Zum Inhalt springen

Zum Tod von Thomas Heise Von einem, der nach beständiger Wahrhaftigkeit suchte

Der Berliner Regisseur Thomas Heise machte nicht bloß großartige Dokumentarfilme, er schuf ein Kaleidoskop der ostdeutschen Wendeerfahrung. Sein Tod reißt eine Lücke in den deutschen Film. Die Erinnerung eines Weggefährten.
Ein Nachruf von Gerd Kroske
Dokumentarfilmer Thomas Heise starb am 29. Mai nach kurzer, schwerer Krankheit

Dokumentarfilmer Thomas Heise starb am 29. Mai nach kurzer, schwerer Krankheit

Foto:

Reiner Zensen / IMAGO

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Unser erstes Aufeinandertreffen, dem eine Zusammenarbeit an seinem Film »Imbiss Spezial« (DDR, 1989) folgte, war bizarr. Hatte ich allzu sehr von meinem grandiosen Bildungserlebnis mit seinem Vater Prof. Wolfgang Heise geschwärmt, in dessen Oberseminar ich war?

Er, sein Vater, war eine Lichtgestalt, die das eigene Denken in Schwung bringen konnte. Und von dieser Erfahrung erzählte ich damals mit Begeisterung seinem Sohn. Thomas Heises Reaktion darauf war für mich sehr ernüchternd: Er, der von der Staatlichen Hochschule für Film und Fernsehen der DDR »Konrad Wolf« in Potsdam-Babelsberg aus dem Regiestudium vergrault worden war, meinte zu meinen begeisterten Schilderungen nur lakonisch: »Ich kenne meinen Vater nur am Schreibtisch von hinten.«

Unabhängig und unbelehrbar

In dem Satz steckte all die Erfahrung des Nichtwahrgenommenseins und seiner Suche nach einem Vaterersatz. Heiner Müller füllte für ihn diese Lücke aus. Erst viel später, als wir uns besser kannten und diese Kluft zwischen uns aufgelöst schien, da erzählte er mir, warum er ganz bewusst sein Fach der Filmregie gewählt hatte. Es war das einzige Feld, auf dem sich sein Vater als Philosoph nicht auskannte und Thomas unabhängig und unbelehrbar seinen Leidenschaften beim Filmemachen nachgehen konnte.

Szene aus Thomas Heises Film »Mein Bruder – we'll meet again«, 2005

Szene aus Thomas Heises Film »Mein Bruder – we'll meet again«, 2005

Foto: ddp images

In seinem letzten Film »Heimat ist ein Raum aus Zeit« hat er dieses »angeschrammte Verhältnis« Jahre später filmisch thematisiert und mit den grauenhaften Wirrnissen des zwanzigsten Jahrhunderts verknüpft. Dass er hierin das eigene ICH-sagen voller Respekt vor seinen Eltern zu setzen wusste, das hatte auch mit seiner über Jahre vollzogenen Loslösung von den überbordenden Erwartungen an ihn zu tun. Es tut ja niemanden gut, immerzu an dem eigenen Elternhaus gemessen zu werden. Mit dem Filmemachen erschuf er sich so die souveräne Autonomie und machte großartige Dokumentarfilme. »Stau - Jetzt geht's los«, »Eisenzeit«, »Vaterland«, »Material«, all das sind Filme von Bestand.

Mit Verve und Vertrauen in seinen Stoff sind in seinen Filmen mit erstaunlich anzusehender Leichtigkeit Episoden, Schnipsel, Randgeschichten und Abbrüche zu einem Kaleidoskop der ostdeutschen Wendeerfahrung verwoben, wie sie nur Marcel Ophüls mit ebenso sicherer Hand einmal in »November Days« erschuf. Die scheinbare Sprödigkeit unzusammenhängender Erzählungen erzeugt bei Heises Film einen Sog, der brillant all die auch erzeugten Verstörungen jener Jahre einbrennt. Dass er bei seinem Zugriff auf Stoffe und dem Filmemachen enervierend, fordernd und sehr selbstbestimmt war, das wissen alle, die mit ihm zusammengearbeitet haben. Sein Suchen nach beständiger Wahrhaftigkeit konnte bei ihm nahezu manisch werden. Ignoranz und »faules Denken« konnten ihn zur Weißglut treiben.

Die eigene verwundbare Frontalansicht

»Wir machen Filme fürs Archiv, aber das wird man einmal brauchen«, war dabei sein Credo. Stoisch und klar in der Präsenz seiner Sicht, fernab von den gängigen kunstfernen Verwertungsmechanismen der etablierten westdeutsch dominierten Filmbranche entstanden Dokumentarfilme, die international anerkannt sind. Die Prämierungen seines Werks und sein Ruf als Filmlehrer sind legendär. Das, was er in der Ausbildung des Filmnachwuchses einlöste, war auch ein Talent, dessen Herkunft für mich unverkennbar bleibt. Doch da zeigte er keine Rückenansicht, sondern die eigene verwundbare Frontalansicht.

Gerade hatten wir noch mit Thomas und Gleichgesinnten in einer Filminitiative versucht, Abgeordneten die Schwierigkeiten des Filmemachens nahezubringen und unsere drängenden Erwartungen an die Filmpolitik formuliert. Leider verhallte das bei den Kulturfunktionären ungehört. Sein fordernder Pragmatismus dabei, die Lust am Streit und der Auseinandersetzung für eine lohnende Sache und seine Fähigkeit, Allianzen über die eigenen Ansichten hinaus bilden zu können, das wird nun unter uns eine Lücke reißen. Das allein ist schon unvorstellbar. Seine aktuell geplanten Filme, all die entworfenen Ideen, die nun nicht mehr entstehen werden, gehen uns mit ihm schmerzlich verloren.