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Arundhati Roy Indischer Bestsellerautorin drohen bis zu sieben Jahre Haft

Indiens Premier will wohl ein Exempel an der Autorin des Bestsellers »Der Gott der kleinen Dinge« statuieren: Sie könnte wegen eines angeblichen Vergehens, das 14 Jahre zurückliegt, vor Gericht gezerrt werden.
aus DER SPIEGEL 27/2024
Schriftstellerin Roy: Zimperlich war sie nicht

Schriftstellerin Roy: Zimperlich war sie nicht

Foto: Magnus Wennman / TT / IMAGO

Mehr als 200 indische Intellektuelle und Künstler haben in einem offenen Brief gefordert, eine Anzeige gegen die Bestsellerautorin Arundhati Roy, 62, endlich fallen zu lassen: »Wir appellieren an die Regierung und die demokratischen Kräfte des Landes, dafür zu sorgen, dass das Grundrecht, sich frei und furchtlos zu jedem Thema zu äußern, in unserem Land nicht verletzt wird«.

Roy droht in Neu-Delhi eine Anklage, weil sie gegen das Gesetz »zur Verhinderung rechtswidriger Aktivitäten« verstoßen haben soll – mit einer 14 Jahre zurückliegenden Äußerung. »Kaschmir«, sagte sie 2010 auf einer Konferenz zur möglichen Unabhängigkeit des nördlichen Teilstaats, »war nie integraler Bestandteil von Indien«.

Dafür drohen ihr, sollte es zum Prozess kommen, bis zu sieben Jahre Haft. Nach ihrem gefeierten Debüt »Der Gott der kleinen Dinge« (1997) hätte Roy, wie viele Künstlerinnen oder Künstler aus dem Globalen Süden, nach London oder New York ziehen und sich dort auf ihren Lorbeeren ausruhen können. Stattdessen blieb sie in ihrer Heimat – und trat literarisch kaum mehr in Erscheinung.

Demonstration gegen die Anklage von Roy: Die Welt lag ihr zu Füßen

Demonstration gegen die Anklage von Roy: Die Welt lag ihr zu Füßen

Foto: Idrees Mohammed / AFP

Umso mehr hat Roy sich im vergangenen Vierteljahrhundert als politische Publizistin und linke Aktivistin gegen Ungleichheit, Gewalt und die verheerenden Auswirkungen von Kapitalismus und Konsumismus auf die indische Gesellschaft einen Namen gemacht. Bei der Wahl ihrer Bundesgenossen im Kampf gegen die jeweilige Regierung in Neu-Delhi war sie nicht immer zimperlich – sie reichten von maoistischen Rebellen bis zu islamischen Fundamentalisten.

Ihr zweiter Roman, »Das Ministerium des äußersten Glücks« (2017), thematisiert unter anderem ein Massaker gegen Muslime, zu dem es 2002 im Bundesstaat Gujarat gekommen ist. Politisch verantwortlich war der Hindu-Nationalist Narendra Modi, der damals den Bundesstaat regierte und heute Indiens Premierminister ist. Weite Teile des Romans können überdies als scharfe Kritik am strengen Regime gelesen werden, mit dem die indische Armee das Streben nach Unabhängigkeit der kaschmirischen Bevölkerung unterdrückt.

Beobachter, darunter der indischstämmige Schriftsteller Salman Rushdie, sehen die größte Demokratie der Welt auf dem Weg in einen hinduistisch geprägten Totalitarismus. Modi und seine Partei BJP würden nach ihrem unerwartet schlechten Abschneiden bei den vergangenen Wahlen an Arundhati Roy – als eloquenter und auch im Westen prominenter Kritikerin – ein Exempel statuieren wollen. Schließlich ruhte das Verfahren gegen Roy seit vierzehn Jahren. Und ob eine Meinung über den Status der nordwestlichen Provinz wirklich den »öffentlichen Frieden und die Sicherheit« in Gefahr bringen kann, ist mehr als fraglich. Eben deswegen sorgt der Fall für Aufsehen.

Anmerkung der Redaktion: In einer frühen Version des Artikels schrieben wir, Roys zweiter Roman thematisiere unter anderem ein Massaker gegen Hindus. Tatsächlich handelt es sich um ein Massaker an Muslimen. Wir haben den Fehler korrigiert.

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