Zum Inhalt springen
Von Extremwetter zerstörte Tankstelle in Florida: Wir erleben eine neue Normalität mitten in einer Katastrophe

Von Extremwetter zerstörte Tankstelle in Florida: Wir erleben eine neue Normalität mitten in einer Katastrophe

Foto: Sean Rayford / Getty Images
Susanne Götze

Verdrängung in der Krise Schreiben Sie bloß nicht Klima in die Überschrift

Susanne Götze
Ein Essay von Susanne Götze
Klimanotstand, war da was? Die Gesellschaft will von diesem Thema derzeit wenig wissen. Haben wir uns schon an den Klimahorror gewöhnt?

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

»Sie wollen ein neues Buch schreiben? Das freut uns, Frau Götze!«, sagte jüngst ein Vertreter der Verlagsbranche zu mir. »Am besten ein Thema ohne Klima – oder zumindest sollte es nicht auf dem Titel stehen«, führte er weiter aus. »Klimabücher«, so sagte er mir, verkauften sich gerade überhaupt nicht. Er fände das zwar »schade«, aber es nütze ja niemandem, wenn es am Ende keiner liest.

Klimakrise

Lesen Sie mehr über die neuesten Entwicklungen, Hintergründe und spannenden Lösungsansätze in unserem Themenspezial.

Alle Artikel

Seit 2018 habe ich vier sogenannte »Klimabücher« geschrieben, an weit mehr habe ich als Co-Autorin mitgewirkt. Die Aufmerksamkeit war riesig. Vereine, Volkshochschulen und Stiftungen luden mich zu Lesungen in der ganzen Republik ein – von der ostfriesischen Stadt Norden, über Bremen, Hannover, dem abgelegenen Prüm in der Westeifel, von Stuttgart bis Saarbrücken, Neuss und München war alles dabei. In der Stadthalle, der Bibliothek, dem Gemeindehaus: Überall wollten Menschen darüber sprechen, warum der Klimaschutz und die Anpassung nicht vorankommen und was man dagegen tun kann.

Viele Zuhörer berichteten von Initiativen in der Nachbarschaft, Diskussionen in den Gemeindeversammlungen, wieder andere von langsamen Verwaltungsmitarbeitern. Bürgermeister und Lokalpolitiker waren stolz auf den neuen Radweg, das Solardach, die Ökohaussiedlung.

Wie schreibe ich jetzt ein Exposé für den Verlag, ohne das Wort Klima zu erwähnen?

Wie schreibe ich jetzt ein Exposé für den Verlag, ohne das Wort Klima zu erwähnen?

Foto: FangXiaNuo / Getty Images

Und nun das: Im Jahr 2024 will plötzlich keiner mehr was davon wissen? Wie schreibe ich jetzt ein Exposé für den Verlag, ohne das Wort Klima zu erwähnen? Gerade jetzt, in den entscheidenden Monaten und Jahren, ist die Klimakrise wieder nur ein Thema von vielen. Gerade jetzt »normalisiert« sich der Diskurs, wird die Klimabewegung leise und die Diskussionen institutionalisieren sich. Wir erleben eine neue Normalität mitten in einer Katastrophe. Und es ist unwahrscheinlich, dass sich das bald ändert.

Es macht sich eine »Ja, ja, wir werden alle untergehen«-Stimmung breit.

Einerseits ist es völlig abwegig. Es hat sich ja nichts verändert. Im Gegenteil. Gerade erlebten wir den wärmsten Februar seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, und diesen Rekord gibt es nun den neunten Monat in Folge. Auch die Meeresoberflächen sind weiterhin viel zu warm. Die Messungen des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus  ergaben ein neues Allzeithoch von über 21 Grad Celsius. Laut den Forschern bewege man sich beim Klimawandel nun auf »unbekanntes Terrain« zu. Meint: Wir werden es zunehmend mit Wetterphänomenen zu tun bekommen, die es bisher so nie gab, mit Folgen, die wir nicht abschätzen können.

Gelangweilte Gesichter auf der einen Seite, der Horror der Messkurven auf der anderen Seite. Das zeigt: Es kommt weniger auf die Tatsachen an, als darauf, wann und wie sie zur Sprache kommen.

