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Ampelhaushalt und Wachstumspaket Ein Turbo mit Tücken

Die Wirtschaft soll wachsen, trotz Schuldenbremse: So verspricht es die Ampel mit ihrer Haushaltseinigung. Das führt zu mancher Innovation, aber auch zu neuen Härten – wie der Blick auf den Sozialetat zeigt.
Ampelspitzen Lindner, Scholz, Habeck: Jeden Stein umgedreht?

Ampelspitzen Lindner, Scholz, Habeck: Jeden Stein umgedreht?

Foto: Michael Kappeler / dpa

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Wenn Olaf Scholz mal nicht mehr Bundeskanzler ist, könnte er Fachberater für Konjunkturmetaphern werden. Im Kampf gegen die Coronakrise kündigte der SPD-Politiker die »Bazooka« und den »Wumms« an, als Reaktion auf die Energiekrise dann sogar den »Doppelwumms«. Es waren die Zeiten, als die Bundesregierung ohne größere Probleme dreistellige Milliardensummen mobilisieren konnte.

Im Vergleich zu den brachialen Begriffen der Vergangenheit fällt Scholz’ Bezeichnung für die jüngste Kreation seiner Koalition eher bescheiden aus: Der Kanzler spricht vom »Wachstumsturbo«, Finanzminister Christian Lindner (FDP) noch zurückhaltender von einem »Einstieg in die Wirtschaftswende«. Und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) hat sich einen gänzlich pazifistischen Dreiklang zurechtgelegt: »Wirtschaft, Klima, Kinder«.

Die Zurückhaltung ist nicht überraschend. Zwar hat die Ampelkoalition nicht weniger als 49 Einzelmaßnahmen zusammengetragen, um die Wirtschaft zu beleben. Darunter sind interessante Schritte, wie die Ausweitung von Abschreibungen für Unternehmen, die Befreiung von Zuschlägen für Mehrarbeit von Steuern und Abgaben oder die Aussetzung des bei der Wirtschaft unbeliebten Lieferkettengesetzes.

Doch die von der Koalition selbst erwarteten Effekte des Pakets sind überschaubar: Ein halbes Prozent Wachstum mehr erwartet Habeck im kommenden Jahr. Das ist einerseits nicht wenig, wenn man bedenkt, dass Deutschland in diesem Jahr laut Prognosen nur auf 0,3 Prozent kommen könnte. Aber es ist auch meilenweit entfernt von den Wachstumsraten der Fünfziger- und Sechzigerjahre, die Scholz vor nicht allzu langer Zeit infolge von Investitionen in die Energiewende in Aussicht stellte – und die bis zu acht Prozent entsprechen würden.

Hinzu kommt, dass sich bei vielen Vorhaben die Frage stellt, wie gut sie sich tatsächlich umsetzen lassen – etwa der Bürokratieabbau. Den will die Koalition künftig jedes Jahr in einem Gesetz festschreiben. Doch das aktuelle Bürokratientlastungsgesetz IV musste sie gerade erst mangels Einigkeit auf die Zeit nach der Sommerpause verschieben. Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, prophezeit denn auch, die tatsächlichen Impulse des »Wachstumspaketchens« dürften gering bleiben.

Es ist eben etwas anderes, ob man Haushalte wie in früheren Jahren mit steigenden Steuereinnahmen oder einer ausgesetzten Schuldenbremse schnüren kann oder so wie heute: mit einer schwächelnden Wirtschaft, entsprechend verringerten Einnahmen und einer Schuldenbremse, deren Geltung das Bundesverfassungsgericht durch ein Grundsatzurteil Ende vergangenen Jahres betont hat.

So gesehen ist es dann schon wieder beachtlich, dass sich die Ampel überhaupt auf ein Wachstumspaket und vor allem die Grundzüge des nächsten Haushalts einigen konnte. Denn besonders eine mögliche Aussetzung der Schuldenbremse war offenbar bis zuletzt ein Thema in den Verhandlungen. Es hatte das Potenzial, die Verhandlungen, wenn nicht gar die Koalition zu sprengen und das hat es auch weiterhin – das zeigt besonders die Reaktion der SPD-Fraktion.

Finanzminister Lindner aber hat sich durchgesetzt, die Schuldenbremse gilt. Dass sie auch »funktioniert«, zeigt aus Sicht des FDP-Chefs die Tatsache, dass die Koalition zusammen mit dem nächsten Etat auch einen Nachtragshaushalt von 11,3 Milliarden Euro fürs laufende Jahr ankündigte. Er wird möglich, weil die wirtschaftliche Entwicklung sich verschlechtert hat, wodurch sich der Spielraum der sogenannten Konjunkturkomponente erhöht.

