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Migration Warum die Bundesregierung übers Drittstaatenmodell streitet

Das Innenministerium sollte prüfen, ob man Asylverfahren in Drittstaaten wie Ruanda oder Albanien auslagern kann. Jetzt liegt ein Bericht vor, der die Zweifel betont. Die Opposition ist aufgebracht, selbst der Ampelpartner FDP macht Druck.

Kanzler Scholz, Innenministerin Faeser: »Skeptische bis kritische« Expertenmeinungen angehört

Kanzler Scholz, Innenministerin Faeser: »Skeptische bis kritische« Expertenmeinungen angehört

Foto: Xander Heinl / photothek / IMAGO

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Das Bundesinnenministerium hält die Verlagerung von Asylverfahren in Dritt- und Transitländer prinzipiell zwar für rechtlich haltbar, sieht aber praktische Hindernisse. Das geht aus einem Prüfbericht hervor, der dem SPIEGEL vorliegt. Zuvor hatten die »Süddeutsche Zeitung«, »The Pioneer« und »Table Media« berichtet.

Der Zwischenbericht des Innenministeriums ist für das Treffen der Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an diesem Donnerstag bestimmt. Die Runde hatte Anfang November vergangenen Jahres eine entsprechende Prüfung verlangt. Angehört worden sind 23 deutschsprachige Experten: Juristen, Soziologen, Politologen.

»Vielfältige und praktische Hindernisse«

Bei den Anhörungen hätten sich viele Sachverständige »skeptisch bis kritisch zu den rechtlichen und tatsächlichen Umsetzungsmöglichkeiten« geäußert, heißt es in dem Papier. Einige hätten ausgeführt, dass ein möglicher Abschreckungseffekt der Modelle auf Migrantinnen und Migranten »bislang nicht erwiesen« sei.

Mit Blick auf Deutschland sei erkennbar geworden, dass das britische Ruanda-Modell und das Italien-Albanien-Modell »unter den gegebenen rechtlichen und praktischen Rahmenbedingungen in dieser Form« nicht übertragbar sei. Außerdem gebe es »vielfältige und praktische Hindernisse, die teilweise eng miteinander verbunden sind«.

Das britische Modell sieht vor, Asylbewerber aus Großbritannien nach Ruanda zu bringen und dort über den Schutzstatus zu entscheiden. Sie sollen dort auch verbleiben.

Das Italien-Albanien-Modell beinhaltet, dass Schutzsuchende, die im Mittelmeer vor Erreichen des italienischen Hoheitsgebiets gerettet werden, nach Albanien gebracht werden. Dort entscheiden, wie im Bericht des Bundesinnenministeriums dargestellt, italienische Behörden über den Schutzstatus.

Das Hinwegmodell bedeutet, dass auf Transitrouten nach Europa Asylanträge gestellt und bearbeitet werden können. Praktisch würde dies darauf hinauslaufen, dass das Flüchtlingsbundesamt Bamf Dependancen im Ausland einrichtet.

»Dauerhaft verlässliche« Partner gesucht

Laut dem Bericht haben die Experten zum dritten Modell den Einwand geäußert, dass Bamf-Außenstellen »mit erheblichem logistischem und finanziellem Aufwand« einhergehen würden.

Mit Blick auf Ansätze wie das britische Ruanda-Modell führt das Innenministerium aus, es sei eine Herausforderung, »einen geeigneten kooperationswilligen Drittstaat« zu finden: »Dieser müsste Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtskonformität staatlichen Handelns gepaart mit einer stabilen Sicherheitslage und einer geeigneten geografischen Lage aufweisen und zudem ein dauerhaft verlässlicher Partner sein.«

Aktuell würden Zahlen kursieren, wonach die veranschlagten Kosten pro Kopf beim »Ruanda-Modell« und beim »Albanien-Modell« sehr hoch seien.

Regierung setzt auf Migrationsabkommen

Nach Informationen des SPIEGEL wird die Verlagerung von Asylverfahren innerhalb der Bundesregierung kritisch betrachtet. Es sei schwierig, Länder zu finden, die geeignet und zugleich bereit seien, sich viele Geflüchtete ins Land zu holen, die sie dann womöglich nicht mehr los bekämen. Außerdem sei anzuzweifeln, dass sich dann kein Geflüchteter mehr auf den Weg nach Europa machen würde, heißt es. Es sei eine Scheinlösung, vielversprechender seien wirksame Grenzregime und Migrationsabkommen mit entsprechenden Ländern.

In der FDP allerdings will man die Drittstaaten-Idee weiter verfolgen. »Wir müssen Migration mit Maßnahmen wie dem Ruanda-Modell begrenzen. Die Migrationspolitik des letzten Jahrzehnts ist gescheitert«, sagt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. »Mit politischem Willen wird man einen rechtssicheren Weg für Asylverfahren außerhalb der EU finden.«

Eine abschließende Positionierung der Bundesregierung, ob der Ansatz weiterverfolgt werden soll, gibt es nach SPIEGEL-Informationen aber noch nicht.

Die Opposition pocht darauf, die Überlegungen für die Verlagerung von Asylverfahren weiterzuverfolgen. »Auch die Bundesregierung muss nun eingestehen, dass Drittstaatenmodelle im Einklang mit den Grundrechten und dem Völkerrecht stehen«, sagte Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem SPIEGEL. »Ihr Bericht zeigt, dass es eine Frage des politischen Willens ist, ob wir eine Lösung finden.«

Die Bundesregierung habe jedoch »bereits vor ihrer Prüfung« alles daran gesetzt, auf europäischer Ebene das Drittstaatenmodell zu Fall zu bringen, sagt Frei. »Während unsere Nachbarn mehr und mehr auf eine Kurskorrektur in der Migrationspolitik drängen und bei der Kommission für eine Drittstaatenlösung werben, sind es vor allem die Bundesregierung und innerhalb der Bundesregierung die Grünen, die sich einer Neuausrichtung versperren.«