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Miriam Olbrisch

SPIEGEL-Bildungsnewsletter Wie sollten Schulen mit dem Ergebnis der Europawahl umgehen?

Sie wählten überwiegend AfD, Union oder Kleinstparteien: Nach der Europawahl bleibt die Frage, wie Erstwählerinnen und Erstwähler ticken. Und wie Lehrkräfte und Schüler auf den Rechtsruck reagieren können.

Als ich am Abend der Europawahl auf die bunten Balken auf meinem Handy starrte, hoffte ich zuerst auf ein Missverständnis. Die enormen Zuwächse der AfD lassen mich heute, mehr als eine Woche später, immer noch ungläubig mit dem Kopf schütteln. Nennen Sie mich naiv – so deutlich hatte ich das nicht kommen sehen.

Erstmals durften 16- und 17-Jährige hierzulande ihre Stimme abgeben – ursprünglich eine Idee eher linker Parteien, die sich gerade in dieser Kohorte hohe Zustimmung erhofften. Dieser Plan, so viel kann man sagen, ist nicht aufgegangen.

Union und AfD lagen mit je 17 Prozent der Stimmen bei den 16- bis 24-Jährigen gleichauf an der Spitze. Daneben wählten die Jungen besonders häufig Klein- und Kleinstparteien. Warum das so ist, dafür hat es seither viele Erklärungsversuche gegeben. Einige haben wir Ihnen in diesem Newsletter zusammengestellt (»Das ist los«).

Nach diesem Ergebnis muss man fragen: Haben wir »Älteren« das Gefühl für die jungen Menschen in diesem Land verloren? Ich habe dazu mit Aimo Görne gesprochen, 18 Jahre alt und Vorsitzender des Landesschülerausschusses Berlin. Seine zentrale Botschaft: Die Kohorte ist sehr divers – pauschale Aussagen lassen sich nicht treffen. Aber gerade das macht es für Ältere so schwierig, diese Generation zu verstehen (»Debatte der Woche«).

Ich wüsste gern, wie Sie, die Leserinnen und Leser dieses Newsletters, darüber denken – und was Sie in Ihrem Schulalltag beobachten. Ich freue mich über eine E-Mail an bildung@spiegel.de .

Außerdem schauen wir auf die Kultusministerkonferenz, die vergangene Woche eine interne Revolution losgetreten hat (»Das ist los«), und betrachten eine Neuauswertung der Pisa-Daten (»Zahl der Woche«).

Das war die letzte Ausgabe dieses Newsletters vor der Sommerpause. Wir wünschen Ihnen erholsame Ferien!

Für das Bildungsteam des SPIEGEL

Herzlich
Miriam Olbrisch

Feedback & Anregungen? 

Das ist los

Klimastreik vor Europawahlen: Ist es mit der Generation Klima vorbei?

Klimastreik vor Europawahlen: Ist es mit der Generation Klima vorbei?

Foto: Dominik Butzmann / photothek / IMAGO

1. Die neuen Wählerinnen und Wähler

Das Wahlverhalten der 16- bis 24-Jährigen hat in der vergangenen Woche viele beschäftigt. Ein SPIEGEL-Team hat dazu eine umfassende Analyse geschrieben . Im Interview mit meiner Kollegin Anna Reimann sagt die 18-jährige Louisa Basner , Generalsekretärin der Bundesschülerkonferenz, viele Jugendliche unterschätzten, »wie extrem rechts die AfD ist.« Sie seien »einfach uninformiert«. SPIEGEL-Kolumnist Sascha Lobo hingegen wundert sich in seinem Text , dass »nur« 17 Prozent für die AfD gestimmt haben – er hatte nach eigener Aussage eher einen Wert zwischen 20 und 30 Prozent erwartet.