Konjunktur des Untergangs

Es ist nicht so, dass Journalistinnen wie ich, die schon länger dabei sind, das nicht kennen. Bis vor sechs Jahren lief das Klimathema komplett unter dem Radar vieler Verlage, Medien und Politiker. Noch 2017 sagte mir ebenfalls der Lektor eines sogar auf Umwelt spezialisierten Verlags, dass sich »Klimabücher nicht so gut verkaufen«.

Dann gab es mehr Aufmerksamkeit, ausgelöst durch mehrere Dürrejahre und einige Katastrophen, wie etwa die Flut im Ahrtal oder die Waldbrände in Brandenburg. Im Jahr 2019 erreichte der Fokus auf das Thema seinen vorläufigen Höhepunkt, mit Hunderttausenden Demonstranten und einer fulminanten Explosion der Medienberichterstattung. Alles das mündete immerhin in einem ersten nationalen Klimaschutzgesetz und dem europäischen Green Deal.

Das neue Normal: »Hauptsache, mich trifft es nicht«

Das neue Normal: »Hauptsache, mich trifft es nicht«

Foto: Mike Hutchings/ REUTERS

Doch die Aufmerksamkeitsspanne eines jeden Themas ist begrenzt. Beispiel Ukraine: So furchtbar der Krieg auch ist – es ist unmöglich, jahrelang täglich auf der Titelseite über die Schrecken zu berichten. Ähnlich ist es mit der Klimakrise: Die Ermüdung ist nachvollziehbar. Es macht sich eine »Ja, ja, wir werden alle untergehen«-Stimmung breit. Verkürzung als Selbstschutz, um die berechtigte Zukunftsangst psychologisch zu verdauen.

Doch leider wirkt diese Ermüdung auch in die Politik hinein. Denn ist das Thema weniger präsent, sinkt auch der Druck auf die Regierung, klimapolitisch durchzugreifen.

Derzeit erlebt die Politik in vielen Ländern einen Rechtsruck. In einer Situation wirtschaftspolitischer Instabilität oder gefühlter Existenz- und Abstiegsängste der Wählenden wagen die meisten Ministerinnen und Minister, Regierungschefs und Präsidenten keine strukturellen Veränderungen – so wie sie in der jetzigen Situation eigentlich nötig wären. Erst recht findet ehrgeizige Politik nicht statt, wenn Regierungen so zerstritten sind wie die deutsche Ampel.

Es geht darum, warum nicht gelöscht wird, wenn das Haus brennt, sondern alle irgendwie mit dem Brand zu leben beginnen.

Der Effekt verstärkt sich noch, weil dank der fossilen Energielobby viel zu lange viel zu wenig im Klimaschutz getan wurde. Deshalb müssen etwa die CO-Preise in den nächsten Jahren extrem stark steigen und das fossile Leben – Dieselautos fahren, mit Gas heizen – innerhalb recht kurzer Zeit teuer machen, damit das mit den Klimazielen noch annähernd klappt. Das alles hätte man auch auf drei Jahrzehnte verteilen können. Dann wären die Übergänge weniger schmerzhaft. Hat man aber versäumt. Das führt nun zu sozialen Spannungen, wenn man nicht gegensteuert – etwa mit einem Klimageld –, und beflügelt die Klimakrisenleugner.

Leben in der neuen Normalität

Abwarten, Aussitzen, Abnutzen. All das hat uns in die neue Normalität in der Katastrophe geführt. Kluge Beobachter wie der US-amerikanische Schriftsteller T.C. Boyle haben das erkannt und literarisch verarbeitet. In seinem aktuellen Roman »Blue Skies« zeigt er, wie die Folgen des Klimawandels langsam in den Alltag einer Mittelschichtsfamilie in Florida und Kalifornien hineindiffundieren. Es ist eben nicht die Dystopie, der plötzliche Weltuntergang, sondern stetig kleine Nadelstiche, die zu einem dauerhaft unerträglichen Schmerz werden.

Die Natur, so beschreibt es Boyle, zerstört sukzessiv das augenscheinliche Idyll der US-amerikanischen Verdrängungsgesellschaft. Ob es der fast tödliche Zeckenstich ist, die durch einen Sturm frühzeitig beendete Hochzeitsfeier oder das von Termiten zerfressene und ständig überschwemmte Haus am malerischen Strand: Boyle erzählt, wie wir versuchen das Unausweichliche zu ignorieren, wie wir versuchen weiterzuleben, als wäre nichts geschehen – und welchen Preis wir dafür bezahlen. Ein wichtiges Motiv in seinem Roman: der Versuch, nach jedem Schicksalsschlag wieder zur Normalität zurückzukehren, sich in der Katastrophe einzurichten, die Folgen kleinzureden.

