Elke Heidenreich, Autorin und Buchkritikerin:
»Hier ist wieder Ihre Leseberaterin. Heute habe ich zwei ganz schmale Bücher für Sie, für faule Leser. Aber ich verspreche, in 14 Tagen gibt es dann zwei richtig dicke Schmöker, also 500 Seiten. Und zwar habe ich was kleines Böses: Cécile Tlili: ›Ein Sommerabend‹ bei Kein & Aber erschienen. Klingt doch nett. Ein Sommerabend. Zwei reiche Paare in Paris besuchen sich. Gutes Essen, schöne Weine, gepflegte Manieren. Und letztlich ist alles eine Katastrophe. Es ist heiß, die Gäste, Johar und Rémi, wären viel lieber zu Hause. Die Gastgeber Étienne und Claudia fluchen über diesen ganzen scheiß Aufwand. Aber man zieht das Gesellschaftsgetue durch, denn man will auch was voneinander. Étienne braucht für seine mickernde Anwaltskanzlei dringend potentere Kunden und es liegt in der Luft, dass Johar zu irgendeinem ganz hohen Posten in der Politik berufen wird. Und dann kann sie ihm diese Kunden vermitteln.
Um das schon mal vorwegzunehmen: Daraus wird natürlich nichts. Es bleibt beim Munkeln. Es klappt nicht. Claudia ist chronisch, die Gastgeberin, chronisch, mit den Nerven immer zu Ende. Und Rémi ahnt, dass seine Ehe gerade zu Bruch geht. Aber dann das Übliche: Küsschen, Small Talk, Drinks und es läuft alles aus dem Ruder. Der Gott des Gemetzels lässt grüßen und wir dürfen dabei sein, ohne dabei sein zu müssen und denken: Das geschieht euch recht, dieses ganze Elend, ihr blöden, reichen Arschlöcher! Das denken wir. Und natürlich steht dauernd irgendwer auf dem Balkon und telefoniert. Und wir haben ordentlich Spaß beim Lesen, weil wir das alles kennen. Weil wir genau solche Deppen sind, die manchmal genauso auf solchen Einladungen rumstehen und denken: Warum bin ich nicht zu Hause? Warum muss ich diesen heißen, fettigen Fraß essen? Warum muss ich diesen süßen Champagner trinken? Warum muss ich diese grässlichen Leute sehen? Also wer so was gerne mal liest, in klein und schön und frech erzählt: Cécile Tlili: ›Ein Sommerabend‹, der aus dem Ruder läuft.
Und hier habe ich noch was: ›Reichlich spät‹ von Claire Keegan. Gucken Sie mal die Kirschen. Wie schön. Also, ich traue mich kaum es zu sagen, diese Geschichte Ihnen als Buch vorzustellen. Ich lasse die Katze gleich mal aus dem Sack: Es sind nur 55 Seiten. Aber jetzt gucken Sie doch mal, wie schön: Leineneinband, Kirschen, Lesebändchen, schönes Papier. Der Steidl Verlag weiß einfach immer, wie man schöne Bücher macht. Und dazu greif ich einfach und lese dann. Und hier stimmt alles, auch der Inhalt. Manche Geschichten sind eben, nun ja, sehr kurz. Und so auch diese. Die Autorin Claire Keegan hat uns schon oft solche ganz kurzen, aber sehr scharfen Geschichten beschert. ›Das dritte Licht‹ oder ›Kleine Dinge wie diese‹ heißen andere Bücher von ihr. Waren auch so kurz, knapp, böse und unvergesslich. Nun also ›Reichlich spät‹.
Wofür ist es reichlich spät? Um sich noch zu ändern. Um noch mal neu anzufangen. Um noch mal alt eingefahrene Gewohnheiten loszulassen. Und im Grunde also ist es zu spät für die Liebe. Dabei klappt es anfangs ganz gut mit Cathal und Sabine. Sogar Heiratspläne wurden geschmiedet. Und dann? Ja, und dann? Wenn ich das jetzt verrate, lesen Sie nicht mal diese 55 Seiten. Dann haben die ja gar keine Chancen mehr bei Ihnen. Sie sollten das aber lesen, denn so knapp, so präzise, so donnernd leise und böse hat noch niemand tief verwurzelten Frauenhass beschrieben wie hier in Kleinigkeiten Claire Keegan. Die will einen Verlobungsring – was das alles kostet. Die lässt Essen kommen, das hätte man doch abholen können, jetzt habe ich schon wieder vier Euro, einfach nur fürs Bringen. Also da kommt eine Frau in sein Leben und am Anfang hat Cathal gedacht, das ist doch schön. Sabine bringt ein bisschen Leben rein, aber die bringt alles durcheinander, das kostet Geld. Die räumt seine Sachen um, sie hat eigene Sachen im Bad. Also er kann das alles gar nicht ertragen. Er hat gedacht, er würde sie lieben. Er ist geprägt durchs katholische Irland, wo es auch spielt. Aber sie kommt aus Frankreich. Sie ist Französin. Sie hat eine Leichtigkeit, die er überhaupt nicht erträgt. Und er denkt: Vielleicht ist das jetzt einfach zu viel Wirklichkeit. Na ja, und deshalb will die Liebe nicht erblühen. Und das beschreibt Claire Keegan in ganz harten Schnitten, fast wie ein Film. Mitleidlose Sätze, am Ende knallt ein Sektkorken, ganz müde wie so ein Sekt, der schon ganz abgestanden ist. Aber der knallt nicht auf einer Hochzeit. Und wir haben messerscharfe 55 Seiten gelesen.
Und das andere zeige ich Ihnen auch noch mal: Tlili ›Ein Sommerabend‹ und hier eine missglückte Liebe von Claire Keegan. Und in 14 Tagen bin ich wieder da mit Urlaubsbüchern. Aber nicht so, wie die blöden Verlage neuerdings in ihre Kataloge schreiben: ›Dies ist das Urlaubsbuch für ihren Reisekoffer.‹ Nein, nein, wir bleiben schon bei der echten Literatur. Ich verrate Ihnen schon mal auf jeden Fall der großartige Colm Tóibín. Bis dann.«