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Traumziel Malediven: Ganze Inseln werden an Luxusresorts verpachtet

Traumziel Malediven: Ganze Inseln werden an Luxusresorts verpachtet

Foto: Shubham Koul / AFP

Trauminseln nur für Touristen Wie die Regierung der Malediven ihr Ökosystem zerstört

Gezüchtete Korallenriffe für die Reichen, Plattenbauten und Baggerstrände für die Armen. Die Malediven wollen sich gegen den Klimawandel schützen und Tourismus fördern. Aber das macht alles noch schlimmer.
Von Christina zur Nedden

Eine Frau und ihre Mutter blicken aufs türkisblaue Meer. »Wir kommen her, weil es uns entspannt, denn in der Stadt ist es sehr eng«, sagt Fatima Fauze. Ihre Mutter nickt. Als sie klein war, habe es viele natürliche Strände gegeben, erklärt sie ihrer Tochter. Jetzt sind am Horizont überall Baggerschiffe zu sehen. Jener Strand auf Villingili, wo die beiden Frauen täglich hinkommen, ist der einzige um Malé, die Hauptstadtinsel der Malediven, der nicht aufgeschüttet ist.

Der Lärm der Baggerschiffe, die stetig Sand aufsaugen und ihn zu künstlichen Inseln und Stränden auftürmen, die dann durch Brücken verbunden werden, stört die beiden Frauen nicht. »Wir können nun mit dem Auto nach Malé fahren, anstatt wie früher die Fähre zu nehmen«, sagt Fauze. Dass das Baggern auf Kosten der Umwelt geht, nehmen sie in Kauf. Die Regierung hat ihnen gesagt, es ginge nicht anders. Gleichzeitig aber werden andere Inseln, wo die Strände noch natürlich sind, als Luxusresorts verpachtet.

Die Malediven drohen von der Landkarte zu verschwinden, denn sie liegen tief im Wasser. Sollten Klimawandel-Prognosen zutreffen und der Meeresspiegel bis zum Jahr 2100 um einen ganzen Meter ansteigen, könnten die knapp über tausend Inseln vollständig überflutet werden. Die Hauptstadtinsel Malé ist eine der am dichtesten besiedelten Städte der Welt. Wenn das Wasser weiter Land verschlingt, könnte bald wenig bewohnbarer Raum für die lokale Bevölkerung übrig bleiben. Um dem entgegenzuwirken, setzt die Regierung auf Landgewinnung, deshalb wird rund um Malé Sand aufgeschüttet. Doch das marine Ökosystem gerät dadurch ins Ungleichgewicht.

Durch Sandsäcke geschützter Strand auf den Malediven: Die Regierung setzt auf Landgewinnung

Durch Sandsäcke geschützter Strand auf den Malediven: Die Regierung setzt auf Landgewinnung

Foto: Allison Joyce / Getty Images
Einwohner an Deck: Die Malediven sind vom steigenden Meeresspiegel bedroht

Einwohner an Deck: Die Malediven sind vom steigenden Meeresspiegel bedroht

Foto: Anadolu / Anadolu Agency / Getty Images

»Das Wasser hier soll eigentlich dunkelblau sein, aber es ist hell, weil so viel Sand von den Baggerschiffen aufgespült wurde«, sagt Bas Mohamed von der NGO »Save the Beach«. Früher habe es hier viele Korallenarten gegeben, in denen sich Schildkröten, Rochen und Haie tummelten. Die Landgewinnung habe die Lebensräume zerstört, heute sehe man hier kaum noch Meerestiere. Das Riff sei verkümmert. Die Korallen würden immer wieder unter dem Sand »begraben« und »ersticken«, beklagt Mohamed.

Seine NGO will etwas dagegen tun: Wenige Meter vom Strand in Villingili hat er mit seinem kleinen Team drei sternenförmige Tische aus Eisenstangen unter Wasser angebracht. Daran sind winzige Korallen mit Kabelbindern befestigt, die hier wachsen sollen. Einige davon hat das Team vor der nahegelegenen Insel Gulhi Falhu gerettet, wo durch Sandaufschüttung ein neuer Hafen entstehen soll – und dafür ein großes Riff weichen musste. Mohamed blickt missmutig auf die großen Schiffe. »Durch den ständigen Verkehr gibt es viele Wellen und aufgewühlten Sand. Es ist mühsam, die Korallen händisch davon zu befreien«, sagt er. Sein Vorhaben, das Riff auf diese Weise zurückzubringen, scheint ziemlich aussichtslos.