Ein Mann vor seinem zerstörten Haus: »Irgendwie komme ich schon damit klar.« Wirklich?

Ein Mann vor seinem zerstörten Haus: »Irgendwie komme ich schon damit klar.« Wirklich?

Foto: Scott Olson / Getty Images

Das gilt zumindest für die wohlhabende Klasse von Menschen auf diesem Planeten, die sich diese Normalität immer wieder vorspielen können – dazu gehören auch die meisten Deutschen. Anders sieht es mit Millionen Menschen aus dem Globalen Süden aus, die laut Forschern in den nächsten Jahrzehnten ihre Heimat verlassen müssen und/oder sich kaum vor den Folgen des Klimawandels schützen können.

Ähnlich pragmatisch analysiert auch der Soziologe Jens Beckert die neue Klima-Normalität. In seinem aktuellen Buch »Verkaufte Zukunft« fragt sich der Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, warum die Gesellschaften zu zögerlich Klimaschutz betreiben. Es geht darum, warum nicht gelöscht wird, wenn das Haus brennt, sondern sich alle im Brand einrichten.

Er hat – zumindest für die nächsten Jahrzehnte – eine bedeutend realistischere Sicht auf die Folgen der Klimakrise als viele Autoren vor ihm, die das Ende des Kapitalismus, die große Knappheit oder den Untergang der Zivilisation herbeischreiben.

Der soziale Druck wird steigen, das Haus weiter brennen und auch Menschen darin sterben. Doch es wird genügend geben, die diese neue Realität als Normalität annehmen.

Beckert schaut ein wenig weiter in die Zukunft, bis 2050 und darüber hinaus: »Es wird keine Welt ohne Kapitalismus sein.« Die Klimakrise sei schließlich keine Krise des Wirtschaftssystems. Stattdessen müsse mit »bedeutsamen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Verwerfungen« gerechnet werden. »Eine solche Welt wird verglichen mit der heutigen eine ärmere sein. Es wird mehr Leid geben und es wird höchst ungleich verteilt sein«, so Beckert.

Er beschreibt das zentrale Denkmuster dieser neuen Normalität: »Mich wird es am Ende schon nicht treffen.« Und: »Irgendwie komme ich schon damit klar.« Darin sieht er auch Politiker gefangen. Viele Klimaschutz- oder Anpassungsmaßnahmen werden erst ihre Wirkung entfalten, wenn der Minister oder der Kanzler gar nicht mehr an der Macht ist oder nicht mehr lebt.

Was hat Kanzler Scholz heute davon, wenn 2045 die Klimaneutralität erreicht ist? Sogar die 2030er-Ziele können ihm ziemlich egal sein, weil er dann sehr wahrscheinlich nicht mehr Regierungschef ist. Zu viele solche Mechanismen unserer Gesellschaften tragen dazu bei, dass nicht genug passiert. So kommt es, schreibt der Soziologe Beckert, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommen sehr wahrscheinlich nicht erreicht werden.

Genau das ist wiederum die Katastrophe in der neuen Normalität: Es wird einfach weitergehen, doch Armut, Prekarität und Elend werden zunehmen. Der soziale Druck wird steigen, das Haus weiter brennen und auch Menschen darin sterben. Doch drumherum wird es noch genügend geben, die diese neue Realität als Normalität annehmen. So lange, bis es sie selbst trifft.

Wollen wir wirklich so leben? Es ist nicht egal, dass Menschen ihre Äcker nicht mehr bestellen können, ihr Hab und Gut von reißenden Fluten mitgerissen werden oder sie vorzeitig am Hitzeschlag sterben. Daran sollte sich niemand gewöhnen, genauso wenig wie an Krieg oder an hungernde Kinder.

Ich bin nicht bereit, mich in dieser neuen Normalität einzurichten. Das Buch schreibe ich trotzdem, egal wie viele Leser es interessiert oder wie viele Likes ich damit generiere. Und dann fahre ich wieder durchs Land. Zu den Menschen, die sich jeden Tag für den Klimaschutz einsetzen – und sich nicht mit dem Status quo abfinden wollen.