 2022 befürworteten 72 Prozent der Befragten einen »Ethikunterricht für alle« – statt einer Wahlmöglichkeit zwischen Religions- und Ethikunterricht.

Das Fach selbst aber steckt noch in den Kinderschuhen. Name und Struktur variieren von Bundesland zu Bundesland, einen festen Lehrplan gibt es in einigen Ländern erst seit den Nullerjahren.

Dabei sei das Fach zukunftsträchtig, findet Benita Kühne: Über Ethik zu sprechen, werde in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Klimakrise schließlich immer wichtiger. Kühne, 21, studiert an der Georg-August-Universität Göttingen im zweiten Mastersemester »Werte und Normen« auf Lehramt – das Ethik-Äquivalent in Niedersachsen. Hier erzählt die Studentin, warum sie sich erst auf den zweiten Blick in ihr Fach verliebt hat und was ihr im Studienplan fehlt.

Ethikstudium ohne Lehramt?

Mitunter wird Ethik als Nebenfach angeboten, etwa an der Universität Bielefeld . Zudem gibt es einige Masterstudiengänge mit Ethikschwerpunkt, etwa Medizinethik in Mainz  oder Angewandte Ethik und Konfliktmanagement in Jena . Meist aber ist das Ethikstudium Teil eines Lehramtsstudiums.

Weil Bildung Ländersache ist, ist das Lehramtsstudium in jedem Bundesland anders organisiert. Und entsprechend der Unterrichtsfächer  tragen auch die Studiengänge unterschiedliche Namen. In Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen ist von »Ethik« die Rede, in Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein von »Philosophie« und in Brandenburg von »Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde (LER)«.

In den meisten Fällen ist das Lehramtsstudium in zwei Unterrichtsfächer und einen Teil Erziehungswissenschaften gegliedert. Manchmal ist Ethik aber auch nur ein Erweiterungsfach.

Die Entscheidung fürs Ethik-Studium

»Ich wusste schon immer, dass ich Lehrerin werden möchte. Das Fach ›Werte und Normen‹ war aber nur meine zweite Wahl: Erst wollte ich mich neben Germanistik für Sport bewerben. Ehrlich gesagt geht es vielen Studierenden so. Sie kommen als Nachrücker:innen dazu oder wechseln von einem anderen Unterrichtsfach zu uns. Am Ende sind sie dann total begeistert. Bei mir war es nicht anders. Ich glaube, das liegt auch an fehlenden oder schlechten Erfahrungen mit Ethikunterricht in der Schule. Häufig ist der noch nicht sehr vielfältig, das finde ich schade.

»Christlicher Religionsunterricht ist nicht mehr für jeden in Deutschland geeignet.«

Studentin Benita Kühne

Ethik ist ein zukunftsträchtiges Fach. Es kann alle auffangen, die sich vom Christentum nicht mehr angesprochen fühlen. Im Ethikunterricht lernen Kinder religionsunabhängig, sich kritisch mit unserer Welt auseinanderzusetzen. Klar, der konfessionelle Religionsunterricht ist noch immer im Grundgesetz  verankert. Aber es ist doch ganz klar, dass christlicher Religionsunterricht nicht mehr für jeden in Deutschland geeignet ist.

Ich möchte Kindern beibringen, über den Tellerrand zu schauen. Die Schule ist ja nicht nur ein Ort, wo sie zu Bildungsmaschinen werden – sondern auch zu erwachsenen Menschen. Dazu ist es wichtig, selbst offen und unvoreingenommen ins Studium zu gehen, zu diskutieren und zu hinterfragen. ›Werte und Normen‹ hat mir die Werkzeuge in die Hand gegeben, um politische und philosophische Debatten zu führen – und die gebe ich an meine Schüler:innen weiter.

Formale Voraussetzungen für ein Ethik-Studium
  • Hochschulreife: Nicht immer braucht man Abitur. Mitunter reicht die Fachgebundene Hochschulreife oder Fachhochschulreife aus.

  • Numerus clausus: Die Studiengänge Ethik, Philosophie, LER oder Werte und Normen werden in unterschiedlichen Varianten angeboten, meist als lehramtsorientierter Zwei-Fach-Bachelor und -Master oder auf Staatsexamen. Je nach Fächerkombination und Schulform (Gymnasium, Grundschule, Förderschule usw.) gibt es unterschiedliche Zugangsbeschränkungen und unter Umständen einen NC – so etwa in Dresden (1,9), an der HU Berlin  (2,2) oder in Köln (2,9).

  • Sprachkenntnisse sind in der Regel keine Zulassungsvoraussetzung. Englischkenntnisse sind aber hilfreich, um Fachliteratur zu verstehen.

  • Praktikum: Ein Praktikum ist in der Regel keine Voraussetzung für ein Ethikstudium. Zur Studienorientierung empfiehlt es die Kultusministerkonferenz aber.

Was man noch mitbringen sollte: Geduld, Empathie, Neugier und Offenheit für viele unterschiedliche Fragestellungen, Diskussionsfreude und keine Angst vor langen Theorietexten.

Aufbau und Inhalte

Ethik wird an den meisten Universitäten nur als Lehramtsfach angeboten. Es kommt also noch ein Zweitfach hinzu – bei mir Germanistik – und der erziehungswissenschaftliche Teil für alle Lehrkräfte. In Niedersachsen ist das Fach in mehrere Teilbereiche strukturiert: Den größten Anteil macht Philosophie aus, mit etwa 60 Prozent. Dazu kommen Religion mit 30 und Sozialwissenschaften mit 10 Prozent.

