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Sebastian Fischer

Die Lage am Morgen Muss Scholz zum Anführer des Westens werden?

Heute geht es um die Zukunft der Ampelkoalition nach der Vorentscheidung im Haushaltsstreit, um die internationale Rolle des Olaf Scholz, um Trump als Testfall für die US-Demokratie – und das deutsche Aus im Viertelfinale.

Ampel gerettet, Ärger programmiert

Einen Haushalt aufzustellen, das gehört zum Basishandwerk einer Regierung. Traditionell kümmern sich Regierungsbeamte und der Finanzminister um einen Entwurf, dann kommt das Parlament zum Zug.

Die Ampel handhabt es anders. Kanzler Scholz, Vize Habeck, Finanzminister Lindner zogen die Verhandlungen an sich. Sie haben insgesamt 23 Treffen, 80 Stunden und eine gerissene Deadline gebraucht, bis sie gestern die politische Einigung verkünden konnten. Wohlgemerkt: Das ist eine Vorverständigung für den Entwurf, der in den kommenden zwei Wochen noch auszuarbeiten ist. Und dann kommt das Parlament.

Verteidigungsminister Pistorius

Verteidigungsminister Pistorius

Foto: Florian Gaertner / photothek / IMAGO

»Es ist so ein gelungenes Kunstwerk, dass wir etwas Zeit darauf verwenden wollten«, sagte nun der Kanzler. In den nächsten Tagen werden Kritiker bei diesem Kunstwerk allerdings eine Menge Schönheitsfehler feststellen. Einiges wirkt auf den ersten Blick gut, könnte auf den zweiten aber für neuen Ärger sorgen.

Beispiel Verteidigung: So kündigt die Koalition zwar an, den Verteidigungsetat von heute 52 Milliarden Euro bis 2028 auf 80 Milliarden zu erhöhen. Wie dies gelingen soll, ist bislang aber völlig offen. Kanzler Scholz murmelte nur, es gebe dann in der Tat einen »entsprechend großen Handlungsbedarf«.

Für den aktuellen Wehretat bekam Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) statt der geforderten zusätzlichen 6,7 Milliarden Euro nur 1,25 Milliarden. Das Plus reicht gerade einmal, um die gestiegenen Betriebskosten der Truppe zu decken, heißt es im Ministerium.

Zumindest der befürchtete Rüstungsstopp bei der Bundeswehr wird wohl nicht eintreten. Nach SPIEGEL-Informationen hat Pistorius dem Finanzminister intern abgerungen, dass er weitere Rüstungsprojekte wie den Kauf neuer Panzer oder Kampfjets über sogenannte Verpflichtungsermächtigungen ordern darf. Heißt: Die Kosten werden in die Zukunft verschoben, künftige Haushalte belastet. Vorteil für Pistorius: Die großen Rechnungen kommen erst, wenn er aller Voraussicht nicht mehr im Amt sein wird.

Mein Kollege Matthias Gebauer, der bei uns für Verteidigungspolitik zuständig ist, meint, der Haushaltskompromiss der Ampel sei für den erfolgsverwöhnten Pistorius »mehr als nur eine bittere Pille«. Pistorius wisse spätestens jetzt, »dass die Sicherheitspolitik für Kanzler Scholz und für die SPD keine Priorität mehr hat für die Zeit bis zur Bundestagswahl«.

Anführer des Westens gesucht

Die kommende Woche steht im Zeichen des Nato-Gipfels in Washington: Es steht der 75. Geburtstag des Bündnisses an. Die Lage ist allerdings nicht rosig. Im Osten das imperialistische Russland, im Fernen Osten das autokratische China, im Innern der Allianz Verunsicherung.

In den USA droht eine zweite Präsidentschaft des extrem rechten Lügners Donald Trump  und auch die Atommacht Frankreich könnte bald von Rechtsradikalen regiert werden . Wer bleibt dann noch übrig? Genau, Olaf Scholz.

Kanzler Scholz, Präsident Biden im Weißen Haus im Februar 2024

Kanzler Scholz, Präsident Biden im Weißen Haus im Februar 2024

Foto: AdMedia / Starface / IMAGO

»Neben den Umbrüchen in Frankreich, in den USA wirkt die Bundesrepublik plötzlich wie der letzte Hort der Stabilität, Ampelstreit hin oder her«, schreibt ein Team um meine Kollegin Marina Kormbaki im lesenswerten Ausblick auf den Nato-Gipfel.

