Zum Inhalt springen

Kochbuch-Tipps Heute rühren wir Proxys an

Alkoholfreie Alternativen zu Wein, aus abenteuerlichen Zutaten? Wer Abwechslung von der klassischen Rezeptsammlung sucht, wird hier fündig: Unser Experte stellt drei neue Kochbücher vor.
Kochbücher: Viel Auswahl jenseits von Rezeptsammlungen

Kochbücher: Viel Auswahl jenseits von Rezeptsammlungen

Foto: Tetra Images / Tetra images RF / Getty Images

Jenseits der üblichen Rezeptsammlungen gibt es im Bereich Kochen und Genießen jede Menge interessante Bücher. Drei aktuelle Veröffentlichungen sind uns besonders aufgefallen: das Tagebuch eines philosophierenden Sternekochs, ein Sachbuch über den Stand der alkoholfreien Getränke in der Gastronomie sowie ein Beitrag zur Inklusion: Tipps und Tricks für alle, die zeitweise oder dauerhaft mit nur einem Arm kochen.

Dieser Text enthält sogenannte Affiliate-Links, über die der Verlag, aber nie der Autor individuell, bei Verkäufen eine geringe Provision vom Händler erhält.

Vincent Klink: »Tagebuch 2018-2024«

Vincent Klink, seit Jahrzehnten Küchenchef, Patron und gute Seele des Nobelrestaurants Wielandshöhe mit Königsblick über Stuttgart, ist wohl der einzige Starkoch Deutschlands mit der intellektuellen Grundausstattung, seine Bücher selbst zu schreiben. Neben diversen Werken wie »Ein Bauch spaziert durch Paris« und der von 1999 bis 2013 vierteljährlich erschienenen Kulinarik-Kampfschrift »Häuptling eigener Herd« ist der klassisch gebildete Hochkultur-Querkopf einem breiteren Publikum durch launige TV-Auftritte (»ARD Buffet«; »echt gut! Klink & Nett« im SWR) bekannt. Als Chefkoch holte er in seinem ersten eigenen Restaurant »Postillion« 1978 einen Michelin-Stern, den er seit mehr als 40 Jahren ohne Unterbrechung hält.

Sein aktuelles Buch ist im Kleinstverlag des eigenen Restaurants erschienen, vom Autor persönlich mit kleinen Aquarellen illustriert und würde bei einer Online-Erstveröffentlichung Blog genannt werden. Klink gewährt uns Einblicke in sein persönliches Tagebuch der Jahre 2018 bis 2023 – mit einem kurzen Glaskugel-Zwinkern nach 2024. Er spart auch die größtmöglichen Lebenseinschläge wie den Tod seiner jahrzehntelangen Gattin und Co-Patronin Elisabeth 2022 nicht aus.

Ansonsten zeigt das Buch auf 340 Seiten (mit nur 40 kurzen Kochrezepten) die geistig-moralische Bandbreite dieses tief schwäbischen Ausnahme-Allround-Talents, das auch Jazzkonzerte an Querflöte und Bassflügelhorn gibt.

Klinks Rezepte, oft in private Erlebnisse von derber Zartheit eingebettet, ähneln seinem ungekünstelten Output in der Wielandshöhe. Sie orientieren sich radikal am Produkt und der Jahreszeit, in der es am besten schmeckt. Da kann man nicht viel falsch machen mit Rettichsuppe, Osterlamm, Pfefferpotthast und Wiener Saftgulasch. Oder deutsches Ratatouille, also ohne Auberginen oder Knoblauch, dafür mit hiesigem Gem��se wie Knollensellerie, Karotten, Kartoffeln, Zwiebel, Kohlrabi, Steckrübe und Rettich – alles bei niedriger Hitze gedünstet.

Die Rezepte sind problemlos in jeder halbwegs normal ausgestatteten Küche nachkochbar. Klink mutet empfindlichen Kochgemütern nur wenig Inneres zu (Kutteln in heller Tomatensoße, Lebergeschnetzeltes). Er wettert lieber gegen Kollegen, die »Regionalgerichte auf dem Altar des Zeitgeists opfern«.

