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Janko Tietz

Die Lage am Abend Regierung braucht vorerst keine Haushaltshilfe

Die drei Fragezeichen heute:

  1. Bundesregierung – was sind die Eckpunkte der Haushaltseinigung?

  2. Britische Regierung – wofür steht der neue Premier Keir Starmer?

  3. Ungarische Regierung – warum ist Viktor Orbán nach Moskau gereist?

1. Haushalt gemacht, neuer Streit entfacht

Es war wieder so eine Marathonsitzung, wie man sie seit Corona kennt. Damals rangen Politikerinnen und Politiker um den richtigen Weg durch die Pandemie. Vergangene Nacht ging es um die Staatsfinanzen für das kommende Jahr.

Nach monatelangen Verhandlungen einigten sich die Ampelparteien der Bundesregierung auf den Haushalt für 2025. Finanzminister Christian Lindner (FDP) rechnete nicht nur Zahlen vor, sondern auch sein Arbeitspensum. Er habe sich 23-mal mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) getroffen, insgesamt hätten sie 80 Stunden beraten. Das ist dabei rausgekommen:

  • Es sind Gesamtausgaben von 481 Milliarden Euro vorgesehen.

  • Die Schuldenbremse wird eingehalten, dennoch sind ein Nachtragshaushalt für 2024 sowie eine Neuverschuldung in Höhe von 44 Milliarden Euro im Jahr 2025 geplant.

  • Die Bundesregierung plant ein Wachstums- und Investitionspaket in Höhe von 57 Milliarden Euro, das in den Gesamtausgaben enthalten ist.

  • Die Bundeswehr bekommt deutlich weniger zusätzliches Geld. Der Etat soll von derzeit rund 52 Milliarden Euro um etwa 1,2 Milliarden Euro wachsen. Pistorius hatte deutlich mehr Geld gefordert. Bis 2028 soll der Wehretat allerdings auf 80 Milliarden Euro steigen. Das Zweiprozentziel der Nato, nach dem Mitgliedsländer zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben sollen, werde aber jetzt schon erfüllt.

  • Der Kindersofortzuschlag für bedürftige Familien, die Bürgergeld beziehen, soll im kommenden Jahr von bislang monatlich 20 Euro auf dann 25 Euro steigen und mit der Einführung der Kindergrundsicherung auslaufen. Das Kindergeld, das alle Eltern in Deutschland pro Kind erhalten, steigt der Einigung zufolge dann auf 255 Euro monatlich.

  • Schließlich sollen Arbeitnehmer entlastet werden, indem Freibeträge erhöht, die Lohn- und Einkommensteuer verändert sowie der Solidaritätszuschlag modifiziert werden. Umfang: 23 Milliarden Euro in den Jahren 2025 und 2026.

Das alles sieht nach Durchbruch aus, doch der Schein trügt. Das Kabinett muss den Haushaltsentwurf Mitte Juli noch beschließen. Das dürfte die geringste Hürde sein. Mitte September ist die erste Beratung im Bundestag geplant, beschlossen werden soll der Etat dann im November oder Dezember. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich stichelt schon jetzt: Es seien »eine Menge Kunstgriffe nötig« gewesen, um die Milliardenlücke im Bundeshaushalt 2025 zu schließen. Das »Triumphgeheul« der FDP nerve ihn.

Die Diskussion über die Schuldenbremse, die der FDP heilig ist, scheint für Mützenich noch nicht beendet. Er behalte sich das Instrument vor, über einen Notlagenbeschluss eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu ermöglichen. Nach dem Zoff ist vor dem Zoff. Es dürfte noch schwierig werden, bis das Parlament den Haushalt tatsächlich verabschiedet. Scheitern die Verhandlungen, scheitert auch die Regierung.

2. Buying England by the pound

Großbritannien hat einen neuen Premierminister. Kurz vor halb zwei an diesem Nachmittag ernannte König Charles III. mit Keir Starmer den ersten Labour-Regierungschef seit 14 Jahren. Die bislang regierenden Tories haben eine beispiellose Wahlniederlage eingestanden. Labour gewann im Vergleich zur letzten Wahl 214 Sitze im Parlament dazu, die konservativen Tories verloren 251.

Nun könnte man sagen: So was kommt von so was. Vier Jahre nach dem Austritt der Briten aus der Europäischen Union spürt das Land die Konsequenzen dieser Entscheidung mit voller Wucht. Starmer versprach bei seinem ersten Auftritt als Regierungschef eine Rückkehr zu Stabilität und Wachstum. Die Menschen hätten sich für Wandel entschieden, sagte er.

