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Soeren Stache / dpa

Bewegung in der Schule Wie kann der Sportunterricht besser werden?

Bewegung soll Spaß machen. Doch viele Kinder erleben beim Schulsport eher das Gegenteil. Wo genau liegen die Probleme? Und wie sollte man die Sportstunden gestalten, damit alle etwas davon haben?
Von Deborah Weber aus Dein SPIEGEL 4/2024

Im Schulbus, vor den Hausaufgaben, an der Playstation, beim Abendessen: Kinder verbringen viele Stunden ihres Tages im Sitzen. Die Weltgesundheitsorganisation hat dazu eine Studie durchgeführt und herausgefunden: Acht von zehn Kindern und Jugendlichen in Deutschland bewegen sich zu wenig. Das ist ein Problem. Wer sich nicht genug bewegt, wird schneller krank. Man bekommt Rückenschmerzen, die Gefahr von Herzkrankheiten oder Übergewicht steigt. »Deshalb ist Sportunterricht so wichtig«, sagt Janes Veit. Der 38-Jährige arbeitet als Sportlehrer an einer Gesamtschule in Hessen. »Im Schulsport geht es zuallererst um Spaß an der Bewegung. Außerdem lernen Kinder dabei Miteinander, Fairness und Teamplay. All das ist wichtig für das ganze Leben«, sagt Janes Veit.

Bewegung hilft, Stress abzubauen und den Kopf freizubekommen. Außerdem kann jedes Kind daran teilnehmen, egal wie viel Geld die Familie hat. Denn nicht alle Eltern können sich die Mitgliedschaft in einem Verein leisten. Sportarten wie Tennis, Skifahren oder Ballett sind teuer, der Eintritt für Trampolin- oder Boulderhallen auch. »Diejenigen, die in der Schule sonst oft schwächer sind, können beim Sport ihre Stärken zeigen. Und im besten Fall macht er nicht nur den Sportskanonen Spaß, sondern allen.«

Das Hauptproblem mit dem Schulsport: Er holt nicht alle ab. »In einer Klasse sind alle unterschiedlich fit. Da gibt es die Leistungssportlerin, die jeden Tag trainiert, und ihren Klassenkameraden, der zwar super Comics zeichnen kann, aber an Sport so gar keinen Spaß hat. Wenn die beiden um die Wette rennen, ist doch klar, wer gewinnt«, sagt Janes Veit.

Im Referendariat vor zwölf Jahren merkte der Lehrer schnell, dass er mit dem, was Lehrkräfte über Sportunterricht lernen, wenig anfangen konnte. Zusammen mit zwei Kollegen überlegte er sich Aufwärmspiele und Methoden. Um die Ideen zu veröffentlichen, gründeten sie die Internet-Plattform WIMASU. Die Buchstaben stehen für den Satz: Wir machen Sportunterricht. Inzwischen, zehn Jahre später, besteht das WIMASU-Team aus acht Leuten. Lehrkräfte aus ganz Deutschland laden sich dort Materialien herunter und probieren die Ideen mit ihren Schulklassen aus.

Dein SPIEGEL: Anpfiff für die Schule
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Für manche Kinder ist der Sport das Lieblingsfach in der Schule, für andere eine wöchentliche Demütigung. Wie kann der Sportunterricht aussehen, damit alle etwas davon haben? Und warum funktioniert das an vielen Schulen Deutschlands nicht? Darum geht es in der neuen Ausgabe von »Dein SPIEGEL«, dem Nachrichten-Magazin für Kinder. Außerdem im Heft: Ein Fluglotse berichtet von seinem Berufsalltag auf dem Tower. Und: der Konflikt im Roten Meer für Kinder erklärt – worum geht es den Huthi-Kämpfern? »Dein SPIEGEL« gibt es am Kiosk, ausgewählte Artikel online. Erwachsene können das Heft auch hier kaufen:

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Das Motto dabei lautet: Sportunterricht muss abwechslungsreicher sein. »Meine Aufgabe ist es, für jedes Kind den richtigen Sport zu suchen. Allen soll ermöglicht werden zu lernen, dass Bewegung Spaß macht«, sagt Janes Veit. Deshalb probiert er mit seinen Klassen auch ungewöhnliche Sportarten aus. Ultimate Frisbee statt Weitwurf, Spikeball statt Speerwurf, Parcours statt Hochsprung.

Doch auch bei diesen Disziplinen sind manche Kinder im Vorteil, etwa weil sie größer oder schneller sind. Der Sportlehrer versucht, solche Bedingungen auszugleichen, um die Wettkämpfe für alle fairer zu gestalten. Etwa beim klassischen Fangen: »Die Schnellsten kriegen ein Handicap, das es für sie schwerer macht, sie müssen beispielsweise einen Medizinball mit sich herumtragen. Die Schwächeren bekommen im Gegenzug eine Superkraft und dürfen die anderen nicht nur fangen, sondern abwerfen. So wird das Ganze spielerischer und, zack, haben alle Spaß daran«, erklärt er.

