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Patrick Mariathasan / DER SPIEGEL

Susanne Götze

SPIEGEL-Klimabericht Ist Braun das neue Grün?

Am Sonntag wählt Frankreich im zweiten Wahlgang ein neues Parlament. Der rechtspopulistische Rassemblement National leugnet im Gegensatz zur AfD den Klimawandel nicht. Aber was genau bedeutet das für Frankreichs Klimapolitik?

Die ehemalige Bergbaustadt Hénin-Beaumont in Nordfrankreich ist eine Hochburg des Rassemblement National (RN). Seit den Nullerjahren ist der schmucklose Ort fest in den Händen der Rechtsextremistin Marine Le Pen. Es ist der perfekte Ort für einen rechten Durchmarsch: Die Arbeitslosigkeit liegt weit über dem Landesdurchschnitt, nachdem etliche Industriebetriebe geschlossen wurden. 60 Prozent der Bevölkerung verdienen dort so wenig, dass sie keine Steuern zahlen müssen. Der Bau eines riesigen Einkaufszentrums am Stadtrand hat dazu geführt, dass Dutzende von Geschäften, Friseursalons und Restaurants im Zentrum verwaist sind. Der ehemalige sozialistische Bürgermeister wurde wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Erst vor einer Woche gewann Le Pen diesen Wahlkreis wieder haushoch mit rund 64 Prozent der Stimmen.

Zusammen mit einer Kollegin traf ich vor rund fünf Jahren für eine Recherche in Hénin-Beaumont den Lokalpolitiker Arnaud de Rigné. Der damals Anfang 20-Jährige ist überzeugter Anhänger des RN, damals war er Klimabeauftragter für die Partei in der Region. Es war ein bizarres Interview. Mit seinem alten Peugeot fuhr uns Rigné raus aus der Stadt zu einer historischen Windmühle ohne Flügel. Auch im Gespräch erschloss sich nicht, warum er uns die alte Mühle zeigen wollte, vielleicht war es Nostalgie um der alten Zeiten willen? Die Liebe zu Windrädern jedenfalls war es nicht.

Marine Le Pen diese Woche in Paris: Schaffen die Rechtspopulisten die Machtübernahme im Parlament?

Marine Le Pen diese Woche in Paris: Schaffen die Rechtspopulisten die Machtübernahme im Parlament?

Foto: Benoit Tessier / REUTERS

Der RN stellt sich, wo immer es geht, gegen die »verschandelnde Windenergie« und ist ein Anhänger der Atomkraft, ebenso wie die AfD. Rigné postierte sich aber selbstsicher vor der Backsteinmühle und erklärte uns, was es mit der »patriotischen Ökologie« – dem Parteikonzept des RN – auf sich hat: Große ausländische Konzerne wie Coca-Cola sollten besteuert werden, das spare Transporte und Plastikflaschen. Kaffee aus Südamerika und brasilianisches Sojafutter für die heimischen Bauern müssten ebenfalls endlich mit hohen Zöllen versehen werden. Und internationale Klimaverträge fand er auch nicht so gut. Doch dann gingen dem Politiker die Ideen schon aus.

Gegen den Green Deal und internationale Klimaabkommen

Seit dem seltsamen Treffen hat sich einiges getan. Diesen Sonntag könnten die französischen Rechten doppelt so viel Sitze einfahren wie bisher, der Posten des Premierministers rückt in greifbare Nähe. Das ist für viele Politikbereiche eine Katastrophe – und könnte es auch für die Klimapolitik werden. Als 2016 das Pariser Klimaabkommen in Brüssel ratifiziert werden sollte, haben sich die damals 18 Abgeordneten des RN enthalten, darunter Parteichefin Marine Le Pen. Die Europaabgeordneten des RN sind bei den wichtigsten Abstimmungen zum Klimaschutz in Brüssel stets dagegen.

Strandurlaub vor dem Atomkraftwerk Gravelines in Nordfrankreich in der Nähe von Dünkirchen: Der RN ist klar gegen erneuerbare Energien

Strandurlaub vor dem Atomkraftwerk Gravelines in Nordfrankreich in der Nähe von Dünkirchen: Der RN ist klar gegen erneuerbare Energien

Foto: Thierry Monasse / Getty Images

Seit dem Treffen mit Rigné – mittlerweile Mitarbeiter im französischen Parlament – hat die Partei ihr Profil bei der Klimapolitik noch mal geschärft. Heute heißt es in ihrem Programm, man sei in einer »energiepolitischen Sackgasse«. Schuld daran sei die »irrationale Bevorzugung erneuerbarer Energien«, die zu Energiearmut von »Millionen von Haushalten« führe. So möchte der RN schnellstens aus dem »aufgezwungenem« europäischen Green Deal aussteigen. Man wolle selbst entscheiden, wie man den Klimawandel bekämpfe – und das an die jeweilige Situation im Land anpassen. In einem Punkt aber hat sich die Partei offenbar gewandelt: Man wolle sich an die Ziele des Pariser Abkommens halten, heißt es im Parteiprogramm. Ein Satz, der bei der AfD undenkbar wäre. Sie leugnet den menschengemachten Klimawandel eisern.