2. Die neue KMK

Die Kultusministerkonferenz bewege sich »mit der Geschwindigkeit einer griechischen Landschildkröte«: Dieses Bild, das der verstorbene FDP-Politiker Jürgen Möllemann vor vielen Jahren prägte, ist die KMK nie so wirklich losgeworden. Das könnte sich jetzt ändern: Um »schneller«, »effizienter« und »agiler« zu werden, wie es in der Eigendarstellung heißt, hat die KMK eine wegweisende Reform beschlossen: Künftig tagen die Ministerinnen und Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur getrennt – drei Konferenzen statt einer. Ein Kernproblem hingegen bleibt: Auch in Zukunft können Beschlüsse nur gefasst werden, wenn alle Länder zustimmen. Das vielfach kritisierte Einstimmigkeitsprinzip soll erst einmal bestehen bleiben. Wie die neue KMK aussehen soll, haben wir hier skizziert .

3. Der neue Grundschultest

Und noch ein Beschluss der gerade beendeten Sitzung der Kultusministerinnen und -minister ist bemerkenswert: Ab 2027 sollen Grundschulkinder ab der ersten Klasse regelmäßig in den Kernkompetenzen Mathematik und Deutsch getestet werden. »StarS – Stark in die Grundschule starten«  heißt das Programm, entwickelt wurde es vom Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). So sollen Lehrkräfte schon früher erkennen können, welches Kind besondere Unterstützung braucht.

4. Und sonst noch?

Schüler in der Grundschule (Symbolbild): »Kinder wachsen nicht in einem politikfreien Raum auf«

Schüler in der Grundschule (Symbolbild): »Kinder wachsen nicht in einem politikfreien Raum auf«

Foto: Peter Steffen / dpa

Vor einigen Wochen filmte ein Anwohner, wie Grundschulkinder in Hamburg eine Demo gegen rechts nachspielten. Das Filmchen landete im Netz – und die AfD behauptete öffentlich, die Kinder würden an der Schule indoktriniert. Silke Fokken und Armin Himmelrath aus dem SPIEGEL-Bildungsteam haben nachgezeichnet, wie die AfD Druck auf Schulleitungen und Behörden aufbaut .

��Nehmt den Schülern die Handys weg«, fordert »Zeit«-Kollege Alan Posener in einem Kommentar  und argumentiert, man müsse die Kinder vor den Gefahren aus den sozialen Netzwerken schützen.

Das Gymnasium Plochingen testete ein Gleitzeitmodell für Schülerinnen und Schüler. Wer wollte, durfte zweimal pro Woche erst zur dritten Stunde kommen. Ein Siebtklässler erzählt im aktuellen SPIEGEL, wie das funktioniert hat .

Zahl der Woche

Platz 16

Belegten die deutschen Schülerinnen und Schüler in einer Sonderauswertung der Pisa-Daten von 2022  im Bereich »Kreatives Denken«. Sie erinnern sich: Das ist dieselbe Studie, die den Neuntklässlern hierzulande im vergangenen Winter so katastrophale Kompetenzen im Bereich Mathematik bescheinigte. In der neuen Auswertung landete Deutschland im Mittelfeld der OECD-Länder, genau wie Litauen, Spanien und Tschechien, knapp vor den Niederlanden und Frankreich. An der Spitze der Tabelle: die typischen Pisa-Streber Singapur, Südkorea und Kanada. Das kreative Denkvermögen wurde im Rahmen der Pisa-Studien zum ersten Mal getestet.

Debatte der Woche

»Viele junge Menschen haben Angst vor der Zukunft«

Die rechtsextreme Partei »Der III. Weg« verteilt Flyer an mindestens einer Berliner Schule , Schülervertreter berichten von Hakenkreuzen auf Tischen – und bei der Europawahl hat die AfD unter jungen Wählerinnen und Wählern viele Stimmen geholt. Das Bildungsteam hat in den vergangenen Tagen mit Schülerinnen und Schülern in ganz Deutschland gesprochen, um herauszufinden, was junge Menschen umtreibt. Einer von ihnen ist Aimo Görne, 18, Landesschülersprecher in Berlin.

