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Kritik an Selbstvermarktung Fußballfans fordern separate Plätze für Influencer im Stadion

Viele Influencerinnen und Influencer bekommen zu Werbezwecken kostenlos Tickets für Fußballspiele, auch bei der EM. Die Fanvereinigung »Unsere Kurve« fordert für sie Extrabereiche in Stadien. Im Netz ist der Ton rauer.
Kroatische Influencerin Ivana Knoll: »Nur sich selber vermarkten«?

Kroatische Influencerin Ivana Knoll: »Nur sich selber vermarkten«?

Foto:

Odd Andersen / AFP

Ob jubelnd im Spanien-Trikot, mit den Three Lions auf der Brust oder mit schwarz-rot-gold angemalten Wangen – Influencer sind bei fast allen Topspielen der Fußball-EM auf den Rängen zu sehen. Einer von ihnen ist »ViscaBarca«. Er zählt mit fast 1,9 Millionen Followern zu den beliebtesten YouTubern seiner Art. Immer häufiger laden Influencer wie er Videos von ihren Stadionerlebnissen hoch, auch während der EM. Dabei filmen sie nicht nur das Spielgeschehen, sondern auch sich und ihre meist überbordenden Emotionen während der Partie. Solche Clips werden mitunter hunderttausendfach geklickt. Doch viele Fußballfans haben wenig Verständnis für diese Entwicklung.

Sie werfen den Influencerinnen und Influencern vor, sie nähmen den »echten« Fans die begehrten Plätze im Stadion weg und missbrauchten sie für Werbezwecke. Denn die Webstars bekommen die Karten in der Regel kostenlos von ihren Werbepartnern zur Verfügung gestellt.

Thomas Kessen etwa, Sprecher der Fanvereinigung »Unsere Kurve«, sieht die Entwicklung kritisch: »Wenn Fans Plätze weggenommen werden, gerade wenn wir über Dortmund, Bayern oder Schalke sprechen, wo die Stadien immer ausverkauft sind und man nur schwer an Karten kommt, dann ist das klar zu kritisieren.«

Kessen: »Keinerlei Faninteresse«

Auch bei der EM besuchten zahlreiche Influencer wieder Spiele. »ViscaBarca« kündigte an, jedes der Deutschland-Spiele besuchen zu wollen. Er tourt während der EM mit einem Wohnmobil durch Deutschland, plakatiert mit einer Vielzahl von Werbepartnern. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur äußerte sich sein Management nicht dazu, wie er an die Tickets kommt.

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Die YouTuber »Trymacs« und »EliasN97« sprechen ganz offen in ihren Videos über ihre Werbekooperationen zur EM. Ob ihre Tickets für »normale« Stadionbesucher aber überhaupt zugänglich wären, bleibt fraglich, denn oftmals sind diese Sitzplätze ausschließlich den Partnern oder Sponsoren der Europäischen Fußball-Union Uefa vorbehalten – wen sie einladen, ist den Werbepartnern überlassen.

»Dass hier vereinzelt Menschen Zugang zu Karten ermöglicht wird, die keinerlei Faninteresse verfolgen, sondern nur sich selber vermarkten wollen – das ist, vorsichtig formuliert, schräg«, sagt Kessen. Er schlägt eine klarere Trennung zwischen Fans und Influencern vor: »Kommt jemand in ein Stadion als Fan und aus Interesse am Spiel? Dann gibt es die ganz normalen Tribünenbereiche. Oder kommt er ins Stadion, um zu arbeiten und mit einer Art Gewinnabsicht? Dann gibt es dafür die Pressetribüne.«

Auf Nachfrage des SPIEGEL stellt Kessen klar, dass Influencer aus seiner Sicht keine journalistische Arbeit machen: »Aber sie haben es sich selber zum Job gemacht, über den Fußball und das Stadionerlebnis zu berichten. Damit sind sie kein Teil der Fans, die das Stadionerlebnis ja erst ›herstellen‹, sondern man kann gewisse Parallelen zu Journalist:innen herstellen, die im Stadion ebenfalls ihren Job machen.« Es stehe aber außer Frage, dass journalistische Berichterstattung »sinnvoll und gut ist, wohingegen der Mehrwert privater Videos angezweifelt werden darf. Insbesondere da diese keinerlei journalistischen Standards unterliegen.«

Weniger vorsichtig formulieren es manche in den Kommentaren unter Stadion-Beiträgen von Influencern in sozialen Netzwerken. »Influencer aus den Stadien« ist mittlerweile eine oft wiederholte Losung. Neu ist die tiefe Abneigung nicht: Bereits vor einem Jahr  kursierte der Hashtag #GegenInfluencerImStadion auf Twitter.

Kommentare unter einem Instagram-Post: »Influencer aus den Stadien«

Kommentare unter einem Instagram-Post: »Influencer aus den Stadien«

Foto: Instagram

»Bestimmte Richtlinien« für Influencer

Medienforscher Christoph Bertling von der Deutschen Sporthochschule in Köln hingegen bezeichnet das Vorgehen zwischen Werbepartnern und Influencern als gängige Praxis. Es werde zwischen verschiedenen Influencer-Gruppen unterschieden. »Nano-Influencer mit einer kleinen Reichweite, doch großer Glaubwürdigkeit, Mega-Influencer mit einer sehr großen Reichweite, jedoch weniger Tuchfühlung zu den Fans«, sagt Bertling. Vorteile für Veranstalter und Werbepartner seien bei einem strategisch cleveren Aufbau, dass sie Glaubwürdigkeit und Reichweite bekämen, ohne beispielsweise eigene Accounts kostenintensiv aufbauen und bespielen zu müssen.

Die Uefa teilte mit, dass es ihren Werbepartnern frei stehe, mit Influencern während der EM zusammenzuarbeiten. Welche genauen Absprachen es zwischen Influencern, Werbepartnern und Uefa gibt, macht der Fußballverband aber nicht öffentlich. Seitens der Uefa heißt es lediglich, die von Influencern erstellten Inhalte müssten »bestimmten Richtlinien« entsprechen. So dürften YouTuber beispielsweise nicht aus dem Stadion live übertragen.

pbe/dpa