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Frankreich Linksbündnis liegt bei Parlamentswahlen überraschend vorn

Bei den Parlamentswahlen in Frankreich ist das neu geformte Linksbündnis unter Jean-Luc Mélenchon stärkste Kraft geworden, hat die absolute Mehrheit aber verfehlt. Die Rechtsnationalen liegen in den Prognosen noch hinter dem Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron. Eine Regierungsbildung wird schwierig werden.
Wahlsieger: Der Kandidat des Linksbündnisses Jean-Luc Mélenchon meldete Regierungsansprüche an

Wahlsieger: Der Kandidat des Linksbündnisses Jean-Luc Mélenchon meldete Regierungsansprüche an

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Sylvain Thomas / AFP

Bei der Parlamentswahl in Frankreich liegt entgegen aller Erwartungen das Linksbündnis vorn. Das rechtsnationale Rassemblement National schnitt laut dem vorläufigen Ergebnis deutlich schlechter ab als angenommen. Es landete nur auf dem dritten Platz hinter dem Mitte-Lager von Staatspräsident Emmanuel Macron. Die absolute Mehrheit von 289 Sitzen hat keines der Lager erreicht.

Das linke Bündnis Nouveau Front Populaire wird dem vorläufigen Wahlergebnis zufolge auf 182 der 577 Sitze im Parlament kommen. Macrons Kräfte (Ensemble) bekommen demnach 168 Mandate und das Rassemblement National (RN) um Marine Le Pen und seine Verbündeten 143 Sitze.

Premierminister Gabriel Attal zog nach der Wahl Konsequenzen und kündigte an, seinen Rücktritt einzureichen. Ob Präsident Macron das Rücktrittsgesuch annehmen wird, ist offen.

Das links-grüne Wahlbündnis in Frankreich hat angesichts der Ergebnisse Anspruch auf die Regierungsbildung erhoben. „Die Neue Volksfront ist bereit zum Regieren“, sagte der frühere Parteichef der linkspopulistischen Partei La France Insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon (72), am Sonntagabend in Paris.

Überraschungserfolg mit Zweckbündnis

Das Ergebnis kommt in Frankreich vollkommen überraschend. Nach der ersten Wahlrunde vor einer Woche sahen Prognosen das RN noch knapp unter der absoluten Mehrheit und damit möglicherweise in der Lage, die nächste Regierung zu stellen. Deutlich zugelegt hat das RN dennoch: Im aufgelösten Parlament hatte es noch 88 Sitze.

Linke und Macrons Mitte-Kräfte hatten vor der zweiten Wahlrunde eine Zweckallianz gebildet. Um sich in Wahlkreisen, in denen drei Kandidaten in die zweite Runde kamen, nicht gegenseitig Stimmen wegzunehmen und dem RN so lokal zum Sieg zu verhelfen, zogen sich etliche Kandidaten der Linken und der Liberalen zurück. Ihre Wählerschaft riefen sie dazu auf, in jedem Fall gegen das RN zu stimmen.

Das Ergebnis zeigt nun ganz klar: Trotz aller Zweifel hält die Brandmauer gegen Rechts. Die Wahlbeteiligung lag mit 67,5 Prozent deutlich über den Werten der vergangenen Jahre.

Linksbündnis ist weiterhin zerstritten

Frankreichs gespaltene Linke hatte sich erst vor wenigen Wochen für die Parlamentswahl zum Nouveau Front Populaire zusammengeschlossen. Streit gibt es innerhalb der Linken vor allem über die altlinke Führungsikone Mélenchon. Der Populist, der mit euroskeptischen Aussagen auffällt und einen klar propalästinensischen Kurs fährt, wird selbst in seiner Partei heftig kritisiert. Eine klare Führung hat das Bündnis aus Linken, Kommunisten, Sozialisten und Grünen nicht. Auch ein gemeinsames Programm gibt es nicht.

Wie es weitergeht, ist vorerst unklar. Ob die Linken allein eine Minderheitsregierung auf die Beine stellen können, ist angesichts der internen Differenzen zweifelhaft. Die anderen Fraktionen könnten eine solche Regierung per Misstrauensvotum stürzen.

Kommt Minderheitsregierung oder Große Koalition?

Die Linken könnten auch versuchen, von den Mitte-Kräften Unterstützung zu bekommen – entweder als eine Minderheitsregierung mit Duldung oder in einer Art Großen Koalition. Angesichts der gegensätzlichen politischen Ausrichtungen ist allerdings nicht abzusehen, ob dies gelingen könnte. Sozialistenchef Olivier Faure sprach sich zudem bereits gegen eine Koalition mit Macrons Lager aus. Der führende Sozialdemokrat Raphaël Glucksmann brachte Zusammenarbeiten bei einzelnen Vorhaben ins Spiel.

