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Sonde »Chang’e-6« China gelingt historischer Gesteinstransport vom Mond

Ein Roboter hat erstmals Gestein und Staub von der erdabgewandten Seite des Mondes zur Erde gebracht. Die Proben sollen helfen, ein altes Rätsel zu lösen. Und sind zugleich ein Meilenstein für Pekings Ambitionen im All.
aus DER SPIEGEL 27/2024
»Chang’e-6« nach der Landung: Gestein von der Rückseite des Mondes konnte bisher noch nie in Laboren auf der Erde untersucht werden

»Chang’e-6« nach der Landung: Gestein von der Rückseite des Mondes konnte bisher noch nie in Laboren auf der Erde untersucht werden

Foto: Lian Zhen / Xinhua News Agency / IMAGO

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»The Dark Side of the Moon« ist der Titel eines 51 Jahre alten Albums der britischen Rockband Pink Floyd, doch bei der »dunklen Seite des Mondes« handelt es sich um einen Mythos. Es gibt sie gar nicht. Finster war lediglich für viele Jahrtausende das menschliche Verständnis dessen, was auf der erdabgewandten Seite des Mondes – so muss es nämlich richtig heißen – eigentlich los ist.

Das liegt daran, dass wir sie nicht sehen können, wofür ein bemerkenswerter Effekt verantwortlich ist: Der Mond dreht sich um die Erde, außerdem dreht er sich um sich selbst. Und dies tut er genauso schnell, dass von uns aus lediglich eine seiner beiden Seiten zu erkennen ist. Nur sie bestaunen wir – voll, halb oder als Sichel.

Wer wissen will, wie es auf der anderen Seite aussieht, der muss zum Mond fliegen. Erste Fotos von der sowjetischen Sonde »Luna 3« aus dem Herbst 1959 waren zwar unscharf, aber trotzdem hilfreich: Sie zeigten, dass dunkle Mondbereiche, auf der Mondvorderseite einst von flüssigem Magma gebildet, auf der Rückseite kaum existieren. Die angeblich dunkle Seite des Mondes ist in der Realität also die hellere. Warum das so ist, konnten Fachleute bislang nicht erklären. Gestein von der Rückseite des Mondes konnte noch nie in Laboren auf der Erde untersucht werden. Bis jetzt.

Vermutet wird, dass der einstige Einschlag eines rund 800 Kilometer messenden Himmelskörpers auf der erdzugewandten Seite für die Helligkeitsunterschiede verantwortlich sein könnte. Er prägte demnach auch die Oberfläche der anderen Seite. Das jedenfalls ist das Ergebnis von Computersimulationen  eines internationalen Teams, zu dem auch Forschende aus Deutschland gehören. Doch der endgültige Beweis fehlt noch.

Seit dem Beginn des Raumfahrtzeitalters landeten alle Forschungsroboter und alle Raumfahrer, die zum Mond flogen, immer auf seiner Vorderseite – weil sie nur so mit der Erde kommunizieren konnten. Das gesamte von Amerikanern, Sowjets und Chinesen eingesammelte Mondmaterial, fast 400 Kilogramm,  stammt von dort.

China gelang mit Kommunikationssatelliten am Mond und autonom agierenden Robotern das Kunststück: Im Januar 2019 setzte die Sonde »Chang’e-4« als Erste auf der erdabgewandten Seite auf. Und jetzt, noch einmal mehr als fünf Jahre später, hat eine weitere chinesische Sonde, »Chang’e-6«, erstmals Staub und Gestein von dort zur Erde gebracht.

Am Fallschirm in die Steppe

»Das sind völlig neuartige Proben«, sagt der Planetologe Harald Hiesinger von der Universität Münster dem SPIEGEL. Die Mission der Chinesen nennt der Forscher eine »technische Meisterleistung«. Das Material, so der Geologe Zongyu Yue von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften, soll eine der »grundlegendsten wissenschaftlichen Fragen der Mondforschung beantworten: Welche geologische Aktivität ist für die Unterschiede zwischen den beiden Seiten verantwortlich?«

