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Studienfächer erklärt Was ich als Erstsemester gern über Latein gewusst hätte

Eine tote Sprache ohne Bezug zur heutigen Zeit? Von wegen. Eine Studentin räumt mit dem staubigen Ruf ihres Fachs auf und erklärt, warum Latein heute noch wichtig ist.
Aufgezeichnet von Antonia Fischer
Die alten Römer können helfen, die heutige Welt besser zu verstehen (Symbolbild)

Die alten Römer können helfen, die heutige Welt besser zu verstehen (Symbolbild)

Foto: Getty Images
Studienfächer erklärt

In der Reihe »Studienfächer erklärt« stellen wir die beliebtesten Studienfächer in Deutschland vor. Wie viele Studierende an deutschen Hochschulen in welchem Fach eingeschrieben sind, ermittelt das Statistische Bundesamt einmal im Jahr . Unser Ranking bezieht sich auf die Zahlen für das Wintersemester 2019/2020.

Für die Fächer auf den ersten 30 Plätzen dieses Rankings gibt es jeweils ein Porträt – von Betriebswirtschaftslehre auf Platz 1 bis Wirtschaftsrecht auf Platz 30. Für die weiteren Porträts haben wir zusätzlich mit einbezogen, nach welchen Fächern besonders viele Menschen suchen. Weit oben stehen dann etwa Soziologie, Philosophie und Pharmazie. Grundlage ist hier eine Auswertung von Google für den Zeitraum 2021 bis September 2022.

Servus, carpe diem, mea culpa. Bis auf wenige Ausnahmen gilt Latein als tote Sprache, als öde und altmodisch. Viele Schüler:innen wählen sie deswegen gar nicht erst. Dabei liegt in ihr der Ursprung aller romanischen Sprachen, die alten Römer prägten die heutigen Kulturen Europas.

Nadja Thiele, 21, studiert im ersten Mastersemester Latein auf Lehramt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Hier erzählt sie, warum sie die Sprache selbst nicht spricht und welche Änderung im Lehrplan sie sich wünscht.

Die Entscheidung für das Lateinstudium

»Es stimmt, Latein ist nicht unbedingt eine lebendige Sprache. Mein Lehrer sagte früher: ›Alle, die Latein sprechen können, sind Freaks.‹ Ich hingegen finde es schade, dass Latein kaum noch gesprochen wird, auch ich kann es nur schreiben. Trotzdem ist die Sprache heute noch wichtig: Durch Latein lässt sich die moderne Welt besser verstehen. Demokratie, Philosophie und Naturwissenschaft – sie alle haben ihren Ursprung in der Antike.

Ich studiere Latein auf Lehramt. Schon im Kindergarten wusste ich, dass ich Lehrerin werden wollte, für Latein als Unterrichtsfach entschied ich mich dann in der achten Klasse. Mir machte das Fach viel Spaß, ich war Klassenbeste. Im Vergleich zu Deutsch oder Englisch wollen nur wenige Latein unterrichten. Auf dem Arbeitsmarkt habe ich später gute Chancen.«

Formale Voraussetzungen für ein Latein-Studium
  • Numerus Clausus: In der Regel gibt es für das Fach Latein an Hochschulen keinen NC.

  • Latinum: Meist wird das große Latinum gefordert. In der Regel kann das Latinum im ersten Semester nachgeholt werden. Sollte das Latinum nicht vorliegen, bieten einige Universitäten vor Beginn des Studiums eine sprachliche Eignungsprüfung an, etwa die Uni Potsdam  oder die Uni Bielefeld. 

  • Graecum: Manche Hochschulen, etwa die Uni Tübingen , verlangen zusätzlich das Graecum. Dafür werden Sprachkurse angeboten, das Examen muss oft erst während des Studiums gemacht werden.

Was man noch mitbringen sollte: Interesse an Sprache und Kultur der Antike, Spaß am Erklären, Fleiß, keine Angst vor theoretischer Arbeit.

Inhalte und Aufbau des Studiums

»Den größten Teil meines Studiums nimmt das Übersetzen ein. Einerseits von Latein auf Deutsch in den sogenannten Lektürestunden, zum Beispiel Ciceros Rede ›Pro Milone‹. Andererseits machen wir sogenannte Stilübungen, übersetzen etwa ›Pro Milone‹ von Deutsch zurück auf Latein. Dabei kommt es nicht darauf an, den genauen Wortlaut zu treffen. Aber man muss sich an die Regeln der Grammatik halten und Vokabeln verwenden, die in der Zeit von Cicero vorkamen.