Aus dem Élysée-Palast hieß es, die Frage werde sein, ob eine Koalition mit Zusammenhalt gebildet werden kann, um die absolute Mehrheit zu erreichen, wie der Sender BFMTV berichtete.

Unklar ist, ob Staatschef Macron nun den Rücktritt Attals annehmen und einen Linken zum Premier ernennen wird. In einer solchen Konstellation würde Macron an Macht einbüßen, der Premier, der die Regierungsgeschäfte leitet, würde wichtiger. Was dies für Deutschland und Europa hieße, ist unklar und hinge wohl stark davon ab, wer auf den Posten käme. Das Linksbündnis vertritt bei vielen großen politischen Themen sehr unterschiedliche Positionen.

Erleichterung in Berlin und Brüssel

Sollte keines der Lager eine Regierungsmehrheit finden, könnte die aktuelle Regierung übergangsweise die Amtsgeschäfte führen oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Frankreich droht in einem solchen Szenario politischer Stillstand. Eine erneute Auflösung des Parlaments durch Macron und Neuwahlen sind erst im Juli 2025 wieder möglich. Für Deutschland und Europa hieße das, dass Paris als wichtiger Akteur in Europa und als Teil des deutsch-französischen Tandems nicht mehr tatkräftig zur Verfügung stehen würde.

Brüssel und Berlin dürften von dem Wahlausgang erleichtert sein. Eine Regierung der Rechtsnationalen, wohl das Schreckszenario für Deutschland und die EU, scheint abgewendet. Das RN hält im Gegensatz zu Macron wenig von der seit Jahrzehnten engen Zusammenarbeit mit Berlin. Die Europaskeptiker streben zudem danach, den Einfluss der EU in Frankreich einzudämmen.

Zweifel am Wandel von Le Pens Partei

Den Rechtsnationalen wurde das Zweckbündnis der linken und liberalen Kräfte für die zweite Wahlrunde zum großen Nachteil. Außerdem gab es Aufregung um frühere, mutmaßlich rechtsextreme oder antisemitische Aussagen von RN-Kandidaten. Dies säte Zweifel an der von Marine Le Pen betriebenen "Entteufelung" der Partei. Mit diesem Kurs versucht Le Pen seit Jahren, ihre Partei gemäßigter erscheinen zu lassen und bis in die bürgerliche Mitte hinein wählbar zu machen.

RN-Chef Jordan Bardella beschimpfte die politischen Gegner noch am Abend der Wahl. Das Mitte-Lager von Macron und das Linksbündnis bezeichnete er als "Einheitspartei" und "Bündnis der Schande".

Die Linken profitierten von ihrem im Eiltempo gebildeten Bündnis. Auch dass sie die Führungsfrage offen ließen, dürfte ihnen geholfen haben, diejenigen Wähler hinter sich zu vereinen, die ein Problem mit Mélenchon haben. Außerdem dürften die Linken wegen der Verunsicherung und Angst vor einem historischen Rechtsruck in Frankreich und einer rechtsnationalen Regierung deutlich mehr Zuspruch bekommen haben.

Für den unpopulären Macron ist das Ergebnis weniger vernichtend als erwartet. Macron scheiterte zwar mit dem Versuch, die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte mit den Neuwahlen auszubauen. Immerhin könnte seine Fraktion aber noch vor Le Pens Rechtsnationalen zweite Kraft werden und mit den Linken in Regierungsverantwortung sein.

Wahlbeteiligung so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr

Das Interesse an der Wahl war groß: Um 17.00 Uhr lag die Beteiligung bei 59,71 Prozent, wie das Innenministerium in Paris mitteilte. 2022 lag der Wert zur gleichen Zeit bei 38,11 Prozent. Beim ersten Wahlgang vor einer Woche hatte die Beteiligung insgesamt bei 66,71 Prozent gelegen. Nach Angaben des Fernsehsenders BFMTV könnte es sich nun um die höchste Wahlbeteiligung seit 1997 handeln.

Auf der berühmten Pariser Einkaufsmeile Champs-Elysées wurden nach Angaben des Senders franceinfo bereits mehrere Geschäfte in Erwartung von Ausschreitungen verbarrikadiert. Die Sicherheitskräfte haben sich auf mögliche Unruhen vorbereitet: 30.000 Polizisten wurden mobilisiert, 5000 Beamte sollen alleine in Paris und seinen Vororten zum Einsatz kommen, wie Innenminister Gérald Darmanin (41) zuvor angekündigt hatte.

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dri/dpa, Reuters, afp