Aber kann Scholz das? Ist er wirklich jemand, der international vorangeht? Bei der EU, so berichten die Kolleginnen und Kollegen, sind sie mitunter entsetzt über die Zurückhaltung des Deut­schen: Mark Rutte, früherer niederländischer Ministerpräsident und wohl ab Oktober Nato-Generalsekretär, erzählte demnach in kleiner Runde, wie er Scholz während eines festge­fahrenen Gipfeltreffens aufgefordert habe: »Olaf, du musst jetzt was sagen.« Scholz’ Antwort: »Du sagst doch auch nichts.«

Der Kanzler habe dann weiter geschwiegen.

Wer schützt Amerika?

Der große deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel hat den Westdeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg die Sinnigkeit und Stimmigkeit des amerikanischen, demokratischen Regierungssystems nahebringen wollen.

Voller Bewunderung kam er 1960 in seinem Standardwerk nach 347 Seiten zu diesem Schluss: »Das großartigste Kunstwerk, das die westliche Hemisphäre hervorgebracht hat, sind die Vereinigten Staaten von Amerika.«

US-Kapitol in Washington, D.C.

US-Kapitol in Washington, D.C.

Foto: Kevin Mohatt / REUTERS

Das US-Regierungssystem hat die zeitweilige Abspaltung der Südstaaten und einen Bürgerkrieg überstanden. Aber nun ist das System nicht von Sezession bedroht, sondern in seinem Kern . Es geht nicht um Abspaltung, sondern um Spaltung. Wird es Donald Trump überdauern können, wenn er ein zweites Mal Präsident werden sollte?

Ich möchte Ihnen die SPIEGEL-Titelstrecke an diesem Wochenende ans Herz legen, meine Kollegen Roland Nelles, Marc Pitzke und René Pfister schreiben in einem Stück über die autoritären Pläne Trumps, der die Demokratie als Feind sieht. In vier Monaten wählen die USA, und noch nie stand Trump in den Umfragen besser da als heute .

Am Ende, schreiben die Kollegen, wird es vor allem auf Amerikas Justiz ankommen, Trump in die Schranken zu weisen. Deshalb sei Biden dabei, die Bundesgerichte mit Leuten zu besetzen, die bereit sind, die Verfassung zu verteidigen. Bisher hat Biden fast so viele Bundesrichter wie Trump ernannt, rund 200.

Hoffentlich hilft’s im Falle des Falles.

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Verlierer des Tages …

ist die deutsche Fußballnationalmannschaft . Bitter. Unverdient. Mehr ist nicht zu sagen.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • »Reformer« gewinnt Präsidentschaftswahl in Iran: Massud Peseschkian folgt auf den bei einem Hubschrauberabsturz getöteten iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi. Der moderate Politiker setzte sich in der Stichwahl gegen einen Hardliner durch.

  • Assad-Beraterin stirbt unter ungeklärten Umständen: Unfall oder Attentat? In Damaskus ist eine prominente Beraterin von Machthaber Assad ums Leben gekommen. Staatlichen Angaben zufolge war Luna al-Shibls Wagen von der Straße abgekommen. Doch es gibt Zweifel.

  • Joe Biden will keinen Test seiner kognitiven Fähigkeiten: In einem Interview mit dem Sender ABC sollte der US-Präsident zeigen, dass er es noch drauf hat. Und zumindest entschlossen zeigte er sich. Einen Vorschlag des Moderators wiegelte er jedoch ab.

  • Slowakischer Premier Fico tritt erstmals nach Attentat öffentlich auf: Mit seiner Reise nach Moskau hat Viktor Orbán die EU-Partner gegen sich aufgebracht. Der slowakische Premier Robert Fico kann die Aufregung nicht verstehen – bei besserer Gesundheit wäre er mitgekommen.

Diesen Text möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:

US-Präsident Joe Biden

US-Präsident Joe Biden

Foto:

Nathan Howard / REUTERS

Nur Gott kann ihn stoppen: Eine Woche nach der desaströsen TV-Debatte stellt sich US-Präsident Joe Biden einem ersten längeren Interview. Der Auftritt sollte die Bedenken der Demokraten zerstreuen – doch dafür ist es zu spät .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros