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Swantje Unterberg

SPIEGEL-Bildungsnewsletter »Lernerfolg ist nicht eine Frage der Quantität, sondern der Qualität«

Tausende Schülerinnen und Schüler wollen Haltung zeigen für Demokratie und Vielfalt. Und Erziehungswissenschaftler Klaus Zierer erklärt, warum empirische Daten und die Schlüsse daraus für das Schulsystem so wichtig sind.

Das sieht ganz schön wacklig aus: Ein Schüler steht auf, für Demokratie und Vielfalt, aber er steht auf einem Klappstuhl. So ist es auf einem der Plakate der Kampagne #IchStehAuf zu sehen , an der sich am Donnerstag über 1500 Schulen beteiligen wollen. »Demokratie ist nichts Selbstverständliches, man muss sich aktiv für sie einsetzen«, sagt der stellvertretende Schulleiter der katholischen Niels-Stensen-Schule Schwerin, Ansgar Delschen. Er will genau das am Donnerstag mit etwa 850 Schülerinnen und Schülern tun. Sie alle sollen sich dann auf einem großen Platz vor der Schule versammeln und das Logo ihrer Schule formen.

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Den Aktionstag haben verschiedene Stiftungen initiiert, er wird von allen Kultusministerien unterstützt – und hat durch die Ereignisse auf Sylt noch mal an Aktualität gewonnen. (»Das ist los«)

Im thüringischen St. Josef Gymnasium Dingelstädt hat Sozialkundelehrerin Marlen Franke-Kühn dafür gesorgt, dass gut 500 Schülerinnen und Schüler auf dem Schulhof am Donnerstag ein Herz formen werden – ihre Fünftklässler sollen es am Morgen noch mit Kreide aufmalen. Demonstrationen seien für Kinder und Jugendliche eher unüblich, sie hätten meist weniger Raum, sich aktiv einzubringen, sagt die Lehrerin. Sie begrüßt die Möglichkeit, im »Superwahljahr« für Thüringen mit diesem Zeichen für Demokratie und Vielfalt auch gegen das Erstarken extremistischer Parteien aktiv zu werden.

Im rheinland-pfälzischen Daaden werden am Donnerstag in der Hermann-Gmeiner-Realschule Plus 400 Schülerinnen und Schüler bei der Aktion mitmachen. Zwei Klassen sind an diesem Tag in Verdun – und werden an dem geschichtsträchtigen Ort aufstehen und ihre Friedensglocke läuten, berichtet der stellvertretende Schulleiter und Geschichtslehrer Lars Limbach.

Wenn Ihre Schule noch teilnehmen will: Eine Anmeldung ist auch kurzfristig möglich .

Um Haltungsfragen geht es auch in unserer Debatte der Woche. Aber da bleiben wir im Kernbereich der Bildungsfragen – mit Klaus Zierers schulpolitischen Schlussfolgerungen aus der Neuauflage des bahnbrechenden John-Hattie-Werks »Visible Learning«.

Ansonsten freue ich mich, wenn Sie schreiben, wie die Stimmung an Ihrer Schule zurzeit ist. Haben Sie als Schülerin, Eltern, Lehrer den Eindruck, dass sich etwas verschiebt, etwa bei der Grenze des Sag- beziehungsweise Singbaren? Dass ein Zeichen für Demokratie und Vielfalt bitter nötig ist? Dann schreiben Sie uns an bildung@spiegel.de .

Feedback und Anregungen? 

Für das Bildungsteam beim SPIEGEL

Herzlich

Swantje Unterberg

Smartphones in einer Schule: Die »Baseline« des Sagbaren hat sich längst verschoben

Smartphones in einer Schule: Die »Baseline« des Sagbaren hat sich längst verschoben

Foto: Hauke-Christian Dittrich / dpa

Das ist los

1. Das Sylt-Video und die Schulen

Sylt ist kein Einzelfall, Louisenlund ebenso wenig. Auch anderswo werden Schüler Gigi D’Agostinos Lied verunstalten, prophezeit Gymnasiallehrer Bob Blume in seinem Gastbeitrag . Rechtsextremes Gedankengut sei nämlich längst in der Popkultur angekommen – und damit auf dem Schulhof.

