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Einkommensauswertung Deutschlands acht Millionen Topverdiener

Die oberen zehn Prozent der Einkommen, das sind gut acht Millionen Menschen in Deutschland. In der Krise sollen sie mehr zahlen. Doch wer gehört dazu - und sind sie wirklich alle reich?

Die oberen zehn Prozent. Klingt nach Villa, Golfplatz und Zigarrenrauch. Und nicht nach Reihenhaus, Ikea-Sofa und Schwimmbad-Zehnerkarte. Doch die Grenze, die in Deutschland die Gut- von den Topverdienern scheidet, ist niedriger, als viele Menschen denken. Und manch einer gehört selbst dazu - obwohl ihm die Welt der Reichen eigentlich weit weg erscheint.

Denn zu diesem Einkommen gehört nicht nur der Verdienst aus der eigenen Arbeit, sondern auch eventuelle Einnahmen aus Aktienanlagen oder vermieteten Immobilien. Wer in der eigenen Wohnung oder im abbezahlten Haus lebt, muss auch die fiktive Nettomiete noch dazurechnen.

Nach dieser Rechnung zählen nicht nur Manager bei der Deutschen Bank oder Chefärzte zu den Topverdienern der Republik. Sondern auch eine Hamburger Studienrätin mit zehn Jahren Berufserfahrung (Besoldungsgruppe A13, Qualifikationsebene 4, netto circa 3600 Euro). Oder der Bürgermeister einer nordrhein-westfälischen Kleinstadt (Besoldung B2 für Städte mit bis zu 10.000 Einwohnern, netto circa 6000 Euro). Oder ein Teamleiter bei VW (netto circa 3800 Euro). Zumindest wenn alle drei Singles wären. Noch mehr Beispiele? Bitteschön:

Wo genau die Top-Ten-Grenze nun verläuft? Bei den 994 Einkommensmillionären, die es allein in Hamburg gibt, ist die Sache ziemlich klar. Aber es gibt keine deutschlandweite Gehaltskartei, in der man nachschlagen könnte, wer wo wie viel verdient.

Als wohl beste Quelle hat sich das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) erwiesen. Hinter dem etwas sperrigen Namen steckt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Das lässt regelmäßig 16.000 Privathaushalte in Deutschland befragen: Wie oft haben Sie in den letzten zwölf Monaten ihren Job gewechselt? Wie zufrieden sind Sie? Und: Was verdienen Sie?

Die Ergebnisse hängen natürlich davon ab, wie wahrheitsgemäß die Befragten antworten - und ob sie überhaupt bereit sind, über ihr Einkommen zu sprechen. Erfahrungsgemäß halten sich die ganz Reichen da eher bedeckt.

Trotzdem liefert das SOEP die besten Daten, wenn es um Gehälter geht, die Ergebnisse gelten als repräsentativ. Die Interviewer kommen mit einem Fragebogen zu den Teilnehmern nach Hause. Und seit 1984 werden jedes Jahr wenn möglich immer dieselben Haushalte beleuchtet.

3529 Euro netto pro Monat - und ein Single ist Topverdiener

Für den SPIEGEL hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nun auf der Basis der aktuellsten SOEP-Daten berechnet, wie und wo die Grenze zu den oberen zehn Prozent verläuft. Die neuesten Daten: Das heißt konkret die Einkommen des Jahres 2017. Wissenschaft braucht Zeit.

Das Ergebnis: Schon ab einem Einkommen von 3529 Euro netto pro Monat gehört ein Alleinstehender zu den oberen zehn Prozent der Topverdiener. Kommen Partner oder Kinder ins Spiel, wird es etwas komplizierter: Einerseits gibt es dann oft zwei Verdiener in einem Haushalt. Andererseits müssen auch mehr Menschen von dem erwirtschafteten Geld leben.

Deshalb wird das Haushaltseinkommen je nach Konstellation durch einen bestimmten Quotienten geteilt, damit es vergleichbar wird. So zählt eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren ab 7412 Euro netto pro Monat zum oberen Zehntel. Ein Paar ohne Kinder im Haushalt ab 5294 Euro.