1973 brachte die britische Band Genesis ihr Album »Selling England by the pound« heraus, es war eine Anspielung auf einen damaligen Wahlkampfslogan der Labour Party, die den Niedergang der englischen Kultur befürchtete. Zuletzt waren es jedoch die Tories, die das Land verramscht haben. Gewissermaßen hat es Labour nun zurückgekauft.

Mein Kollege Steffen Lüdke, unser Korrespondent in London, berichtet , Starmers Wahl gilt als Erlösung nach den chaotischen Jahren im Königreich – auch »weil er in etwa so charismatisch auftritt wie ein Erdkundelehrer«.

Das könnte Starmer noch zum Verhängnis werden. Die Wählerinnen und Wähler in Großbritannien gelten als sprunghaft. Sollte Starmer nicht liefern, könnte er schon bei der nächsten Wahl wieder abgestraft werden. Ein möglicher Profiteur dann: der Rechtspopulist Nigel Farage, der bei dieser Wahl mehr als vier Millionen Stimmen für seine Partei bekam.

3. Dubiose Diplomatie

Gestern reiste Russland Machthaber Wladimir Putin zum Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) nach Astana, Kasachstan. Zu dem Bündnis, das sich als Gegenentwurf zu den westlichen G7 versteht, gehören auch China, Indien Pakistan, Iran, Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan sowie die zentralasiatische Republik Kasachstan.

Heute reiste ein Mann nach Moskau, der sich in diesem Reigen sicherlich auch ganz wohlgefühlt hätte: Viktor Orbán. Ungarns Premier stattete Putin überraschend einen Besuch im Kreml ab. In der Europäischen Union löste der Trip Unverständnis aus, ja Empörung. Denn Ungarn hat gerade die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Ist er also in dieser Funktion dort? Als ungarischer Regierungschef? Als Privatmann?

Der Besuch ist propagandistisch nach allen Regeln der Kunst inszeniert. Orbán bezeichnete seine Reise als »Friedensmission«. Putin erklärte, er sei bereit, mit Orbán über die »Nuancen« von Friedensvorschlägen zu diskutieren. Er wolle zudem in Erfahrung bringen, was die Position Orbáns sei und wie dieser die Ansichten anderer europäischer Länder zum Krieg in der Ukraine einschätze.

Orbán ist wohl kaum der richtige Emissär, ihm das authentisch zu schildern. Vertreter der Europäischen Union (EU), einige Mitgliedstaaten wie Deutschland sowie die Ukraine gingen auf Distanz zu der Initiative aus Budapest.

Auch die baltischen Staaten haben den Besuch mit deutlichen Worten verurteilt. »In Moskau vertritt Viktor Orbán in keiner Weise die EU oder die Positionen der EU. Er nutzt die Position des EU-Vorsitzes, um Verwirrung zu stiften«, schrieb die estnische Regierungschefin und designierte EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas auf X. Die EU stehe geschlossen hinter der Ukraine und gegen die russische Aggression.

Womöglich ist das Treffen mit Putin ein neuerlicher Versuch, in diese Geschlossenheit einen Keil zu treiben.

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

Meine Lieblingsglosse heute:

Friedrich Merz

Friedrich Merz

Foto:

Emmanuele Contini / IMAGO

Freitags finden Sie hier immer die Kolumne »So gesehen« meines Kollegen Stefan Kuzmany als Teil der Lage am Abend. Heute schreibt Stefan darüber, wie die Union die Schuldenbremse knackt:

Obwohl sie nicht in der Bundesregierung sitzt, hat der Haushaltsstreit über die Schuldenbremse auch die Union erreicht: Wie jüngst bekannt wurde, traf sich Parteichef Friedrich Merz im Mai und Juni zum klärenden Gespräch mit den Ministerpräsidenten der CDU-geführten Bundesländer. Ihr Problem: Merz ist gegen eine Aufweichung der Schuldenbremse, einige seiner Länderchefs jedoch dafür. Das Dilemma: Würde die Union im Bund der Aufnahme von mehr Schulden zustimmen, würde sie der Ampelregierung beim Regieren helfen. Das will Merz keinesfalls, damit er bald selbst regieren kann. Die Länderfürsten jedoch regieren bereits – und brauchen dafür Geld. Allen voran der Berliner Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU): In der Hauptstadt fehlen dringend benötigte Umzäunungen für Parkanlagen, zudem werden die Rufe aus der Berliner Bevölkerung lauter, die den Bau einer Schwebebahn fordern.