Manchmal baut der Lehrer auch bewusst Spiele ein, bei denen die Sportlichen keinen Vorteil haben, etwa einen Minigolf-Parcours oder ein Flummi-Turnier. »Wenn dabei plötzlich ein Kind gewinnt, das im Sport noch nie gewonnen hat, ist das ein Erfolgserlebnis und gibt Selbst­vertrauen.«

Gewinnen und Verlieren stehen bei ihm jedoch nicht im Zentrum, genauso wenig wie Noten. Er findet es wichtig, individuell zu bewerten. »In einer klassischen Notentabelle steht: Mit zwölf Jahren sollte man so und so schnell rennen. Wer das nicht tut, schneidet schlechter ab. Dabei ist doch viel wichtiger: Wie stark hat sich jemand verbessert? Und wie viel Mühe gibt sich das Kind?« Wettstreit und Zensuren könnten die Klassen zwar anspornen, ihr Bestes zu geben. Trotzdem müsse am Ende einer Unterrichtsreihe nicht zwingend eine Prüfung stehen. »Man kann stattdessen auch ein Abschlussturnier veranstalten, eine Vorführung am Elternabend oder einen gemeinsamen Ausflug in die Boulderhalle«, sagt Janes Veit.

Wenn ein Kind nicht vor der Klasse vorturnen wolle, müsse die Lehrkraft abwägen: »Manchmal ist es wichtig, die Person anzuspornen: Trau dich, du schaffst das!« Wenn Janes dagegen merkt, dass wirklich Angst dahintersteckt, sucht er andere Möglichkeiten. Beispielsweise könne sich die Person selbst zu Hause filmen, während sie die Übung ausführt. Der Sportlehrer kann sich das Video dann ansehen und die Leistung darin beurteilen. »Schülerinnen und Schüler sollen ja nach dem bewertet werden, was sie können. Wenn sie vor Druck und Nervosität gelähmt sind, bringt das niemandem etwas«, sagt der Sportlehrer.

»Bei mir wird nicht ausgelacht, da bin ich streng.«

Sportlehrer Janes Veit

Denn: Demütigungen im Sportunterricht sind ein Problem. Wer nicht zu den Besten gehört, hat oft Angst davor, vor der Klasse zu versagen oder ausgelacht zu werden. Schlechte Erfahrungen im Schulsport können dazu führen, dass sich Kinder und Jugendliche für unsportlich halten und auch in der Freizeit nicht gern Sport treiben. Das hat ein europäisches Forschungsteam herausgefunden.

Janes Veit ist es wichtig, dass Sportlehrkräfte sensibel mit körperlichen Unsicherheiten umgehen: »Bei mir wird nicht ausgelacht, da bin ich streng. Es gibt App­lauspflicht vor und nach einer Aufführung.« Auch das öffentliche Wählen von Mannschaften gehört zu solchen Bloßstellungen. Denn wer unsport­licher oder weniger beliebt ist, wird meist zuletzt gewählt – und das ist verletzend. Warum solche Demütigungen im Sportunterricht nicht dasselbe sind wie in Mathematik oder Deutsch, erzählt Sportwissenschaft­lerin Ina Hunger hier.

Eines aber hat der Sportunterricht mit allen anderen Schulfächern gemein: Ob Unterricht gut oder schlecht ist, hängt von der Lehrkraft ab. Doch in Deutschland herrscht seit Jahren Lehrermangel, viel Unterricht muss deshalb ausfallen. Ein vermeintlich unwichtiges Nebenfach wie Sport wird oft eher gestrichen als Mathe oder Deutsch. Ein weiteres Problem sind die Sporthallen. Oft sind sie schlecht ausgestattet oder baufällig.

Manche Schulen müssen ganz ohne Turnhalle auskommen. So geht es auch der Heinrich-Böll-Gesamtschule in Köln. Seit fast zwei Jahren ist die Sporthalle der Schule gesperrt, weil das Dach einstürzen könnte. »Wir dürfen zum Glück die Anlagen der umliegenden Schulen und des Tennisvereins nutzen. Aber das ist keine Dauerlösung«, sagt Schulleiter Rolf Grisard. Im Sportunterricht wird seitdem improvisiert, beispielsweise mit Jonglierbällen und Tischtennisplatten im Pausenhof. »Von Anfang an ist klar gewesen, dass es teuer wird, die Sporthalle zu reparieren. Bis solche Bauvorhaben genehmigt werden, kann es dauern«, sagt Rolf Grisard.

Viele deutsche Schulen stehen vor dem gleichen Problem. Allein in Köln ist jede sechste Sportanlage defekt. Der Deutsche Olympische Sportbund schätzt, dass es mehr als 30 Milliarden Euro kosten würde, die Turnhallen und Schwimmbäder in ganz Deutschland zu reparieren. »Es braucht daher jemanden, der Druck bei Verwaltung und Politik macht. Alle müssen zusammenkommen, um Lösungen zu finden«, sagt Grisard. An der Heinrich-Böll-Gesamtschule ist das nun gelungen. Momentan wird dort ein zweites Dach über die Sporthalle gebaut, sodass sie bei starkem Regen oder Schnee geschützt ist. Der Schulleiter hofft, dass der Sportunterricht bald wieder in der Halle stattfinden kann. »Um solche Probleme zu lösen, ist es wichtig, dass alle miteinander reden«, sagt er.

Innerhalb der Klassen sei Mitspracherecht genauso wichtig. Zum Beispiel, indem Lehrkräfte die Schülerinnen und Schüler regelmäßig fragen, was sie sich im Schulsport wünschen und welche Sportart sie gern ausprobieren würden. Auch wir haben euch nach euren Erfahrungen gefragt. Viele von euch haben uns geschrieben und von ihren Erfahrungen im Schulsport erzählt. Die könnt ihr hier lesen.

Dieser Artikel erschien in »Dein SPIEGEL« 4/2024.

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