Und Sie? Rechnen Sie nach - und erfahren Sie, wie viel Prozent der Deutschen weniger oder mehr verdienen als Sie:

Hätten Sie sich anders eingeschätzt? Dann befänden Sie sich in der guten Gesellschaft der Mehrheit: Forscher der Universität Hannover stellen 2016 in einer Umfrage fest, dass "die Befragten ihre Position in der Einkommensskala nicht einmal annähernd bestimmen" konnten. Dabei galt insbesondere der Grundsatz: Reich sind immer die anderen.

Die oberen Einkommensklassen verorteten sich fast ausnahmslos in der Mitte, kaum jemand schien sich der Position an der Spitze bewusst. Wer würde das auch schon von sich behaupten: Ich bin reich? Gilt das nicht eher für die, die ein Vermögen oder eine Firma geerbt haben? Und überhaupt: Wer spricht schon gern über Geld?

Die starken Schultern

"Ich muss mich nicht für das Geld schämen", sagt Cornelia Süß. "Dafür habe ich lange studiert, ein Referendariat gemacht und arbeite jetzt hart und viel." Süß ist Anwältin in Dresden, Verkehrsrecht ist ihr Spezialgebiet. Sie teilt sich ihre Kanzlei mit zwei weiteren Anwältinnen, die andere Rechtsbereiche bearbeiten, das Einkommen wird prozentual verteilt.

Die Kanzlei liegt in einem großen Haus in Dresden-Blasewitz, das den drei Rechtsanwältinnen gehört - eine zusätzliche Altersvorsorge. Sie vermieten an Ärzte und PR-Beratungen, ihren Flur teilen sie mit einem Chor. Am Konferenztisch stehen bunt durchmischt Bürostühle, an den Wänden hängen Plakate von Kunstausstellungen, in fast jeder Ecke steht eine Zimmerpflanze.

Süß hat hier in den vergangenen Wochen allerdings wenig Zeit verbracht. Die Schulschließung wegen Corona war für sie ein riesiges Problem. "Mein Lebenskonzept beruht darauf, dass ich viel arbeite und dass meine Kinder in der Zeit betreut werden", sagt sie. In den vergangenen Monaten war das nicht möglich, sie war tagsüber vor allem damit beschäftigt, den zwei Söhnen bei ihren Schulaufgaben zu helfen.

Ihr Mann ist auch selbstständig, er betreibt eine Zahnarztpraxis, Homeoffice ist für ihn schwer möglich. Also blieb Süß zu Hause und arbeitete noch mehr an den Abenden und Wochenenden als zuvor. "Mein Mann und ich haben als Selbstständige versucht, gut durch die Zeit zu kommen und unsere Mitarbeiter zu schützen", sagt sie.

Bisher ist ihr das gelungen - aber Süß sorgt sich, was nun kommt. Wegen der Kontaktsperre waren weniger Menschen draußen unterwegs, es war weniger los auf den Straßen, vielleicht kommen auch deshalb weniger Aufträge rein.

"Starke Schultern" sollten die Lasten tragen, die die Coronakrise auch im Staatshaushalt hinterlässt. Das fordert etwa der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans. Den Solidaritätszuschlag, der 2021 für 90 Prozent aller Deutschen abgeschafft wird - die oberen zehn Prozent sollen ihn weiter zahlen, zumindest anteilig.

Und wer auf sein Einkommen den Spitzensteuersatz von 42 Prozent zahlt, gehört ohnehin zu jenen zehn Prozent Topverdienern, die mehr als die Hälfte des Einkommensteueraufkommens tragen.

Die oberen zehn Prozent. Das klingt eben auch nach Verantwortung. Gerade jetzt, in der Coronakrise.

Anwältin Süß findet das richtig. Sie versteht, dass sie mehr beitragen muss als Menschen mit weniger Einkommen. Aber sie will mitbestimmen, wie das Geld ausgegeben wird: "Ich arbeite gern, ich verdiene gern Geld und ich gebe auch gern etwas von dem Geld ab. Aber nicht für Schrott." 