Die Fronten schienen verhärtet, dann brachte eine Handlungsanweisung aus dem neuen CDU-Grundsatzprogramm den Durchbruch: »Einfach mal machen!« Getreu diesem Motto sollen die investitionshungrigen CDU-Ministerpräsidenten künftig unbürokratisch und schnell Geldspritzen bekommen. Bei einem finalen Treffen am Mittwoch ging es nur noch um einen Namen für das geplante Finanzierungskonzept. Der Begriff »Sondervermögen« schied aus, weil er zu eng mit dem Finanzgebaren der Ampelregierung verknüpft ist. Eine »Notlage« als Grund für neue Schulden will man ebenfalls nicht erklären, weil sonst der Eindruck entstehen könnte, in den CDU-Ländern laufe nicht alles perfekt.

Den rettenden Einfall hatte am Ende der Parteichef persönlich. Sämtliche Projekte sollen nun aus diskret bei den CDU-Landesverbänden installierten Fonds finanziert werden, ihr Name folgt guter Tradition: schwarze Kassen.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Dubiose Diesellieferanten drängen auf den deutschen Markt: Mehr als ein Dutzend Firmen verkaufen in Deutschland offenbar gepanschten Diesel zu Dumpingpreisen. Es könnte um Steuerbetrug im dreistelligen Millionenbereich gehen. Der Zoll ist mit seinen Ermittlungen spät dran. 

  • Er wirkt ruhig. Er denkt völkisch. Er hat Macht: Fraktionsvize Sebastian Münzenmaier ist zum Strippenzieher in der AfD aufgestiegen. Nach außen treten er und seine Leute moderater auf als andere in der Partei. Doch der Eindruck täuscht. 

  • »Man baut heute den Leerstand von morgen«: Einerseits stehen 1,9 Millionen Wohnungen leer, andererseits verschärft sich die Wohnungsnot. Wie passt das zusammen? Reiner Braun beobachtet den Wohnungsmarkt seit Jahrzehnten und sagt: Ab 2030 sinkt die Nachfrage. 

  • Harz of Cards: CDU-Mann Alexander Räuscher aus Sachsen-Anhalt forderte die Abschaffung der Brandmauer zur AfD und flog aus der Ratsfraktion seines Heimatorts. Nun fühlt er sich missverstanden. Sein Plan: Dialog oder Krawall. 

Was heute weniger wichtig ist

Keine heiße Spur: In Italien sprechen die Menschen über einen spektakulären Crime-Fall. Giacomo Bozzoli, 39, wird vorgeworfen, seinen Onkel getötet und in den Ofen der familieneigenen Gießerei gekippt zu haben. Anfang Juli urteilte das höchste Gericht Italiens, der Kassationsgerichtshof, und sprach Bozzoli schuldig. Er bestreitet die Tat und hat sich offenbar abgesetzt, bevor er die Strafe antrat. Außerdem habe er seinen Onkel »geliebt«. Bozzolis Ex-Freundin dagegen sagt vor Gericht, im Handy ihres Ex-Freundes sei der Onkel gespeichert unter dem Namen »Arschloch« .

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Und heute Abend?

Es scheint mir unsinnig, Ihnen für heute Abend einen Tipp zu geben. Von Kolleginnen und Kollegen wurde ich schon gebeten, diese Lage am Abend bitte recht früh abzugeben, damit alle rechtzeitig vor dem Anpfiff des Viertelfinales Deutschland gegen Spanien vor dem Fernseher oder auf den Fanmeilen sein können. Ich gehe fest davon aus, dass es der Mehrheit von Ihnen auch so geht: Sie schauen Fußball.

Bundestrainer Nagelsmann: »Danke, schon besser jetzt«

Bundestrainer Nagelsmann: »Danke, schon besser jetzt«

Foto:

Peter Rigaud / DER SPIEGEL

Je nachdem wie es ausgeht, könnten Sie hinterher den Text meines Kollegen Jörn Meyn  über den Bundestrainer Julian Nagelsmann lesen. Wenn die Deutschen gewinnen, wird er es sein, der verantwortlich ist. Wenn sie verlieren, auch. Insofern ist für alle was dabei.


Einen erfolgreichen Abend. Herzlich

Ihr Janko Tietz, Ressortleiter Nachrichten

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version stand, das Genesis-Album „Selling England by the Pound“ sei 1971 veröffentlicht worden. Richtig ist 1973. Wir haben die Stelle korrigiert.

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