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SPD-Fraktionschef Mützenich Der Gentleman, der die Geduld verliert

Rolf Mützenich ist als höflicher, zurückhaltender Mensch bekannt. Bei seinem Auftritt zur Ampel-Haushaltseinigung attackiert er nun die Koalitionspartner, insbesondere die FDP. Was ist da los?
SPD-Fraktionschef Mützenich über die Haushaltseinigung: »Eine Menge Kunstgriffe«

SPD-Fraktionschef Mützenich über die Haushaltseinigung: »Eine Menge Kunstgriffe«

Foto: Bernd Elmenthaler / IMAGO

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Es scheint sich offenbar einiges aufgestaut zu haben bei Rolf Mützenich. Als der Fraktionschef der SPD am Freitagmorgen vor die Kameras tritt, wirkt er aufgebracht. Von »Klamauk« spricht er mit Blick auf die Koalitionspartner und von »Triumphgeheul« nach der Haushaltseinigung.

Was Mützenich konkret meint, sagt er nicht. Aber das Ziel seiner Attacke ist klar: Finanzminister Christian Lindner. Der FDP-Chef habe den Haushalt nicht ohne den Kanzler hinbekommen. Es sei »sehr ungewöhnlich«, schimpft Mützenich, dass Kanzler Olaf Scholz  nun zwei Monate lang verhandeln musste. Eigentlich sei das die Aufgabe des Finanzministers.

Und dann kommt eine Kampfansage des Fraktionschefs: Für Mützenich ist die Debatte über die Schuldenbremse – die laut Einigung eingehalten werden soll – noch nicht vom Tisch. Er behalte sich das Instrument vor, über einen Notlagenbeschluss noch eine Ausnahme von der Schuldenbremse zu erreichen, sagt Mützenich. Denn es seien schon »eine Menge Kunstgriffe nötig« gewesen, um die Milliardenlücke im Haushalt zu schließen.

Es ist ein ungewöhnlich lauter, harter Auftritt des Sozialdemokraten. Mützenich legt viel Wert auf Manieren, hat sich ein Image als höflicher, zurückhaltender Politiker erarbeitet. Selbst in der Union schätzen ihn viele wegen seiner zurückgenommenen Art, seiner Wertlegung auf Etikette. Sein Verhältnis zu Friedrich Merz gilt als gut.

Mützenich lästert nicht über Parteifreunde oder politische Gegner. Oft lässt er seine Abneigung gegen die schnelllebige politische Inszenierung erkennen, die Suche nach der Schlagzeile. Er gilt als loyal und hat dem Kanzler in den zweieinhalb Jahren der Ampel immer den Rücken freigehalten. Obwohl der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine viele seiner auf Frieden und Abrüstung fußenden Überzeugungen infrage stellte.

Parteilinke loben Einigung

Doch nun wirkt es, als verliere der Gentleman die Geduld. Mützenich wirkte schon in den vergangenen Tagen gereizt, seine Einbestellung des Kanzlers für eine Sonderfraktionssitzung am frühen Freitagmorgen überraschte manchen in der SPD. Er könne die Abgeordneten nicht ohne »politische Leitplanken« in die Sommerpause entlassen, sagte Mützenich.

Nun gibt es eine grundsätzliche Einigung von Scholz, Lindner und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Selbst Erik von Malottki, Co-Chef der linken Gruppierung »Forum DL21«, lobt das Ergebnis. »Der angedrohte Kürzungshaushalt wird nicht kommen«, schreibt er bei X. Der Kampf der vergangenen Wochen habe sich gelohnt, Kürzungen bei Kitas, Rente und Freiwilligendiensten seien verhindert worden.

Umso überraschender und bemerkenswerter ist Mützenichs Ausbruch.

Klar ist: Er musste in den vergangenen Monaten einiges aushalten, einstecken, immer wieder umstrittene Kompromisse der Ampel in den eigenen Reihen verkaufen. Zum Beispiel die letzte Haushaltseinigung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, als die Regierung mit dem Streichen von Subventionen die Bauern gegen sich aufbrachte. Noch entscheidender: Das Heizungsgesetz wurde von den Fraktionen repariert, hat aber einen Imageschaden verursacht, von dem bis heute unklar ist, wie sich SPD und Grüne davon erholen können.

Mützenich fühlt sich falsch verstanden

Und dann war da noch das »Einfrieren«. Im März sagt Mützenich im Bundestag zum Krieg in der Ukraine: »Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?«

Den Krieg einfrieren. Die Kritik, die darauf folgt, ist heftig. Was will Mützenich mit seiner Äußerung bezwecken? Hilft er Wladimir Putin mit solchen Äußerungen?

Der Fraktionschef ist tief getroffen von der Kritik, fühlt sich falsch verstanden, bewusst in die Ecke gedrängt. Bei einer Klausur der Landesgruppen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen auf Norderney bedankt er sich für die Unterstützung der Abgeordneten. Wenn die ihn nicht auch mal in den Arm genommen hätten, hätte er diese Zeit kaum überstanden, sagt er.

Mützenich ist ein sensibler Mann. Harte machtpolitische Entscheidungen beschäftigen ihn häufig noch Wochen danach. Manche in der SPD fragen sich schon länger, ob diese Art, Politik zu machen, geeignet ist für die Spitzenpolitik. Respektiert wird er aber selbst von Abgeordneten, die anderer Meinung sind.

Nun dieser Ausbruch. Vor allem die Ansage, er behalte sich einen Notlagenbeschluss bei der Schuldenbremse weiter vor, verwundert. Was will er damit erreichen? Den Kanzler unter Druck setzen? Die FDP? Sieht er eventuell einen Bruch der Koalition als Ausweg aus der Krise?

Die genauen Beweggründe bleiben an diesem Tag offen. Möglich ist auch, dass sein Ausbruch eher taktischer Natur war. Als Signal an die Abgeordneten: Seht her, ich kämpfe für euch.

Dagegen spricht, dass es eher nicht Mützenichs Politikstil entspricht. Seine Geduld scheint aufgebraucht.

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