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Jahresbericht der Bundesbeauftragen Antidiskriminierungsstelle meldet Rekordhoch an Anfragen

Rassismus, Ableismus, Homophobie: Die gemeldeten Fälle von Diskriminierung steigen an – vor allem im Arbeitsumfeld. Und laut der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman dürfte die Dunkelziffer noch weit höher liegen.
Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman: »Und das knallhart«

Antidiskriminierungsbeauftragte Ataman: »Und das knallhart«

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Annette Riedl / dpa

Zum Beispiel Herr A. Er wird in einem Kaufhaus von einem Ladendetektiv aufgehalten und soll sich ausweisen, viele andere Kunden bekommen das mit. Es komme häufiger zu Diebstählen durch schwarze Personen, erklärt der Detektiv, weshalb er Herrn A. und keinen der anderen Kunden ausgewählt habe.

Es ist ein klassischer Fall von Alltagsdiskriminierung, aufgelistet im Jahresbericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, der heute in Berlin vorgestellt wird und dem SPIEGEL vorliegt.

Dem Bericht zufolge haben die Beratungsstelle im vergangenen Jahr so viele Anfragen erreicht wie nie zu vor. 10.772 Menschen haben sich an das Team der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman gewendet, 22 Prozent mehr als noch im Jahr 2022. Die allermeisten Fälle von Diskriminierung fanden demnach im Arbeitsumfeld statt.

»Allein in den vergangenen fünf Jahren haben sich die Beratungsanfragen an uns mehr als verdoppelt. Das zeigt: Die Lage ist ernst.«

Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman

  • Der Statistik zufolge wandten sich rund 3400 Menschen an das Beratungsteam, weil sie rassistisch diskriminiert wurden.

  • Mehr als 2000 Betroffene meldeten sich, weil sie wegen einer Behinderung oder einer chronischen Krankheit,

  • knapp unter 2000, weil sie wegen ihres Geschlechts oder ihrer Geschlechtsidentität angegangen wurden.

  • Anstiege verzeichnete die Stelle auch bei Diskriminierung wegen des Alters (1100), der Religion oder Weltanschauung (600) sowie der sexuellen Identität (300).

»Mehr Menschen als je zuvor bekommen die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung und Radikalisierung unmittelbar zu spüren«, sagt Ferda Ataman, die Leiterin der Beratungsstelle des Bundes. »›Ausländer-Raus‹-Stimmung und Menschenverachtung sind heutzutage normal geworden – nicht nur beim Feiern auf Sylt oder auf Volksfesten.« Migrantinnen und Migranten, Menschen mit Behinderungen und queere Menschen erlebten Diskriminierung konkret in ihrem Alltag, sagt Ataman. »Und das knallhart.«

Sommerreise in den Osten geplant

Die Fallzahlen seien nicht repräsentativ, viele Fälle würden nicht gemeldet, schreibt Ataman im Vorwort des Berichts. »Aber sie geben einen Einblick in die Formen von Diskriminierung, die Menschen in Deutschland erleben. Und sie zeigen einen alarmierenden Trend: Allein in den vergangenen fünf Jahren haben sich die Beratungsanfragen an uns mehr als verdoppelt. Das zeigt: Die Lage ist ernst.«

Die Beauftragte fordert die Bundesregierung auf, die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wie angekündigt anzugehen. Ein besserer Schutz vor Diskriminierung sei angesichts der explodierenden Fallzahlen überfällig, sagt Ataman. Die Ampelregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu evaluieren, Schutzlücken zu schließen, den Rechtsschutz zu verbessern und den Anwendungsbereich auszuweiten.

Um die Beratung gegen Antidiskriminierung bundesweit zu stärken, hat die Bundesbeauftragte im vergangenen Jahr ein Programm namens »respekt*land« gestartet. 35 Projekte, die Betroffene beraten, wurden mit fünf Millionen Euro gefördert. Auf einer Sommerreise Anfang Juli will Ataman einige der Projekte in Ostdeutschland besuchen.

Auch Herr A., der im Kaufhaus wegen seiner Hautfarbe vom Ladendetektiv kontrolliert wurde, hatte sich an die Antidiskriminierungsstelle gewandt. Dem Jahresbericht zufolge hat sich der Geschäftsinhaber daraufhin bei Herrn A. entschuldigt und ihm einen Kaufhausgutschein überreicht.

Er versprach, sein Personal zum Thema Rassismus zu schulen.

kno