Doch auch beim Haushalt fürs kommende Jahr dürfte noch so manches Manöver notwendig werden. Das zeigen insbesondere sogenannte globale Minderausgaben von 16 Milliarden Euro, mit denen die Koalition derzeit plant. Sie bedeuten nichts anderes als Einsparungen, die erst noch aufgetrieben werden müssen. Dabei betonte Lindner, man habe bereits »jeden Stein im Bundeshaushalt« umgedreht.

Bis der Haushaltsentwurf dem Bundestag zugeleitet wird, sollen die globalen Minderausgaben auf die Hälfte reduziert werden. Ein Hoffnungswert sind dabei knapp 15 Milliarden Euro Liquiditätsreserve, die wegen der Gaspreisbremse noch bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau liegen. Zudem überlegt die Ampel, Zuschüsse an die Deutsche Bahn und die Autobahn AG künftig durch Kredite zu ersetzen. Beide Schritte müssen aber erst noch geprüft werden.

Wie sehr bei den Ampelplänen der Teufel im Detail steckt, zeigt der Blick auf den Sozialetat. SPD und Grüne sehen ihre Forderung erfüllt, dass es hier zu keinen Einschnitten kommen dürfe. Der »angedrohte Kürzungshaushalt im sozialen Bereich wird nicht kommen«, jubiliert der linke SPD-Abgeordnete Erik von Malottki auf X.

Die Kürzungen kamen schon früher

Das heißt allerdings nicht, dass sich nicht einiges ändern wird. Genau genommen haben Scholz, Lindner und Habeck sogar ziemlich viel beschlossen bei den sozialen Systemen. Das liegt daran, dass sie den allergrößten Teil der Effekte des sogenannten Wachstumspakets hier erwarten.

Der Hauptschub dafür, so sagte es Habeck, solle durch den Arbeitsmarkt erfolgen, und hier vor allem dadurch, mehr Menschen aus dem Bürgergeld in Jobs zu bringen und Ältere zur Arbeit über das Renteneintrittsalter hinaus zu animieren.

Die Ampelspitze dreht dafür an so ziemlich allen Stellschrauben, um die Bedingungen für den Bezug des Bürgergelds zu verschärfen. Und zwar fast durchweg so weit, wie es verfassungsrechtlich eben noch zulässig ist. So werden die Sanktionen im Grunde wieder auf den Stand von Hartz IV gesetzt. Das heißt, künftig wird wieder unterschieden, ob Arbeitslose ihre Pflicht zur Mitwirkung verletzen oder lediglich Termine beim Jobcenter versäumen. Bei ersteren folgt nun sofort die maximal mögliche Kürzung von 30 Prozent.

Wer beim Schwarzarbeiten erwischt wird, dem droht künftig – wie bereits den sogenannten Totalverweigerern, die einen konkreten Job willentlich ablehnen – eine komplette Kürzung des Bürgergelds für zwei Monate. Das geht, weil diese Personen dann als überhaupt nicht hilfebedürftig gelten. In der Praxis dürfte beides so gut wie nie angewandt werden, aber es erfüllt einen doppelten Zweck: als Signal, dass das Bürgergeld eben kein Grundeinkommen ist – und als Möglichkeit, einfach einen dreistelligen Millionenbetrag als Einsparung in die Haushaltsplanung zu schreiben.

Auch das Schonvermögen wird gekappt – beziehungsweise die sogenannte Karenzzeit verkürzt: Künftig gilt die Grenze von 15.000 Euro pro Person bereits nach sechs Monaten im Bürgergeld, nicht erst nach zwölf Monaten. Zusätzlich wird eine Meldepflicht für jene eingeführt, die dem Arbeitsmarkt »kurzfristig zur Verfügung stehen« – also nicht gerade in einer Schulung, Ausbildung oder krankgeschrieben sind. Sie müssen künftig einmal pro Monat im Jobcenter antanzen, persönlich. Und: Für einen Job müssen Bürgergeldempfänger im Zweifel noch weiter pendeln, als es ihnen heute bereits zuzumuten ist.

