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Susanne Götze

Gescheiterte Klimaklagen Richter entscheiden nach veralteten Regeln – das muss sich endlich ändern

Susanne Götze
Ein Kommentar von Susanne Götze
Die Klimakrise kennt keine nationalen Grenzen, Gerichte leider schon. Das Urteil zu einer abgewiesenen Klage zeigt, dass die Richter die neue Realität anerkennen – und auch so handeln müssen.
aus DER SPIEGEL 16/2024
Nach der Urteilsverkündung in Straßburg

Nach der Urteilsverkündung in Straßburg

Foto: Pascal Bastien

Die Klimakrise ist ein globales Problem. Das gilt für ihre Ursachen wie für ihre Folgen. Seit Generationen tragen Unternehmen, Staaten und Bürgerinnen und Bürger überall auf der Welt dazu bei, dass die Menge Treibhausgase in der Atmosphäre viel zu schnell ansteigt. Der Planet erwärmt sich. Starkregen, Stürme, Hitzewellen nehmen überall zu – in Australien ebenso wie in Kanada oder Deutschland.

Klimakrise

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Die Klimakrise ist grenzüberschreitend, international, universal. Und genau das ist die Krux: Mitnichten haben alle in gleichem Maße zu ihrer Entstehung beigetragen, mitnichten haben sie die gleichen Möglichkeiten sie einzudämmen, und mitnichten sind sie in gleichem Maße von den Folgen betroffen. Der Kampf gegen die Klimakrise ist ein Kampf um Gerechtigkeit.

Jubelnde Schweizer Seniorinnen

Jubelnde Schweizer Seniorinnen

Foto: Jean-Christophe Bott / Keystone / dpa

Weltweit ziehen Tausende Menschen vor Gerichte, um zu klären, wer welche Verantwortung trägt und wer geschützt werden muss. National war das schon erfolgreich, etwa in Deutschland mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für strengere Klimaziele 2021. Schweizer Klimaschützer hatten nun am Dienstag mit einer ersten Klage für schärfere Maßnahmen gegen den Klimawandel vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Erfolg. Allerdings bezog sich ihre Klage nur auf ihre eigene Regierung. Das ist erfreulich, aber kein Durchbruch.

Nationales Denken ist in der Klimakrise nicht mehr zeitgemäß

Spannend wird es erst, wenn es um grenzüberschreitende Verantwortung geht. So wurde eine wegweisende Klage von sechs portugiesischen Jugendlichen von denselben Richtern des EGMR am Dienstag abgewiesen – nach sieben Jahren. Und das nicht, weil sie die Folgen des Klimawandels auf Menschenrechte nicht anerkennen, sondern weil die Jugendlichen mehrere Länder gleichzeitig verklagt hatten – und nicht nur ihre eigene Regierung:

Die portugiesischen Kläger erlebten 2017 einen verheerenden Waldbrand, bei dem Hunderte Menschen verletzt wurden und mehr als 120 ums Leben kamen. Sie klagten jedoch nicht nur gegen ihr eigenes Land, sondern gegen 32 Industrienationen – alle EU-Länder sowie Norwegen, die Schweiz, die Türkei, Großbritannien und Russland. Das Gericht sollte bestätigen, dass die laxe Klimapolitik aller Regierungen ihre Menschenrechte gefährdet.

»Der Versuch, diese internationalen Täter-Opfer-Beziehungen anzuerkennen, ist mit dem Urteil gescheitert«

Die Klage scheiterte, weil das Gericht »keinen Grund für die Ausweitung der extraterritorialen Gerichtsbarkeit« aller verklagten Staaten außer Portugals sah. Die Kläger hätten sich also erst in Portugal durch alle Instanzen klagen müssen, bevor sie auch andere Länder in die Verantwortung nehmen. Das ahnten Experten bereits, hofften dennoch, dass Richterinnen und Richter ausgetretene Pfade verlassen.

Der Gerichtshof werde den Realitäten der Klimakrise nicht gerecht, kritisierte etwa die Juristin Miriam Saage-Maaß nach dem Urteil. Die Staaten müssten für extraterritoriale Effekte des Klimawandels Verantwortung übernehmen. Das Urteil ist schlicht nicht mehr zeitgemäß.

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Juristisch heikel: Internationale Täter-Opfer-Beziehungen in der Klimakrise

Das Problem haben aber nicht nur die portugiesischen Jugendlichen. In vielen Klimaklagen stellt sich seit Jahren die Frage, wie man nachweisen kann, dass eines oder mehrere Länder oder Unternehmen für die Folgen der Klimakrise an einem ganz anderen Ort verantwortlich sind.

So klagt etwa ein peruanischer Kleinbauer gegen das Energieunternehmen RWE, weil es mit verantwortlich dafür sei, dass sein Dorf potenziell überschwemmt wird. Bewohner der indonesischen Insel Pulau Pari gehen gegen den Schweizer Zementkonzern Holcim vor, der ihrer Ansicht nach eine Mitschuld am steigenden Meeresspiegel trägt. Und der Inselstaat Vanuatu will die Verantwortung der Industrieländer dafür vor dem Internationalen Gerichtshof einklagen.

Der Versuch, die internationalen Täter-Opfer-Beziehungen anzuerkennen, ist mit dem Urteil des EGMR gescheitert, den erhofften Präzedenzfall gibt es nicht. Der Erfolg in der Schweiz dürfte die Klimaklagenbewegung aber weiter ermutigen, die Gerichte im Kampf für mehr Klimaschutz zu nutzen. Irgendwann – das ist sicher – muss sich die Justiz der neuen Realität stellen.

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