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Ananda Klaar

Rechtsruck in Europa Jetzt bloß nicht aufgeben

Ananda Klaar
Eine Kolumne von Ananda Klaar
Die Ergebnisse der Kommunal- und Europawahlen haben mich stark erschüttert. Doch jetzt ist nicht die Zeit, sich in politikferne Welten zu flüchten. Im Gegenteil: Menschen wie ich sind nun besonders gefragt.
Nach den Wahlen: Nicht die Zeit, den Kopf hängen zu lassen

Nach den Wahlen: Nicht die Zeit, den Kopf hängen zu lassen

Foto: Henrik Sorensen / Getty Images

Seit den Wahlen vor zwei Wochen fällt es mir schwer, die Hoffnung nicht zu verlieren. Die AfD konnte bei den Europawahlen knapp 16 Prozent der Stimmen für sich gewinnen, bei den Kommunalwahlen in meiner Studienstadt Leipzig 17 Prozent – und damit jeweils zweit- und drittstärkste Kraft werden.

Am Wahlabend lag ich vor dem Einschlafen mit meinem Handy im Bett und aktualisierte alle paar Minuten die Website der Stadt: AfD bei 16 Prozent, dann bei 17,5 und wieder bei 17: Je mehr Stimmen für den Stadtrat ausgezählt waren, desto größer wurde mein Unmut. Weil ich so unendlich traurig und wütend, so enttäuscht war und mit diesen Gefühlen nicht allein sein wollte, rief ich einen Freund an.

Wird schon!

Mitten in der Pandemie Abitur gemacht, Traumstudienplatz nicht bekommen, trotzdem in die Unistadt gezogen: In ihrer Kolumne »Wird schon!« beschreibt Ananda Klaar, wie man trotz Dauerkrise gut ins Erwachsenenleben startet. Und die Dinge dabei vielleicht sogar besser macht als vorherige Generationen.

Ananda Klaar, geboren 2003, ist Autorin des Sachbuchs »Nehmt uns endlich ernst! Ein Aufschrei gegen die Übermacht der Alten«.

Alle Folgen der Kolumne

Gemeinsam checkten wir die Ergebnisse in unseren Heimatwahlkreisen im Erzgebirge und am Bodensee und witzelten noch darüber, dass dort immerhin die CDU dominiere. Am nächsten Morgen, als die Ergebnisse feststanden, schrieben wir uns noch mal. Meine Trauer und Wut waren inzwischen zu Angst und Verzweiflung umgeschlagen. Wir verstanden beide nicht, wie so viele Menschen eine in Teilen gesichert rechtsextreme Partei wie die AfD wählen konnten. Und wir wunderten uns, woher all diese Stimmen kamen. War unsere linke, antifaschistische Blase doch kleiner, als wir bislang dachten?

Trotzdem versuche ich, die Hoffnung nicht zu verlieren, denn nach der Wahl ist vor der Wahl: Wie sich die neuen Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg zusammensetzen werden, entscheidet sich erst im Herbst. Deswegen ist jetzt nicht die Zeit, den Kopf hängen zu lassen, verzweifelt aufzugeben, sich in politikferne Welten zu flüchten. Im Gegenteil: Nun sind all diejenigen, die sich nicht mit einem weiteren Rechtsruck abfinden wollen, besonders gefragt.

Die AfD-Wähler:innen in meinem Bus

Als ich am Tag nach der Wahl im Bus saß, begann ich zu rechnen: 17 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 67,4 Prozent bei den Stadtratswahlen bedeutete, dass etwa jede:r Zehnte AfD gewählt hatte. Fünf Menschen, die im selben Bus saßen wie ich, hatten rein statistisch der AfD mindestens eine Stimme gegeben. Fünf Menschen in meinem Bus sorgten dafür, dass ich mich in der Stadt, in dem Land, in dem ich lebe, nach der Wahl weniger sicher fühle.

Aber dann denke ich an meine Kommiliton:innen, an die Tausenden Studierenden auf dem Campus in Unistädten wie Leipzig, Potsdam oder Erfurt. Wenn nur ein Teil von ihnen sich nicht mit einer rechtsextremen Partei an der Spitze ihres Bundeslandes abfinden will, wenn hinter den linken Stickern und Schmierereien auf den Unitoiletten wirklich politisch aktive Menschen stecken, wenn sich die prodemokratischen Hochschulgruppen noch besser vernetzen, könnten wir viel bewirken.

In den Austausch gehen und Rückhalt suchen

Jetzt, ein paar Tage später, wo meine Verzweiflung in Tatendrang umgeschwenkt ist, überlege ich, was ich tun kann, damit die nächsten Wahlen anders ausgehen. Ich nehme mir vor, noch mehr dafür zu tun, dass demokratische, antifaschistische Parteien wieder einen größeren Stimmenanteil bekommen, mich noch mehr gesellschaftspolitisch zu engagieren. Wie das aussehen könnte, habe ich bereits in einer anderen Folge meiner Kolumne beschrieben.

Jede Person, die sich auch nur ein wenig einbringt, kann helfen. Denn ich will mich nicht abfinden mit dem Gedanken an die AfD als stärkste Partei, dicht gefolgt von der konservativen CDU oder dem populistischen BSW, die beide im Wahlkampf versuchten, mit AfD-Positionen zu punkten.

Außerdem nehme ich mir vor, wo immer es geht die Diskussion mit Menschen zu suchen, die in meinem Umfeld, in meiner Familie mit der AfD sympathisieren oder sie sogar gewählt haben. Natürlich können überzeugte Anhänger:innen meistens nicht mehr beeinflusst werden. Über eine Million der AfD-Wähler:innen haben aber etwa bei der letzten Europawahl noch sogenannte Parteien der Mitte, also CDU oder SPD gewählt, was vermuten lässt, dass sie vielleicht auch noch mal die Seiten wechseln würden.

Die Klimakrise ist nicht vergessen

Gerade wird viel darüber diskutiert, warum junge Menschen so rechts gewählt haben. Es mögen vielleicht 16 Prozent der unter 25-Jährigen die AfD gewählt haben, aber 84 Prozent haben es nicht getan. Und dass viele junge Menschen die Klimakrise nicht vergessen haben, wie das Wahlergebnis der Grünen vermuten lassen könnte, hat mir eine Veranstaltung auf dem Campus gezeigt, die ich mitorganisiert habe. In einer Woche voller Bildungsangebote zum Thema Klima besuchten dabei über tausend Menschen verschiedene Vorträge und Workshops.

Aus diesem Treffen mit Gleichgesinnten im Kampf gegen die Klimakrise und aus Gesprächen mit Freund:innen habe ich gelernt: Zum einen will ich Diskussionen mit Andersdenkenden nicht scheuen, um für ein besseres Ergebnis im Herbst zu kämpfen. Zum anderen darf und sollte ich mich trotzdem immer wieder in sichere Räume zurückziehen, in denen die Leute ähnlich denken, um mich weniger allein zu fühlen.

Die Ergebnisse der Europa- und Kommunalwahlen sind ernüchternd und beängstigend. Doch die Zukunft von Deutschland und Europa ist damit noch lange nicht besiegelt. Gerade jetzt ist es wichtiger denn je, überparteiliche Bündnisse zu bilden, sich aktiv gegen rechte Politik einzusetzen und in all dieser Unsicherheit die Hoffnung nicht zu verlieren.