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75 Jahre Bundesrepublik »Um unser Grundgesetz lebendig zu halten, kommt es auf jeden Einzelnen an«
Dein SPIEGEL: Kann man sich auch als Kind auf das Grundgesetz berufen?
Hailbronner: Ja, klar. Ein Beispiel: die Meinungs- und die Pressefreiheit. Schülerinnen und Schüler können sich etwa darauf berufen, wenn sie einen kritischen Artikel in der Schülerzeitung veröffentlichen wollen, obwohl die Schulleiterin das verbieten will.
Dein SPIEGEL: Gerade reden viele von der wehrhaften Demokratie – was ist damit gemeint?
Hailbronner: Eigentlich ist es ja so in der Demokratie: Hier sollen alle miteinander streiten und unterschiedliche Vorstellungen haben können. Und die Parteien sollen für ihre Anliegen bei den Wählerinnen und Wählern werben dürfen. Wehrhafte Demokratie bedeutet, dass es dafür aber gewisse Grenzen gibt. Das Bundesverfassungsgericht würde zum Beispiel sagen, dass Parteien nicht die Grundsätze der Demokratie, des Rechtsstaats und der Menschenwürde angreifen dürfen. Wenn man etwa meint, nur solche Leute dürften wählen, die eine bestimmte Hautfarbe haben, dann ist das rassistisch und nicht mit der Verfassung vereinbar. Parteien, die so eine Politik machen, können verboten werden.
»Herr Bundespräsident, welche Sorgen haben Sie?« Das wollten Clara und Bruno, beide 13, von Frank-Walter Steinmeier wissen. Sie trafen ihn zum Interview im Schloss Bellevue. Außerdem fragten sie, wie Steinmeier schwierige Termine meistert, ob er sich bei einem Bankett schon einmal einen Teller Spaghetti bolognese übers Hemd gekippt hat – und welchen Satz aus dem Grundgesetz er sich tätowieren lassen würde. Steinmeiers Antworten gibt es in der neuen Ausgabe von »Dein SPIEGEL«, dem Nachrichten-Magazin für Kinder. Außerdem im Heft: wie ein Verein für mehr Spaß am Mathematikunterricht sorgen will. »Dein SPIEGEL« gibt es am Kiosk, ausgewählte Artikel online. Erwachsene können das Heft auch hier kaufen:
Dein SPIEGEL: Ist das Grundgesetz eine Erfolgsgeschichte?
Hailbronner: Ja, wir leben in einem Land, in dem wir viele Freiheiten haben und in dem es bestimmte Grundsätze der Gleichheit gibt. Das Grundgesetz hat damit viel zu tun, aber auch nicht alles.
Dein SPIEGEL: Das müssen Sie erklären.
Hailbronner: Dass es den Menschen hierzulande in den vergangenen Jahrzehnten so gut ging, hängt auch mit wirtschaftlichen und politischen Erfolgen zusammen. In den Fünfzigerjahren ging es mit dem Wohlstand steil bergauf. Und es gab lange Zeit Frieden zwischen den europäischen Staaten, was ja vor 1945 nicht so war. Dahinter steht auch eine Übereinkunft unter den Politikerinnen und Politikern, mehr zusammenzuarbeiten und Kompromisse zu finden. Diese politische Kultur ist ganz wichtig.
Dein SPIEGEL: Können sich auch Kinder daran beteiligen?
Hailbronner: Um unser Grundgesetz lebendig zu halten, kommt es auf jeden Einzelnen an, nicht nur auf irgendwelche Verfassungsrichterinnen und -richter, die in Karlsruhe sitzen. Es geht darum, die Grundrechte ernst zu nehmen und zu sagen: Die Meinungsfreiheit ist mir wichtig – oder die Gleichheit von allen Menschen. Dafür stehe ich ein, ich bin bereit, mich mit anderen politisch zu organisieren und vielleicht auch nicht nur für meine eigenen Rechte zu kämpfen. Grundrechte werden auch gelebt, wenn jemand politischen Protest organisiert oder sich in einer Partei für bestimmte Ideen einsetzt.
Dieser Interview erschien in »Dein SPIEGEL« 5/2024.
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