Panorama der Landestelle: Unterschiede zwischen den beiden Seiten

Panorama der Landestelle: Unterschiede zwischen den beiden Seiten

Foto: Jin Liwang Xinhua / Xinhua / eyevine / laif

»Chang’e-6« war am 3. Mai zu der historischen Mission gestartet. Am 1. Juni landete der Roboter im Bereich des Apollo-Beckens auf der Mondrückseite. Hier sammelte er mit einer Schaufel und einem Bohrer rund zwei Kilogramm Staub- und Gesteinsmaterial ein. Anschließend flog eine Aufstiegsstufe die wertvolle Fracht in die Mondumlaufbahn. Der Probenbehälter wurde dort in ein kleines Raumfahrzeug umgeladen, das ihn Richtung Erde brachte. Die Rückkehrkapsel schwebte schließlich am Dienstag an einem Fallschirm zum Erdboden nieder und landete in der windigen Steppe der chinesischen Provinz Innere Mongolei.

Die Chinesen haben ihre Proben in geologisch hochinteressantem Terrain gesammelt: Das Apollo-Becken gehört zu einem der größten Krater des Sonnensystems, dem riesigen Südpol-Aitken-Becken. Dieses mehr als 2000 Kilometer weite und rund 10 Kilometer tiefe Loch wurde vor 4,3 Milliarden Jahren beim Einschlag eines mächtigen Himmelskörpers in die sich gerade verfestigende Mondkruste gerissen.

»Wir hoffen, dass sich in den Proben von ›Chang’e-6‹ Material aus dem darunter liegenden Mondmantel befindet, der bei dem Einschlag freigelegt wurde«, sagt Hiesinger. »Die zwei Kilogramm sind eine große Probenmenge. Ich gehe davon aus, dass sie viele verschiedene Materialien enthalten.«

Chinesischer Roboter bei der Probenentnahme: Gravitation nur bei einem Sechstel der Erde

Chinesischer Roboter bei der Probenentnahme: Gravitation nur bei einem Sechstel der Erde

Foto: Jin Liwang Xinhua / Xinhua News Agency / picture alliance

Bei Einschlägen auf dem Mond aufgeworfener Staub und Gestein können große Distanzen zurücklegen. Eine Atmosphäre gibt es nicht, außerdem liegt die Gravitation nur bei einem Sechstel des Wertes auf der Erde. So könnte es sein, dass geologische Zeugnisse des Einschlags im Südpol-Aitken-Becken bis zur Landestelle von »Chang’e-6« gelangt sind.

Für China ist die erfolgreiche Rückkehr der Sonde mit ihrer wissenschaftlichen Fracht ein weiterer Schritt in dem ambitionierten Mondprogramm , das sie seit Jahren verfolgen. Dessen bisher sechs robotische Missionen bauten jeweils aufeinander auf. Das bisherige Highlight war ein automatischer Probentransport von der Vorderseite des Mondes mit »Chang’e-5«. Nun hat »Chang’e-6« mit dem Beutezug auf der Rückseite noch einmal einen draufgesetzt.

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Für die Jahre 2026 und 2028 planen die Chinesen noch zwei weitere robotische Landungen. Dann sollen um das Jahr 2030 erstmals auch zwei chinesische Raumfahrer in der Südpolregion des Mondes aufsetzen.

Während diese erste astronautische Mission zunächst noch kurz ausfallen wird, gedacht ist an einige Stunden, soll in den darauffolgenden Jahren eine Mondbasis entstehen. An ihr will sich unter anderem Russland beteiligen. Auch die USA und ihre Partner, zu denen auch die Europäische Weltraumorganisation (Esa) gehört, planen im Rahmen der Artemis-Missionen die Landung von Frauen und Männern auf dem Mond und den Bau einer Station dort.

Chinesische Fahne am Lander von »Chang’e-6«: Interessanter Standort für Forschungs-Außenposten

Chinesische Fahne am Lander von »Chang’e-6«: Interessanter Standort für Forschungs-Außenposten

Foto: Jin Liwang Xinhua / Xinhua News Agency / picture alliance

Der Mond-Südpol gilt als interessanter Standort für Forschungs-Außenposten, weil sich in der Tiefe der schattigen Krater dort große Mengen Wassereis  erhalten haben sollen. Dieser Rohstoff soll für die Trinkwasserversorgung zukünftiger Stationen ebenso genutzt werden wie als Bestandteil von Raketentreibstoff für die weitere Erkundung des Sonnensystems.

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