Corona und die Topverdiener

Wie stark sind die Schultern denn nun, auf die die Politik hofft? Und wie sehr schwächt sie die Coronakrise? Seit April führt das SOEP-Team des DIW über die Auswirkungen der Coronakrise regelmäßig Gespräche mit den Haushalten. Nicht mit allen 16.000 der regulären Befragung, aber einem Teil davon.

Welche Einbußen gab es? Wer ist in Kurzarbeit? Was macht der Job? Wie sieht es mit dem Vermögen aus? Das alles fließt zusammen in einer Art Sonderedition der landesweiten Befragung, dem SOEP-CoV. Die Auswertung zeigt: Die Mehrheit der Deutschen glaubt, die Coronakrise treffe das Land und dessen Menschen ökonomisch schwer.

Aber: Ihre eigene persönliche Situation bewerten die Befragten überwiegend besser als die des Durchschnitts. Besonders ausgeprägt ist dieses Phänomen bei den oberen zehn Prozent.

Und die Konjunkturhilfen? Noch lässt sich schwer vorhersagen, wie sich die einzelnen Maßnahmen der Regierung auf die oberen zehn Prozent auswirken werden. Aber ein paar Punkte zeichnen sich ab:  

  • Die Mehrwertsteuersenkung betrifft alle, und zwar alle relativ gleich stark: Laut Berechnungen des DIW-Ökonomen Stefan Bach macht die Ersparnis stets knapp zwei Prozent des Einkommens aus, ob hoch oder niedrig, ob Großfamilie oder Single. Solange die Senkung voll an die Verbraucher weitergegeben wird. Und die genauso weiter konsumieren wie zuvor. Das heißt aber auch: In absoluten Eurobeträgen sparen Haushalte mit hohen Einkommen deutlich mehr. Bereits geplante große Anschaffungen könnten sie vorziehen und so noch deutlich mehr sparen: das neue Auto, die neue Küche oder die anstehende Renovierung. Niedrigverdiener haben diese Möglichkeit oft nicht. Ihnen fehlt schlicht das Geld.

  • Die massiven staatlichen Hilfen und Kredite für Unternehmen helfen nicht nur, die Einkommen der Beschäftigten zu sichern - sondern auch den Eigentümern. Die gehören fast immer zu den oberen zehn Prozent, meistens sogar zum allerobersten Prozent.

  • Vom Familienbonus über 300 Euro pro Kind haben die oberen zehn Prozent meist nichts. Denn in der Regel werden sie durch den Kinderfreibetrag mehr an Steuern sparen, als Kindergeld plus Familienbonus ergeben.

  • Die Umweltprämie für E-Autos allerdings dürfte zu großen Teilen den oberen zehn Prozent zugutekommen: E-Autos bleiben auch mit Prämie recht teuer - und solche Autos werden sich Niedrigverdiener nicht leisten können, ob mit Prämie oder ohne.

Wie ist sie also, die Lage für die oberen zehn Prozent? Ein Meteorologe würde wohl sagen: heiter bis wolkig. Viele Menschen in Deutschland gehören dazu, obwohl sie es von sich selbst nicht glauben würden. Die Einkommensgrenze zu den Topverdienern ist in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen - 2016 lag sie noch bei 3342 Euro für Singles.

Auch Corona dürfte an dieser Entwicklung wenig ändern. Im Gegenteil: Die Kosten der Krise werden zwar überwiegend durch Steuern gegenfinanziert. Und von denen tragen die oberen zehn Prozent deutlich mehr als untere Einkommensgruppen.

An die Existenz geht die Krise aber vor allem denen in der unteren Hälfte: Geringqualifizierte sind überdurchschnittlich häufig arbeitslos geworden, kleine Soloselbstständige plötzlich ohne jedes Einkommen. Besonders viele Ausländer sind darunter.

Folgerichtig ist das subjektive Krisenempfinden bei den oberen zehn Prozent nach wie vor so gering wie in keiner anderen Gruppe der Bevölkerung.

Ob nun Villa und Golfplatz oder Reihenhaus und Ikea-Sofa: Relativ sorgenfrei durch eine solche Krise zu gehen - das ist echter Luxus.