Unsere Meldungen zu Louisenlund finden Sie hier und hier.

2. Cannabis in Schulen

Es klingt nach einer lustigen Guerilla-Gardening-Aktion, ruft aber die Polizei auf den Plan: In städtischen Hochbeeten in Leipzig, die laut einem Bericht der »Leipziger Volkszeitung«  normalerweise von Schülerinnen und Schülern einer angrenzenden Schule beackert werden, wurden rund 700 Cannabispflanzen entdeckt – und anschließend natürlich vernichtet. Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben wegen des unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln in alle Richtungen. Im öffentlichen Raum und vor allem im Umfeld von Schulen und Kitas sind die Pflanzen auch nach der neuen Cannabisgesetzgebung nicht erlaubt. Offen ist noch, ob sich durch die Legalisierung für Erwachsene beim Konsum für Jüngere etwas ändert. Stefan Düll, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, teilte dem SPIEGEL vor Kurzem auf Nachfrage mit, es sei aktuell noch zu früh, um Änderungen im Kauf- und Konsumverhalten von Jugendlichen zu bewerten. Wenn Sie das anders sehen, schreiben Sie uns doch bitte.

3. Mit KI gegen Schulschwänzer

Im japanischen Toda gibt es ein Modellprojekt, bei dem eine KI voraussagen soll, welche Kinder künftig die Schule schwänzen werden. Das berichtet die »Süddeutsche Zeitung«.  Der Präventionsgedanke ist naheliegend: »Schulverweigerung wird in der Regel erst behandelt, nachdem das Kind nicht mehr in die Schule kommt«, sagt Toshiki Katazakai vom örtlichen Schulamt dem Bericht zufolge, »es wäre schön, wenn man das vorher merkt und etwas dagegen tun könnte.« Die KI wird dafür mit Daten etwa der Leistung und der Laune der Schülerinnen und Schüler gefüttert. Wie viele Schwänzereien der Computer schon verhindert hat, wird dem Artikel zufolge gerade untersucht.

Und sonst so

Sollte Türkisch als reguläre Fremdsprache an Schulen angeboten werden? Darüber werde gerade in Hessen debattiert, berichtet die »FAZ« . Migrantenorganisationen und die Linke kritisieren »eine bewusste Vernachlässigung und mangelnde Wertschätzung der türkischen Kultur und Sprache«, doch laut Kultusministerium werde das Sprachangebot in einem Modellprojekt kaum nachgefragt.

In Sachsen wird über das komplette nächste Schuljahr die Arbeitszeit von Lehrkräften genau untersucht. Eine solche repräsentative Analyse sei bundesweit einmalig, sagte Kultusminister Christian Piwarz (CDU). Bisher hatten sich die Kultusminister gegen eine Erfassung der Arbeitszeit gestemmt, wie meine Kollegen und Kolleginnen aus dem Bildungsteam im Winter berichteten .

Zahl der Woche

500.000

Der Berliner Senat und die Universitäten der Hauptstadt starten eine neue Werbekampagne für Lehramt. Die Kampagne »Berlin macht Schule« umfasst unter anderem digitale Plakatwerbung in ganz Berlin und in der U-Bahn, Spots im Radio, Social-Media-Aktionen und eine Website mit vielen Informationen rund um ein Lehramtsstudium. Auch ein Kunstprojekt gehört dazu: Ein Künstler und eine Künstlerin wurden beauftragt, an zwei Berliner Gymnasien Toilettenräume zu gestalten. Die Kosten der auf mehrere Jahre angelegten Kampagne betragen jährlich 500.000 Euro.