»Ich lerne jeden Tag Vokabeln, viel mehr als zur Schulzeit.«

Im Kurs schafft man nur Bruchteile der Übersetzungen, deswegen muss man viel selbstständig arbeiten. Ich lerne jeden Tag Vokabeln, viel mehr als zur Schulzeit. Mit dem hohen Arbeitspensum rechnen viele nicht, deswegen hat Latein eine recht hohe Abbruchquote. Mein Bachelorjahrgang startete mit 40 Studierenden, am Ende waren noch zehn übrig. Hat man das erste Semester überstanden, bleiben die meisten aber dabei.

Mir gefallen vor allem die Vorlesungen zum historischen Kontext. Mir war früher nicht bewusst, wie wichtig Altgriechisch für Latein sein würde. Die Sprachen und Kulturen sind eng miteinander verflochten. Die Römer haben viel von den antiken Griechen abgeschaut. Sie haben etwa die griechische Literatur mit römischen Namen umgeschrieben. Plagiate waren damals anerkannt – es war eher unüblich, sich etwas Neues auszudenken.

Lehramt oder Philologie

An vielen Unis wird Latein nur als Lehramtsfach angeboten. Alternativ gibt es die Studiengänge klassische  oder lateinische Philologie . Erstere beschäftigt sich mit Sprache und schriftlichen Überlieferungen der antiken Griechen und Römer, zweitere setzt einen Fokus auf die römische Antike.

Je nach Bundesland wird Lehramt auf Staatsexamen oder Bachelor sowie Master of Education studiert, die meisten haben bereits auf das Bologna-System umgestellt. Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen halten bislang am Staatsexamen fest. Der Master of Education ist mit dem ersten Staatsexamen vergleichbar. Für alle angehenden Lehrer:innen folgt nach dem ersten Staatsexamen oder dem Masterabschluss ein eineinhalb bis zweijähriges Referendariat und das zweite Staatsexamen, die sogenannte Lehrerprüfung.

Leider bleibt später im Schulunterricht kaum Zeit, Hintergrundwissen zu vermitteln. Die Bildungsministerien geben vor, dass drei Viertel einer Lateinstunde aus Übersetzen bestehen soll. Dabei steckt im historischen Kontext so viel Interessantes, was ich an Schüler:innen weitergeben möchte. Viele haben Schwierigkeiten mit dem Übersetzen, ruinieren sich ihre Note und verlieren die Motivation. Das ist schade, Latein bietet so viel mehr!

Zum Lehramtsstudium gehören auch Kurse der Erziehungswissenschaft. Im Bachelor nehmen sie nur einen kleinen Teil ein, im Master kommt mehr fachbezogene Pädagogik und Didaktik dazu. Wir lernen zum Beispiel, wie man neue Grammatik erklärt, eine Lektürestunde hält oder einen Stundenentwurf schreibt.«

Berufsaussichten nach dem Studium

»Viele Unis raten dazu, selbst dann Latein auf Lehramt zu studieren, wenn man nicht Lehrer:in werden möchte. So hat man im Notfall immer noch die Möglichkeit, später an einer Schule zu arbeiten. Denn abgesehen davon sind die Berufsaussichten eher schwierig. Einige, die nicht auf Lehramt studieren, streben eine akademische Laufbahn an. Hier gibt es aber wenig freie Stellen, die meist befristet sind. Ansonsten kann man in Museen arbeiten oder in die Archäologie einsteigen. Generell spielt Latein in immer weniger Berufsfeldern eine Rolle. Jura- und Medizinstudierende brauchen etwa kein Latinum mehr, sie lernen nur das Fachvokabular.

Branchen und Gehälter

Die meisten Studierenden entscheiden sich für Latein auf Lehramt und arbeiten später an Gymnasien oder Gesamtschulen. Vielerorts werden Lehrer:innen verbeamtet. Verbeamtete Gymnasiallehrer:innen fallen in die Besoldungsgruppe  A 13. Hier liegen die Einstiegsgehälter zwischen 4.222 Euro (Rheinland-Pfalz) und 4.774 Euro (Bayern) brutto im Monat. Nichtverbeamtete Lehrer:innen werden oft nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L ) bezahlt. Für das Gymnasium ergibt sich die Entgeltgruppe E13. Die Länder regeln die Vergütung selbst, sie fällt ähnlich wie die Beamtenbesoldung aus.

Andere Möglichkeiten sind etwa eine akademische Laufbahn oder eine Stelle im Museum. Laut des Karriereportals Stepstone  liegt das Bruttojahresgehalt für wissenschaftliche Mitarbeitende an Universitäten durchschnittlich bei 49.200 Euro. Museumsangestellte können Stepstone zufolge  mit einem jährlichen Durchschnittsgehalt von 33.500 Euro brutto rechnen.

Nach dem Master werde ich mein Referendariat an einer Schule machen. Das dauert anderthalb Jahre, danach steht das zweite Staatsexamen an. Später will ich viele eigene Texte auf Latein schreiben, die meine Schüler:innen dann übersetzen. Kinder sind schlau, sie finden schnell die Übersetzung im Internet.«