Klink ist ja auch viel zu lange dabei, um noch irgendwelche Rücksichten zu nehmen. Er mag seinen Kartoffelsalat nicht nur schlotzig – er bereitet ihn mit völlig überwürzter Instant-Gemüsebrühe zu. Ein Frevel für einen Sternekoch? Ach wo, Hauptsache, der Salat wird nicht mit Besteck, sondern mit beiden Händen vermischt. Einmal kommt dem knorrigen Koch sogar eine Kaufempfehlung aus der Feder: die Stur-Gusspfannen, die aufmerksame Lesende dieser Kolumne ja schon längst mitentdeckt haben.

Natürlich weiß Klink zugleich auch, wo der Antagonist steht: Seinen Hauptfeind Nestlé überschüttet er mit wüsten Beschimpfungen, betitelt die Pfingstpredigt 2019 mit »Nestlé schmore in der Hölle« und rattert die allbekannten Vorwürfe gegen den Schweizer Anführer des kulinarisch-industriellen Komplexes (Kindernahrungsskandal, Tierversuche, Palmöl-Regenwaldvernichtung, globaler Wasserraub etc.) wie ein antikapitalistisches Sturmgewehr herunter. Er beendet seine Suada mit dem Satz: »Irgendjemand bezeichnete den Nestlé-Konzern als kriminelle Vereinigung und ich fand bisher niemanden, der widersprochen hätte.«

Irgendwo zwischen Politik und Polemik erfährt man sogar, was sich Herr Klink kocht, wenn er einen Tag frei, aber keine Lust auf viel Gedöns hat: Krautschnitzel. Zurückhaltend gewürztes Lammhack zwischen zwei Schichten blanchierte Kohlblätter pressen – und ab in die Pfanne. Sozusagen ein horizontaler Krautwickel.

Und nein, nicht nur alte weiße Männer lieben diesen bacchantischen Renaissance-Menschen und dessen bildungsbejahenden Dauerblick weit über den Tellerrand hinaus.

Wer braucht das? Alle, die beim Kochen auch mal ein bisschen nachdenken wollen.

Typisches Rezept? »Ofenschlupfer nach Tante Agathe«

Was kostet das? 25 Euro


Nicole Klauß: »Alkoholfrei – Grundlagen, Rezepte, Pairings«

Ja, klar, der Klügere schenkt nach. Aber auch jenseits von trockenen Januaren wird immer häufiger mit Getränken angestoßen, die nicht so langweilig schmecken wie Wasser – und dennoch keinen Alkohol enthalten. Die Gastroberaterin, examinierte Sommelière und Getränkebuchautorin Nicole Klauß verträgt persönlich Alkohol überhaupt nicht, weiß aber eine Menge über Wein, Schnaps und Bier. Diese Verbindung macht sie zur perfekten Supervisorin für betreutes Trinken im Null-Promille-Bereich.

Ihr aktuelles Buch nimmt zwar primär sogenannte Food & Beverage Manager in Restaurants und Hotels, Sommelièreren, Gastronomen und Weinverkaufende an die Hand. Doch auch der interessierte Antialkoholiker erfährt auf den 336 Seiten im Grunde alles, was man wissen muss, um sich selbst, die Familie und den Freundeskreis aromastark ohne Alkohol zu bewirten.

Klauß hat nach jahrelangen Recherchen die Grundlagen dieser Trinkwelt übersichtlich, aber auch in einer bislang noch nirgendwo gelesenen Tiefe systematisiert. Wir erfahren nicht nur, welche Getränke zu welchen Speisen passen, sondern auch warum. Neben dem Zentralkapitel über Tee in allen Spielarten finden sich auch wertvolle Informationen zu vielen internationalen Drink-Trends, die hierzulande erst in den kommenden Monaten oder Jahren in Gastronomie und Einzelhandel flächendeckend ankommen dürften.