Debatte der Woche

Lehrerin (in Niedersachsen): Lehrkräfte fehlten vor allem dort, wo es die größten Herausforderungen gibt

Lehrerin (in Niedersachsen): Lehrkräfte fehlten vor allem dort, wo es die größten Herausforderungen gibt

Foto: Julian Stratenschulte / dpa

Klaus Zierer, Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg, hat für die Veröffentlichung des vor Kurzem auf Deutsch erschienenen Fachbuchs »Visible Learning 2.0« mit dem Autor John Hattie zusammengearbeitet. Mein Kollege Armin Himmelrath hat mit Zierer über die Neuauflage gesprochen.

SPIEGEL: Was ist für Sie die wichtigste Botschaft an Lehrkräfte und die Bildungspolitik, die in dem neuen Buch steckt?

Zierer: Jenseits des erneut starken Plädoyers für die Berücksichtigung von empirischen Daten in der Schul- und Unterrichtsentwicklung ist es die Botschaft, dass es bei allen Akteuren im Bildungssystem auf die Haltungen ankommt. Für Schüler, Eltern und Lehrer ist es nicht nur wichtig zu wissen, was sie tun, sondern auch und vor allem, warum sie etwas tun.

SPIEGEL: Wo muss sich vor diesem Hintergrund der Blick aufs deutsche Schulsystem ändern?

Zierer: Wir haben keinen Mangel an empirischen Ergebnissen, sondern einen Mangel in der Umsetzung. Bestes Beispiel ist die Debatte, die vor Kurzem durch die Pisa-Ergebnisse entfacht wurde. Wegen des schlechten Abschneidens meinten viele Ministerien, die Stundenanzahl in Mathematik und Deutsch nun erhöhen zu müssen – häufig auf Kosten von Kunst, Musik und Sport. Dies ist nicht nur aus bildungstheoretischer Sicht Unsinn, sondern auch aus empirischer.

SPIEGEL: Warum?

Zierer: Wir wissen nur allzu gut, dass Lernerfolg nicht eine Frage der Quantität ist, sondern der Qualität. Mit anderen Worten: Mehr Stunden Mathematik und Deutsch führen nicht zu einer Verbesserung, entscheidend ist die Unterrichtsqualität. Dieses Bewusstsein für die Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung fehlt bis heute, trotzt ihres Siegeszugs.

SPIEGEL: Was muss aus Ihrer Sicht passieren?

Zierer: Wir müssen viel stärker als bisher die Schulen vor Ort unterstützen und damit aufhören, ihnen immer mehr abzuverlangen, ohne ihnen gleichzeitig Freiräume und Begleitung zu geben. Das Modell für eine evidenzbasierte Schul- und Unterrichtsentwicklung von John Hattie ist ein Meilenstein, um einerseits Schulen angemessen in die Verantwortung zu nehmen und andererseits der Bildungspolitik Orientierung zu bieten, wo sie unterstützen kann, wo sie entlasten muss und wovon sie am besten die Finger lässt.

Neues von SPIEGEL Ed

Foto: DER SPIEGEL

Am Sonntag wird gewählt, und bei der Europawahl sind 16-Jährige erstmals wahlberechtigt. Sie möchten das Thema kurzfristig im Unterricht besprechen, haben aber noch kein passendes Unterrichtsmaterial? Dann haben wir was für Sie: Mit zwei Unterrichtsmodulen unserer Bildungsinitiative SPIEGEL Ed können sich Klassen der Mittel- und Oberstufe dem Thema nähern. Das Material befasst sich mit der Europäischen Union und der Wahl des Europäischen Parlaments, inklusive praktischer Informationen für diejenigen, die erstmals wahlberechtigt sind. Außerdem veranschaulichen die Unterrichtseinheiten die Alltagsrelevanz der Europapolitik für Schülerinnen und Schüler. Die Module stehen kostenlos auf SPIEGEL Ed zum Download bereit.

Das war’s für dieses Mal. Vielen Dank für Ihr Interesse und bis zum nächsten Mal! Wenn Ihnen ein Thema auf dem Herzen liegt: Sie erreichen uns unter bildung@spiegel.de .