Auf einer anderen Insel, rund eine halbe Flugstunde entfernt von Villingili, arbeitet noch eine andere Frau für das Wohl der Korallen, allerdings mit deutlich mehr Ressourcen als Mohamed: Mit gezieltem Griff klaubt Johanna Leonhardt zwei braune, kugelförmige Seesterne vom bunten Riff und wirft sie einige Meter weiter in die blaue Tiefe. »Sie fressen unsere Korallen, die wir mühsam gezüchtet haben«, sagt die Australierin mit dem langen blonden Pferdeschwanz nach dem Auftauchen. Leonhardt leitet das Science Centre des Luxusresorts Soneva Fushi im Baa-Atoll der Malediven. 2022 begann die Soneva-Stiftung gemeinsam mit der Schweizer Organisation Coralive eines der größten Korallenwiederbelebungsprogramme des südasiatischen Inselstaates.

Versuch der Korallenwiederaufzucht vor einer Insel

Versuch der Korallenwiederaufzucht vor einer Insel

Foto: Ali Nishan / Millzero

Das Korallenriff, das sich heute über einige Kilometer in der Lagune der privaten Ferieninsel erstreckt, war nicht immer hier, sondern ist größtenteils aufgeforstet. Knapp 28.000 Korallen kommen laut Leonhardt und ihrem Team von Gulhi Falhu, wo derzeit der Hafen gebaut wird. Dort wurden sie mit Hammer und Meißel entfernt und in mehreren Fuhren über neun Stunden mit dem Boot bis nach Soneva Fushi transportiert.

Aufgeforstete Unterwasserwelt vor einer privaten Ferieninsel: 300.000 US-Dollar für Korallen

Aufgeforstete Unterwasserwelt vor einer privaten Ferieninsel: 300.000 US-Dollar für Korallen

Foto: Ali Nishan / Millzero

Kleinere Korallen wurden an einem der über 420 Unterwassertische befestigt, die mit MAT (Mineral Acretion Technology)-Technologie betrieben werden. Dabei wird den Korallen durch die Tische Schwachstrom zugeführt, sodass sich gelöste Mineralien auf den Metallstrukturen kristallisieren und sich daraus ein weißer Kalkstein bildet. Dieser ähnelt der Substanz, aus der auch die Korallenriffe und die tropischen, weißen Sandstrände bestehen. Das Ergebnis lässt sich sehen: Die Korallen wachsen auf den Tischen dreimal schneller als sonst. Die Unterwasserwelt vor Soneva Fushi ist beeindruckend.

»Wir haben hier finanzielle Freiheit«, sagt der 28-jährige Meeresbiologe Matthew Walker, der sich unter anderem um die Unterwassertische kümmert. Zusätzlich werden Korallen auf Soneva Fushi in einem Labor unter Schwarzlicht und in Wassertanks gezüchtet. Nur die derzeit drohende Korallenbleiche, verursacht durch das Wetterphänomen El Niño, welches bereits 2016 rund 60 Prozent aller Korallen der Malediven erbleichen ließ, macht dem Team derzeit Sorgen.

Also sollen seltene Arten in Tanks in die Station umgesiedelt werden, falls die Meerestemperatur zu warm wird. Denn zu groß wäre der Schaden, auch finanziell betrachtet: Für die 28.000 Korallen aus Gulhi Falhu hat das Resort rund 300.000 US-Dollar gezahlt. Walker zeigt auf einer Landkarte, dass dort nun »alles ausgelöscht« sei. Leergefegt. »Hätten wir sie nicht geholt, wären all diese Korallen jetzt tot«, sagt er. Ihm sei es gleich, ob die Korallen jetzt in einem Luxusresort sind oder auf einer anderen lokalen Insel. »Es geht darum, dass sie gerettet wurden.«

Von den Mitteln, die den Meeresbiologen auf Soneva Fushi zur Verfügung stehen, können Bas Mohamed und sein Team auf Villingili nur träumen. Forschungsgelder auf den Malediven kommen meist aus privater Hand. Oft wird dann mit Luxushotels zusammengearbeitet, sodass die Ergebnisse dem Tourismus zugutekommen – der Haupteinnahmequelle der Malediven.

Die beiden Frauen am Strand in Villingili wissen nicht, wo die Korallen vor der Nachbarinsel Gulhi Falhu nun gelandet sind oder ob sie, wenn das Sandbaggern beendet ist, jemals zurückkommen werden. Eigentlich sollen die lokalen Anwohner oder zumindest deren Interessenvertreter vor größeren Landgewinnungsvorhaben wie dem für den Hafen konsultiert und über Risiken für die Flora und Fauna unterrichtet werden. Doch eine entsprechende Aufklärung und Befragung sei an ihnen vorbeigegangen, erzählen die beiden Frauen.