Los ging es bei uns mit Einführungsvorlesungen aus der Philosophie und Religionswissenschaften. Ab dem dritten Semester konnte ich zu bestimmten Oberthemen frei Seminare belegen: Ich habe mich mit Immanuel Kant beschäftigt, mit Tierethik und dem Sinn des Lebens, aber auch mit der Ufo-Glaubensbewegung oder der Religion der Maori. Manchmal kommt es vor, dass man die verschiedenen Teilbereiche verknüpft. Gottesvorstellungen etwa aus religiöser und philosophischer Sicht zu betrachten, fand ich sehr gewinnbringend.

»Viel lesen und sich schriftlich mit philosophischen Theorien auseinanderzusetzen, gehört dazu.«

Studentin Benita Kühne

Insgesamt besteht das Ethik-Studium aus breiten Themenfeldern, vielen Texten und Diskussionen. Klassische Klausuren hatte ich kaum, meist schrieb ich Hausarbeiten und Essays. Viel lesen und sich schriftlich mit philosophischen Theorien auseinanderzusetzen, gehört einfach dazu. Das ist nicht immer einfach. Gerade philosophische Texte  können sehr zeitintensiv sein.

Noch dazu liest man in den verschiedenen Teilwissenschaften sehr unterschiedliche Texte, und das wissenschaftliche Arbeiten unterscheidet sich in jedem Bereich. Manchmal wünschte ich mir, dass das von außen mehr gesehen wird. ›Ach, du studierst ja nur Werte und Normen‹ – das habe ich häufiger gehört. Gerade, weil es noch ein kleines und junges Fach ist, wird es oft abgetan. Bei uns in Göttingen studieren es pro Jahrgang vielleicht dreißig Leute.

Typische Pflichtfächer: Einführung in die Philosophie, Geschichte der Philosophie, Einführung in die Logik, Praktische Philosophie, Theorien philosophischer Bildung, Methoden und Medien des Philosophie- und Ethikunterrichts, Einführung in die Didaktik der philosophischen Bildung, Grundlagen der Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie, Religionswissenschaft für Ethikstudierende, Einführung in die Systematische Theologie

Mögliche Wahlfächer: Angewandte Bioethik, Nietzsches Genealogie der Moral, Teleologie: Eine philosophische Sackgasse?, Philosophie des Friedens, Der Zusammenhang von Erfahrung und Urteil, »Gott« in der Philosophie der Aufklärung, Platons Dialoge, Digitalisierung als politisches Problem, Tod und Existenz. Texte zum Problem der Sterblichkeit, Tierethik, Theatrales Philosophieren, Buddhismus, Sozialphilosophie und Anthropologie

Für die Fachdidaktik fehlt es noch an Forschung und Fachmaterial. In Göttingen gibt es wenige Seminare speziell für ›Werte und Normen‹, man studiert hauptsächlich mit Studierenden aus Bereichen wie Philosophie, Sozialwissenschaften oder Religionswissenschaften. Und natürlich sind Studierende, die eines dieser Fächer als Hauptfach belegen, häufig weiter. Manchmal hat das zur Folge, dass man sich im Seminar fragt: Worüber reden die eigentlich gerade? Da darf man nicht zu hart mit sich sein. Ich versuche auch bei Dozierenden einzufordern, uns Lehramtsstudent:innen nicht zu vergessen.

Der Praxisanteil ist genauso groß wie in allen anderen Lehramtsstudiengängen. Für meinen Geschmack hätte er noch größer sein dürfen. Ich habe bislang sieben Semester studiert und hatte fünf Wochen Schulpraktikum, noch dazu an einer Grundschule, die gar keinen Ethikunterricht angeboten hat. Jetzt im Master kommen noch mal zehn Wochen Praktikum dazu. Das ist meiner Meinung nach zu spät.

Berufsaussichten nach dem Studium

Die meisten Ethikstudent:innen arbeiten später als Lehrkräfte. Ein so klares Berufsbild zu haben, ist für mich eine Erleichterung: Ich weiß genau, dass ich später vor einer Klasse stehen und den Schüler:innen beibringen werde, wofür ich brenne.

Nach dem Master könnte ich mir vorstellen, erst mal noch mehr Praxiserfahrung an Schulen zu sammeln und dann ins Referendariat zu gehen. Auch ein Praktikum im Ausland würde mich interessieren. Das Referendariat ist dann die nächste Herausforderung – und keine kleine.«

Branchen und Gehälter

Wer sich für ein Lehramtsstudium entscheidet, hat gute Berufsaussichten. Gerade als Ersatz für Religionsunterricht wird Ethik an Schulen immer beliebter. Für die reguläre Arbeit im Schulbetrieb müssen Absolvent:innen in allen Bundesländern nach dem Studium den sogenannten Vorbereitungsdienst durchlaufen, auch Referendariat genannt. Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft  (GEW) lag das Einstiegsgehalt für Lehrkräfte im Januar 2023 je nach Schulform und Bundesland bei etwa 3600 bis 5100 Euro brutto.

Ein anderer Berufsweg führt an die Universität. Hier können Ethik-Absolvent:innen promovieren, forschen und lehren. Aber auch in Unternehmen spielt Ethik eine wichtige Rolle. Ethik-Berater:innen können in der freien Wirtschaft laut StepStone Gehaltsreport 2022  im Durchschnitt etwa 60.000 Euro brutto im Jahr verdienen. Die Gehälter unterscheiden sich hier jedoch stark und häufig ist ein Zweit- oder Masterstudium nötig. Andere Einsatzmöglichkeiten sind Verlage, Redaktionen, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit oder die Erwachsenenbildung.