Le Pen hingegen will eine Art Klimanationalismus etablieren. Der Klimawandel sei menschengemacht und real – deshalb solle der Lebensstil der Menschen angepasst werden – aber ohne sich von außen vorschreiben zu lassen wie. So klingt das Programm an einer Stelle fast wie die Broschüre einer grünen Bürgerinitiative: »Unsere Politik wird eine Politik des besseren Essens, des besseren Heizens, der besseren Pflege, der besseren Fortbewegung sein«. Und dann klingt es wieder nach der FDP: Angesichts der planetaren Grenzen (der Begriff ist auch undenkbar im AfD-Programm) setze man auf »technologische, soziale und territoriale Innovation«. Im Sinne des »localisme« – zu übersetzen vielleicht mit Lokalpatriotismus – müsse das Nahe, das Gemeinsame und die Einheit Vorrang haben.

RN – die intelligentere AfD?

Das Feindbild Klimabewegung bleibt bestehen. Diese wird in Frankreich ebenso wie in ganz Europa eher im linken politischen Spektrum verortet. Leugnet man den Klimawandel nicht wie die AfD, dann müssen sich die Rechten zumindest vom Aktivismus abgrenzen. Und das macht der RN geschickt. Er fordert ein Ende des »Klimaterrorismus, der den Planeten, die nationale Unabhängigkeit und den Lebensstandard der Franzosen gefährdet«.

Man mag über diese klimapolitischen Vorsätze denken, was man will. Aber sie passen zum Gesamtbild des RN als die »intelligentere« AfD. Statt sich plump mit abseitigen Pseudo-Akademikern zusammenzutun, die hanebüchene Theorien über den menschengemachten Klimawandel verbreiten, streicht der RN den Klimaschutz einfach braun an. Das sieht harmlos aus, ist aber am Ende vielleicht sogar die gefährlichere Variante. Im Detail weiß wahrscheinlich selbst der RN nicht, was ihre blumigen Versprechen von einem Klimanationalismus konkret heißen sollen. Umweltregulierungen aller Art jedenfalls lehnt der RN ab, besonders in der Industrie und Landwirtschaft.

Gute Nachricht für die Klimapolitik aus Großbritannien

Während es in Frankreich in den nächsten Jahren also mit dem Klimaschutz bergab gehen könnte, gibt es gute Nachrichten aus Großbritannien. Dort gewann der Chef der britischen Arbeiterpartei Keir Starmer diese Woche die Wahlen  – und vertreibt nach 14 Jahren die Tories von der Macht. Die hatten bis vor wenigen Jahren noch eine recht progressive Umwelt- und Klimapolitik gefahren. So gab es etwa einen weitgehenden Kohleausstieg und ein ehrgeiziges Verbrenner-Aus. Auf der Uno-Klimakonferenz in Glasgow kündigte Ex-Premier Boris Johnson 2021 an, England werde das »Saudi-Arabien der Windenergie« und versprach ein Zulassungsstopp von neuen Benzin- und Dieselautos ab 2030. Das war ehrgeizig, in der EU konnte man sich nur auf 2035 einigen. Und sogar das soll nun wieder gekippt werden .

Doch der gerade abgewählte Premierminister Rishi Sunak von den Tories drehte vieles wieder zurück, unter anderem verschob er das Verbrenner-Aus auf 2035, vergab neue Öl- und Gaslizenzen und verschob die Wärmewende in Privathaushalten. Ganz anders Labor: Keir Starmer will keine neuen Öl- und Gaslizenzen vergeben, dafür erneuerbarer Energien schneller ausbauen und Häuser dämmen. Nach den unschönen Bildern von Flüssen , die zu stinkenden Kloaken werden, möchte die neue Regierung zudem strengere Umweltvorschriften beim Abwasser durchsetzen. Die Umwelt- und Klimawende in dem Land sehnen viele Wählerinnen so sehr herbei, dass selbst in traditionellen Tory-Wahlkreisen Leute in Interviews einen Wechsel herbeisehnten – auch wegen der stinkenden Flüsse.

Ob die Klimapolitik unter Labor wirklich zu einer Priorität wird, muss sich zeigen. Im Wahlkampf jedenfalls hielten sich alle Seiten bei dem Thema zurück. »Klima« tauchte nur in acht Prozent der Berichterstattung während des Wahlkampfes auf, 2019 waren es noch 17 Prozent. »Ich glaube, keine der beiden großen Parteien will darüber sprechen, weil sie das Gefühl haben, dass sie keine besonders starken Argumente haben«, sagte Bob Ward, von der London School of Economics and Political Science. Die beiden Parteien hätten ihre Wahlkampfschwerpunkte weitgehend auf andere Bereiche gelegt. Es ist zu hoffen, dass sich das nun ändert.

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Unwetter in Paris: Der RN könnte demnächst auch die europäische Zusammenarbeit in der Klimapolitik ausbremsen

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Foto: Deejpilot / Getty Images

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