Die entsprechenden Getränke können aber schon heute als perfekte alkfreie Speisenbegleiter dienen: Shrubs (essigsaure Fruchtsirupe), Melasse-Ingwer-basierte Switchels, Honigsüße Oxymels, Fermentos (Kombucha, Kefir etc.), entalkoholisiertes Bier und – in unzähligen modernistischen Dreisternerestaurants zwischen Dänemark, Baskenland und New York momentan der heißeste Scheiß – Proxys. Diese Wein-Alternativen haben eine ähnliche Aromenvielfalt und werden aus Essig, Kombucha, Kwass (russischer Brottrunk), fermentierten Traubensäften, Gewürzen, Tees und anderen aromatischen Zutaten angemischt.

Alkoholfreie Weine sind für Klauß dagegen noch kein Thema, sie handelt dieses Trauerspiel denn auch auf gerade mal vier Seiten ab. Nachvollziehbar, denn wir haben 2023 für einen Test, der in diesem Ressort erscheinen sollte, über 40 entalkoholisierte Weine in Weiß, Rosé und Rot aus den wichtigsten Erzeugerländern degustiert. Begeistert hat uns, nun ja, kein einziger. Als alkfreie, zuckerarme Zutat von Sprizz-Cocktails aller Art machten in unserem Test viele Null-Prozent-Schaumweine dagegen eine Topfigur. (Mehr dazu demnächst.) Das nicht zu erkennen, ist vielleicht das einzige kleine Manko dieses neuen Standardwerks für nachhaltiges und genussorientiertes Erwachsenen-Trinken.

Wer braucht das? Anspruchsvolle Antialkoholiker (auch Teilzeit).

Typisches Rezept? »Rote Bete Pfeffer-Shrub mit Koriander«.

Was kostet das? 36 Euro


Martina und Nick Tschirner: »Easy Einhänderküche«

Selbst die auf den ersten Blick einfachsten Kochrezepte bleiben für sie eine Herausforderung: Menschen, die ihr Essen nur mit einer Hand zubereiten können. Sei es temporär, etwa nach einer Schulteroperation oder einem Handgelenkbruch, oder lebenslang wegen eines Schlaganfalles oder eines schlimmen Unfalls. Letzteres ist das Schicksal von Nick Tschirner. Der Sohn der Food-Journalistin und langjährigen Chefredakteurin des deutschen »Slow Food Magazin«, Martina Tschirner, war vor diesem Einschnitt ein begeistert hobbykochender 16-Jähriger. Seitdem muss er versuchen, in der Küche mit der linken Hand auszukommen.

Das Mutter-Sohn-Gespann merkte rasch, dass es für Menschen mit diesem Handicap keine vernünftigen Kochanleitungen gibt – weder im Web noch im Buchhandel. Mit »Easy Einhänderküche« erscheint nach den beiden »Einhänderkochbüchern« 2014 und 2018 nun der dritte Band. Auf 84 Seiten in einhändig gut bedienbarer Spiralbindung richtet sich der Fokus des Duos nun auf nachhaltige Küchenarbeit mit Blick auf Abfallvermeidung und Meal Prepping – viele der Rezepte funktionieren nach der Formel: einmal kochen, dreimal essen.

Basierend auf zehn Grundzutaten und -komponenten wie Kartoffeln, Reis, Hühnchen, Bohnen, Kürbis, Tomatensoße, Eier oder Brot entwickeln die Tschirners ein beachtliches Spektrum unterschiedlicher appetitmachender Gerichte: von Kürbissuppe mit Ingwer und Kokosmilch über Weiße-Bohnen-Salat mit Thunfisch bis zum Bananen-Erdnuss-Karamell-Split. Stets mit vielen Tipps und Kniffen für die Einhand-Küchenarbeit und die dafür benötigten speziellen Küchenhelfer wie Arbeitsstationen, einen Knoblauchschlauch als Schälhilfe, Stiel-Töpfe, Eiertrenner und Zwiebelwürfler.

Eine würdige Fortsetzung der ersten beiden Einhand-Kochbücher, deren Anschaffung für manche Menschen das kulinarische Leben ungemein erleichtert.

Wer braucht das? Alle, die generell oder zeitlich begrenzt nur mit einer Hand kochen können.

Typisches Rezept? »Griechischer Brotsalat mit Feta«

Was kostet das? 14,90 Euro

Hintergrund: Produkttests im Ressort Tests