Der Prozess sei oft intransparent, sagt die Umweltschützerin Humay Abdulghafoor von der Umweltkampagne »Save Maldives«. Beim Hafenbauprojekt in Gulhi Falhu , dessen Korallen an das Luxusresort Soneva Fushi verkauft wurden, habe die Bevölkerung fünf Tage Zeit gehabt, den über 677-seitigen technischen Bericht zu lesen. Eine öffentliche Konsultation habe es nicht gegeben. Der Bericht war zudem nur auf Englisch und nicht in der Lokalsprache Dhivehi verfügbar.

Das Dokument warnte zwar, dass es zu einem Rückgang der Fischbestände kommen könne, der direkte Auswirkungen auf Lebensunterhalt und Ernährungssicherheit der Bevölkerung haben könne. Das Projekt wurde dennoch begonnen. »Wir haben unsere Bedenken gegenüber den Kreditgebern und Vermittlern geäußert«, sagt Abdulghafoor. Bewirkt hat das offenbar nichts.

Traumhafte Parallelwelten: Privatsphäre, Ruhe und Erholung

Traumhafte Parallelwelten: Privatsphäre, Ruhe und Erholung

Foto: NurPhoto / Getty Images

Die Politik sieht keine Alternative zu ihrem Vorgehen. Selbst die Opposition zeigt lieber mit dem Finger auf den Rest der Welt: »Wir werden unsere Inseln und Korallenriffe nicht wegen der Landgewinnung auf den Malediven verlieren, sondern wegen des Klimawandels, verursacht durch den Rest der Welt«, sagt die Oppositionspolitikerin Shauna Aminath, die zuletzt Umweltministerin war. Die Malediven seien weltweit einer der kleinsten Emittenten von Treibhausgasen. In der Verantwortung sieht Aminath vor allem die Industrieländer, die die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen müssten, damit der Meeresspiegel nicht weiter ansteigt.

Doch Aktivisten vor Ort sehen die Verantwortung durchaus auch bei den Mächtigen auf den Malediven selbst. »Die Natur wird durch die Handlungen unserer Regierung zerstört, noch bevor das der Klimawandel könnte«, sagt Abdulghafoor. Landgewinnung geht nicht nur auf Kosten der Flora und Fauna im Meer, sondern greift so stark in das Ökosystem ein, dass Strömungen und Wellenmuster verändert werden – mit kaum absehbaren Folgen. Dazu wird wohl auch ein neues Prestigeprojekt der Regierung beitragen: Unter dem Namen »Ras Male« soll eine künstliche Insel mit 11,5 Quadratkilometern entstehen. Um dem Klimawandel zu trotzen, soll sie laut der Regierung an ihren Rändern zwei Meter und in der Mitte drei Meter höher angelegt werden als die durchschnittliche maledivische Insel. »Die Kosten für die Umwelt sind hoch und langfristig gesehen bringen solche Maßnahmen nichts«, sagt Abdulghafoor. Künstliche Inseln mit Betonkern seien letztlich weniger nachhaltig als jene natürlichen, die auf Korallen basieren.

Die Situation für die Einwohner und Einwohnerinnen ließe sich hingegen auf andere Weise verbessern: Die Malediven bestehen aus mehr als 1000 Inseln, sind aber stark zentralisiert. Alles ballt sich rund um die Insel Malé. Hier kommen die Menschen für ihre Gesundheitsversorgung hin, oder um ihre Kinder zur Schule zu schicken. Auf den künstlichen Inseln neben Malé drängen sich die Einwohnerinnen und Einwohner in Plattenbauten. An mehreren Orten, auf verschiedenen Inseln Infrastrukturzentren aufzubauen, könnte ein Teil der Lösung sein. »Die Regierung ist nicht an Dezentralisierung interessiert«, sagt jedoch Umweltschützerin Abdulghafoor.

Satellitenbild von Malé: Eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt

Satellitenbild von Malé: Eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt

Foto: DigitalGlobe / ScapeWare3d / Getty Images

Hotellerie und Unternehmer wie auch die Politik profitierten von der Verpachtung der vielen Inseln, auf denen traumhafte Parallelwelten entstünden. Sie böten Privatsphäre, Ruhe und Erholung. Die Menschen um Malé könnten davon nur träumen. »Die Regierung gibt unsere natürlichen Inseln den Touristen und die Einheimischen bekommen die künstlichen«, sagt Bas Mohamed.

Die Recherche wurde gefördert durch ein Stipendium von Netzwerk Recherche, Olin gGmbH und Riffreporter.

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