SPIEGEL: Herr Görne, haben unsere Schulen ein Rassismusproblem?

Görne: Der erste Fehler ist zu glauben, man könnte hier eine pauschale Aussage treffen. »Die Schulen« gibt es nicht, dafür ist das Bild viel zu divers. Selbst hier in Berlin gibt es riesige Unterschiede zwischen einzelnen Stadtteilen, manchmal sogar zwischen einzelnen Schulen in unmittelbarer Nachbarschaft. In Pankow etwa kenne ich etliche Schulen, die sich stark machen gegen Rechtsextremismus, die haben Aufklärungsprojekte, organisieren Demos. Und vor anderen verteilt »Der III. Weg« ungestört seine Werbung. Trotzdem nehme ich wahr, dass sich der Umgang mit Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus geändert hat.

SPIEGEL: Was beobachten Sie?

Görne: Dass die Abwehr gegen rechte Parolen, gegen AfD-Aufkleber auf der Toilette oder Graffitis mit verfassungsfeindlichen Symbolen geringer wird. Dabei ist es wichtig, dass sich nicht nur die Lehrkräfte, sondern auch die Jugendlichen positionieren und rechtsextreme Propaganda nicht tolerieren. »Haben wir nicht andere Probleme?«, ist eine Frage, die ich immer wieder höre. Die mediale Aufregung etwa um das »Sylt-Video« nehmen nicht wenige als übertrieben wahr.

SPIEGEL: Welche »anderen Probleme« sind damit gemeint?

Görne: Viele junge Menschen haben Angst vor der Zukunft, etwa vor der Inflation und davor, später nicht genug Geld zum Leben zu haben. Und es geht um Sicherheit im öffentlichen Raum: Die Zahl der Gewalttaten, insbesondere der Messerangriffe, steigt nicht nur hier in Berlin. Wenn Jugendliche das Gefühl haben, sie könnten sich nicht mehr allein auf die Straße trauen, ist das ein Einfallstor für Rechte – die bieten eine einfache Lösung.

Wie denken Sie darüber? Teilen Sie diese Meinung? Wir freuen uns über Zuschriften an bildung@spiegel.de .

Neues von SPIEGEL Ed

Foto: DER SPIEGEL

Woran erkenne ich Fake News? Wie kann ich Hatespeech begegnen? Wie arbeiten Journalistinnen und Journalisten, und welche Verantwortung haben Medien eigentlich in einer Demokratie? Wenn Sie diese hochaktuellen Fragen im Unterricht diskutieren möchten, dann stöbern Sie doch mal in unserem medienpädagogischen Workshop-Angebot.

Gemeinsam mit jungen Peer-Trainerinnen und Trainern der »Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa« bietet der SPIEGEL niedrigschwellige und anwendungsorientierte Kurse in Schulen an. Ziel ist, mit den Jugendlichen über deren Medien­gewohnheiten ins Gespräch zu kommen und ein Verständnis für journalistische Arbeits­weisen zu entwickeln. Gleichzeitig regen die Workshops dazu an, den eigenen Umgang mit Nachrichten zu reflektieren und die Rolle von Medien und Pressefreiheit für eine demokratische Gesellschaft zu diskutieren.

Die gute Nachricht zum Schluss

Endlich mal ein Forschungsprojekt mit direktem Praxisbezug: Valentin Schwer, 18 Jahre alt, ist es gelungen, in einer schulischen Versuchsreihe den perfekten Mahlgrad für Kaffeebohnen zu bestimmen – und damit den Geschmack zu optimieren. Mit seiner Idee hat es Valentin bis ins Bundesfinale von Jugend forscht geschafft. Der Bayerische Rundfunk hat ihn besucht .

Das war’s für dieses Mal. Haben Sie ein Thema auf dem Herzen, das wir uns einmal genauer anschauen sollten? Dann schreiben Sie gern an bildung@spiegel.de  – das Team der »Kleinen Pause« dankt für Ihr Interesse!