Die Ampel reagiert damit auf die weitverbreitete Gefühlslage in der Bevölkerung, im Bürgergeld gehe es zu nett zu. Allerdings wartet sie auch mit einer Überraschung auf: nicht nur Druck, sondern eine Belohnung für jene, die es in Arbeit schaffen – oder mehr Stunden arbeiten. Für sie soll es ein Jahr lang eine »Anschubfinanzierung« geben.

Wie die genau aussehen wird, ist noch nicht ganz klar. In jedem Fall sollen sie ab einem bestimmten Einkommen mehr von ihrem Verdienst behalten dürfen. Wenn sie es ganz aus dem Bürgergeld schaffen, würde das auch für das Wohngeld und wohl auch für den Kinderzuschlag gelten. Einen entsprechenden Vorschlag hatte der Ökonom Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vor Kurzem veröffentlicht .

Prinzip Gießkanne bei Familien

Nur noch Zuckerbrot gibt es hier: Wer bereits eine Rente bezieht und trotzdem arbeitet, der muss bislang zwar selbst keine Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung zahlen – aber der Arbeitgeber. Und das, obwohl sich die Rente dadurch nicht mehr erhöht und auch kein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht.

Künftig sollen diese Arbeitgeberbeiträge nicht mehr den Sozialversicherungen gezahlt werden – sondern der Rentnerin oder dem Rentner direkt. Und zwar brutto für netto, also ohne Steuerabzug. Bei den derzeitigen Beitragssätzen sind das immerhin 10,6 Prozent vom Brutto mehr Geld in der Tasche.

Um fünf Euro steigen sollen 2025 sowohl das Kindergeld als auch der »Kindersofortzuschlag« im Bürgergeld. Ersteres kommt der unteren und Teilen der mittleren Mittelschicht zugute, Letzteres den Einkommensarmen. Allerdings wird der Kinderfreibetrag bei der Einkommensteuer ebenfalls erhöht, um weitere 60 Euro auf 9600 Euro, nachdem er in diesem Jahr bereits um 228 Euro steigt. Das kommt effektiv nur Besserverdienenden zugute. Bei der finanziellen Unterstützung von Kindern gilt also das Prinzip Gießkanne und keine Zielgenauigkeit zugunsten armer Familien.

Kahlschlag bei der Kindergrundsicherung

Von dem wichtigsten Sozialprojekt der Grünen bleibt wenig übrig, vielleicht sogar nichts, je nach Bewertung: der Kindergrundsicherung. Das stand allerdings schon vor den Haushaltsverhandlungen so gut wie fest. Eingeplant sind nun noch Mittel für den sogenannten Kindergrundsicherungscheck – einem Onlinetool, mit dem Ansprüche auf bestehende Leistungen wie den Kinderzuschlag einfacher geprüft und womöglich auch beantragt werden können. Und für ein Kinderchancenportal, auf dem Leistungen des bereits existierenden Bildungs- und Teilhabepakets einfacher beantragt werden können.

Die Grünen üben sich öffentlich in Zweckoptimismus: Es seien die Voraussetzungen geschaffen worden, »um die  Kindergrundsicherung mit ihren Zielen weiter zu verhandeln«, sagte Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink. Offensichtlich fehlt aber zum Beispiel das Geld für die eigentlich nötigen Tausenden Stellen bei den Familienkassen. Die Kindergrundsicherung, das bestätigt diese Haushaltseinigung, ist der Zombie unter den Ampelprojekten: Tot, aber noch umherirrend.

Zwar sieht man im Familienministerium auch einen Erfolg: Zwei Milliarden Euro sind für den Kitaausbau eingeplant, sie mussten im klammen Haushalt hart erkämpft werden. Doch das De-Facto-Aus für die Kindergrundsicherung ist für Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) eine herbe Niederlage.

Woher kommt das Geld für die Rüstung?

Und es dürfte nicht der einzige Posten bleiben, der in den kommenden Wochen noch für Sprengstoff in der Koalition sorgt. So kündigt die Koalition zwar an, den Verteidigungsetat bis 2028 auf 80 Milliarden Euro zu erhöhen. Wie dies gelingen soll, ist bislang aber völlig offen. Kanzler Scholz murmelte nur, es gebe dann in der Tat einen »entsprechend großen Handlungsbedarf«.

Für den aktuellen Wehretat bekam Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) statt geforderter 6,7 Milliarden Euro hingegen nur 1,25 Milliarden Euro. Der sonst so medienaffine Niedersachse schwieg am Freitag denn auch lieber zur Einigung der Ampel.