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Mangelnder Klimaschutz Klima-Expertenrat widerspricht Habeck

Der eigene Expertenrat verwarnt die Bundesregierung: Ohne rasches Umsteuern dürfte Deutschland die Klimaziele für 2030 verfehlen.
Straßenverkehr in Berlin: Vor allem der Verkehrssektor verfehlt das Klimaziel deutlich

Straßenverkehr in Berlin: Vor allem der Verkehrssektor verfehlt das Klimaziel deutlich

Foto: Michael Kappeler / dpa

Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung sieht die deutschen Klimaziele in Gefahr und widerspricht Klimaschutzminister Robert Habeck. Deutschland werde die gesetzlich erlaubten Emissionen von Treibhausgasen wie CO₂ im Zeitraum 2021 bis 2030 voraussichtlich überschreiten, erklärten die Experten am Montag. Sie empfahlen der Ampelregierung, schnell neue Klimaschutzinstrumente zu prüfen, besonders im Gebäude- und Verkehrssektor.

Noch im März hatte das Umweltbundesamt auf Basis der nun überprüften Projektionsdaten gemeldet , das Ziel 2030 könne erreicht werden. »Deutschland ist auf Kurs – erstmals«, hatte Habeck daraufhin gesagt. Dies wird durch das Gutachten des Expertenrats nun fundamental infrage gestellt.

Das Gremium erklärte, die Projektion beruhe auf veralteten Annahmen. Neuere Entwicklungen, die darin noch nicht berücksichtigt wurden, ließen höhere Emissionen erwarten:

  • Kürzungen im Klima- und Transformationsfonds nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts, der etwa Staatshilfen beim Wechsel zu Elektroautos oder Wärmepumpen zum Opfer fielen,

  • niedrigere Marktpreise für CO₂-Zertifikate im europäischen Emissionshandel und ein geschrumpfter Preisvorteil von Erdgas gegenüber Kohle dürften den Ausstieg aus der Kohlekraft bremsen,

  • Pläne für neue Anlagen zur Produktion von grünem Wasserstoff, um etwa Stahl- oder Chemieindustrie zu dekarbonisieren, kämen zu langsam in Schwung.

Pflicht zum Handeln erst im Wahlkampf?

Der Expertenrat soll laut Klimaschutzgesetz die Daten unabhängig überprüfen. Nach bisheriger Rechtslage sind die für einzelne Sektoren wie Gebäude oder Verkehr zuständigen Ministerien verpflichtet, mit Sofortprogrammen gegenzusteuern, wenn sie ihr jährliches Ziel verfehlt haben. Die Ampelkoalition hat das Gesetz geändert, um dieser Pflicht zu entgehen. Danach zählt nur noch die Gesamtbilanz über alle Sektoren und mehrere Jahre hinweg. Obwohl die Reform noch nicht vom Bundespräsidenten unterschrieben und damit formell noch nicht in Kraft ist, hat sich der Expertenrat bereits darauf eingestellt.

Stellt der Rat zwei Jahre in Folge mit Blick auf die erwarteten Gesamtemissionen Deutschlands fest, dass das Ziel verfehlt wird, muss die Regierung nachsteuern. Mit dem jetzigen Gutachten ist die erste Verfehlung dokumentiert. Sollte der Rat 2025 erneut zum Urteil Verfehlung kommen, wäre die Regierung trotz des neuen Gesetzes gefordert, mehr für den Klimaschutz zu tun. Allerdings fiele das dann schon in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs 2025. Ohne Korrektur drohten Deutschland möglicherweise hohe Zahlungen im europäischen Mechanismus für Lastenteilung im Klimaschutz.

»Vor diesem Hintergrund empfehlen wir, nicht auf das abermalige Eintreten einer Zielverfehlung zu warten, sondern die zeitnahe Implementierung zusätzlicher Maßnahmen zu prüfen«, riet der Ratsvorsitzende Hans-Martin Henning. Erschwerend komme hinzu, dass die Verantwortung innerhalb der Regierung im neuen Klimagesetz nicht klar geregelt sei. Während bisher die Minister für die Bereiche, die ihre Sektorziele verfehlt hatten, handeln müssten, sei jetzt die gesamte Regierung in der Verantwortung. Es sei aber unklar, wer die Federführung habe.

Deutschland ist verpflichtet, bis 2030 65 Prozent weniger Klimagas auszustoßen als 1990. Bis 2045 müssen die Nettoemissionen laut Gesetz auf null sinken. Dieses übergeordnete Ziel der Treibhausgasneutralität würde jedoch voraussichtlich »auch bis 2050 nicht erreicht«, sagte die stellvertretende Ratsvorsitzende Brigitte Knopf. Im vergangenen Jahr hatte Deutschland seine Jahresvorgabe insgesamt erfüllt, die Einzelsektoren Verkehr und Gebäude aber ihre zum wiederholten Mal gerissen. Klagen von Umweltverbänden, um die danach eigentlich fälligen Klimaschutzprogramme einzufordern, sind noch anhängig.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels wurde das Klimaziel von 65 Prozent weniger Treibhausgasemissionen bis 2030 auf das Basisjahr 2021 bezogen. Richtig ist 1990. Wir haben die Stelle korrigiert.

ahh/Reuters