Zum Inhalt springen

Kleine Anfrage in Mecklenburg-Vorpommern Schulen veranstalten Demokratietag – AfD beklagt angebliche »Indoktrinierung«

Mehr als 1500 Schulen in Deutschland beschäftigten sich zum Grundgesetz-Jubiläum mit Demokratie und Vielfalt. Die AfD in Mecklenburg-Vorpommern möchte nun wissen: Welche Schulen haben mitgemacht? Und wie viele Schüler?
Plakat für eine Demokratiekundgebung in Frankfurt am Main (Symbolbild): Aktionen an mehr als 1500 Schulen

Plakat für eine Demokratiekundgebung in Frankfurt am Main (Symbolbild): Aktionen an mehr als 1500 Schulen

Foto:

Peter Henrich / HEN-FOTO / IMAGO

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Es war ein Fest der Demokratie. Zu seinem 75. Geburtstag befassten sich Schulen in ganz Deutschland Anfang Juni mit dem Grundgesetz, mit Vielfalt und Wahlfreiheit, aber auch mit Ausgrenzung und Hass. Das Motto der Initiative dahinter: #IchStehAuf. In Mecklenburg-Vorpommern hat das pädagogische Verfassungsjubiläum nun ein Nachspiel. Der Landesvorsitzende der AfD, Enrico Schult, nämlich verlangt in einer Kleinen Anfrage, alle beteiligten Schulen aufzulisten.

Es ist nicht das erste Mal, dass die AfD einen Schulpranger errichten will.  Seit Jahren versucht die Partei, Schüler dazu zu bringen, Lehrkräfte zu melden, die sich im Unterricht mit der AfD befassen – und dies dann auf Petzportalen zu veröffentlichen.

Enrico Schult geht nun einen Schritt weiter: Er hinterfragt eine Initiative, die das Grundgesetz in den Mittelpunkt rückt und hinter der sich alle Schulministerinnen und -minister der Republik versammelt haben. Schirmherr von #IchStehAuf ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Trotzdem befürchtet AfD-Landeschef Schult, dass »politische, wenn nicht gar ideologische Indoktrinierung« stattgefunden haben könnte. In seiner Anfrage verweist er auf eine Grundschule, die »laut Pressebericht« entsprechende Veranstaltungen abgehalten habe – mit Kindern in einem Alter, »in dem das eigene Urteilsvermögen noch nicht ausgebildet« sei.

Schulleiter sind entsetzt über die Anfrage. Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerium aber hat die Fragen des AfD-Mannes an die Schulen weitergeleitet – samt Frist zur Beantwortung.

War die AfD Thema der Demokratielehrstunden?

Enrico Schult, 45, der auch bildungspolitischer Sprecher seiner Partei ist, verlangt präzise Auskünfte über den Tag der Demokratie an Schulen. Er will wissen, welche Schulen beteiligt waren, wie viele Schülerinnen und Schüler pro Klassenstufe an den Veranstaltungen teilgenommen haben, wie viel Zeit dafür aufgewendet wurde und ob Lehrkräfte oder Externe für die Durchführung verantwortlich waren. Außerdem sollen die Schulleiter angeben, ob und wie die Partei AfD thematisiert wurde.

Das Bildungsministerium hat Schults Fragen Wort für Wort in eine Excel-Tabelle übertragen, in der sich die Schulen nun bekennen sollen. Gegenüber dem SPIEGEL sagte ein Sprecher, man sei laut Verfassung verpflichtet, »vollständig auf Kleine Anfragen von Abgeordneten oder Fraktionen des Landtags zu antworten«. Für die Beantwortung im konkreten Fall hat das Ministerium bis zum 12. Juli Zeit.

»Immer wenn Schule Partizipation und Vielfalt feiert, haben die Angst, dass es auch um sie geht.«

Schulleiter Gert Mengel über die AfD

Die Aktionen und Initiativen von mehr als 1500 Schulen sind so vielfältig, dass sie in eine Tabelle kaum passen. Es gab unzählige Film- und Fotoaktionen, Grundschüler gestalteten eine Plakatwand mit einem Schmetterling und dem Motto: »Demokratie braucht Vielfalter«. Die Bosch-Stiftung als Initiator stellte den Schulen aber auch tiefer gehende Unterrichtsmaterialien  bereit. Dazu zählen Lerneinheiten zu Klassensprecher-Wahlen ebenso wie zur Geschichte der Paulskirchenverfassung oder Angebote, um extremistische Propaganda und Fake News erkennen zu lernen.

Propaganda-Clips bei TikTok

Der Rostocker Schulleiter Gert Mengel kritisiert die Anfrage scharf. Sie mache das Misstrauen der AfD in die Demokratie deutlich: »Immer wenn Schule Partizipation und Vielfalt feiert, haben die Angst, dass es auch um sie geht«, sagte der Leiter der Don-Bosco-Schule. »Anstatt Schulen an den Pranger zu stellen, muss die AfD aufhören, Schülerinnen und Schüler bis tief in die Nacht auf TikTok mit Propaganda-Clips zu bombardieren«, so Mengel. »Die Eltern sollten ihre Kinder ins Bett bringen – aber nicht Björn Höcke.«

Der Landeselternsprecher Mecklenburgs, Kay Czwerwinski, empfiehlt Selbstbewusstsein. »Für die Demokratie steht man am besten mit offenem Visier ein«, sagt er. »Deswegen habe ich kein Problem damit, öffentlich kundzutun, dass die Schulen das Grundgesetz gefeiert haben.« Die Bosch-Stiftung lässt auf Anfrage mitteilen: »Es ist originäre Aufgabe von Schule, demokratische Werte und Kompetenzen einzuüben.« Alle Kultusministerien hätten sich der Initiative angeschlossen, so eine Sprecherin.

Parlamentsverwaltung prüft die Liste

Ob am Ende wirklich eine Liste der teilnehmenden Schulen veröffentlicht wird, hängt nicht nur am Bildungsministerium. Nach Informationen des SPIEGEL prüft die Landtagsverwaltung zuvor, welche Daten über Schulen aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage publiziert werden dürfen. Der einzelne Abgeordnete habe zwar ein Recht auf Information, heißt es. Insbesondere Lehrerinnen und Lehrer seien jedoch vor einer Verletzung ihrer Privatsphäre und ihrer Persönlichkeitsrechte zu schützen.

Enrico Schult rechtfertigt seine Anfrage damit, dass bei #IchStehAuf Erst- und Zweitklässler an einer Demonstration mit Transparenten teilgenommen hätten. Er habe kein Problem damit, wenn Schüler Projekttage zum Grundgesetz gestalten, teilt der AfD-Landeschef schriftlich mit. Im konkreten Fall sei es ihm »lediglich um das Alter der 100 Schüler« gegangen – »und ob sie bereits die geistige Reife für dieses Format haben«. Dass er einen Schulpranger einrichten wolle, das weise er zurück.

In besagtem Pressebericht ist zu sehen, dass die Grundschüler bei ihrer Demonstration »ein Recht auf Spielen« forderten, oder aber, Zigarettenkippen »nicht auf den Boden zu werfen«. Diese Fotos habe er im Medienspiegel des Landtags leider nicht sehen können, schreibt Schult. Dort werde lediglich Text zur Verfügung gestellt.