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Kinohit »A Killer Romance« Die Abgründe der Normalos

Das Kino hat ein neues Traumgespann: Regisseur Richard Linklater und Darsteller Glen Powell. In der schwarzen Komödie »A Killer Romance« erfinden sie die Figur des Auftragsmörders neu – und sich selbst ein wenig auch.
Glen Powell und Adria Arjona in »A Killer Romance«

Glen Powell und Adria Arjona in »A Killer Romance«

Foto: LEONINE / Netflix

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Der Mann ist das personifizierte karierte Kurzarmhemd. Freundlich, funktional und so belanglos, dass es fast schon wieder provoziert: Gary Johnson (Glen Powell). Dozent für Psychologie und Philosophie an der Universität von New Orleans, Mitte 30, Vororthäuschen, Kassengestell, alleinstehend (wenn man von zwei Katzen absieht). Ja, oberflächlich betrachtet erscheine sein Leben etwas langweilig, gibt Gary selbst zu. Mit seinem Innenleben, seinen Gedanken und Interessen sei er aber glücklich. Oder zumindest zufrieden.

Glen Powell als Gary Johnson

Glen Powell als Gary Johnson

Foto: Leonine / Matt Lankes / Netflix

Womit wir beim Spannungsverhältnis zwischen dem Innen und dem Außen wären. Was Gary seinen Studierenden über Nietzsche beibringt, dass der dafür plädiere, sich ins Leben zu stürzen und es in aller Leidenschaft auszukosten, das lehrt Gary nicht nur – das lebt er auch. Nebenher jobbt Gary nämlich bei der Polizei und unterstützt sie beim Überwachen und Abfangen von Menschen, die Auftragsmörder anheuern möchten. Worauf diese Menschen anspringen, sind aber nur die Lockvögel der Polizei. Im wahren Leben, erklärt Gary, seien Killer, die für einige Tausender ein Kapitalverbrechen begingen und dafür die Todesstrafe riskierten, eine Erfindung des Kinos.

Weil sich das Kino aber so tief in unser kollektives Bewusstsein gebohrt hat, wollen die Menschen entgegen aller Wahrscheinlichkeiten an die Existenz von Auftragsmördern glauben. Und weil sie bei allem Selbstbetrug trotzdem auch einen Mord anschieben wollen, spielt die Polizei mithilfe ihrer Lockvögel so lange Kino, bis die Menschen ihr das Mordkomplott gerichtstauglich ins versteckte Mikro gesagt haben.

Ad-hoc-Pläne für den perfekten Mord

Für das Schauspiel bei diesen Operationen war bislang ein Kollege von Gary zuständig. Als der überraschend wegen Gewalttätigkeit suspendiert wird, muss kurzerhand Gary ran und einem Verdächtigen vorgaukeln, es mit jemand absolut Kaltblütigem zu tun zu haben. Und tatsächlich: Dieses Innenleben, das Gary so beiläufig erwähnte, hält Erstaunliches bereit. Getrenntes Entsorgen von Kopf und Leib der Leiche, Abhacken der Fingerkuppen, Sprengen der Zahnleiste – ad hoc scheint Gary den perfekten und brutalen Auftragsmord aushecken zu können.

Der Verdächtige ist von dieser Performance sofort überzeugt, und die Kollegen bei der Polizei (gespielt von Retta und Sanjay Rao) sind es erst recht. Ab jetzt ist Gary ständig als Lockvogel im Einsatz. Doch sein Innenleben verbirgt noch viel mehr Überraschungen. Das zeigt sich vor allem, als er auf die Verdächtige Madison (Adria Arjona) angesetzt wird – und ad hoc ein doppeltes Spiel ausheckt.

Richard Linklater (M.) beim Dreh mit Adria Arjona und Glen Powell

Richard Linklater (M.) beim Dreh mit Adria Arjona und Glen Powell

Foto: Brian Roedel / LEONINE / Netflix

»A Killer Romance« ist bereits die vierte Zusammenarbeit von Regisseur Richard Linklater und Hauptdarsteller Glen Powell. Erstmalig war Powell 2006 in Linklaters Satire »Fast Food Nation« zu sehen. 2016 drehten sie die Erstsemester-Retro-Komödie »Everybody Wants Some!!«, 2022 folgte der Animationsfilm »Apollo 10 ½: Eine Kindheit im Weltraumzeitalter«. Für »A Killer Romance« haben Powell und Linklater nun erstmalig das Drehbuch zusammen verfasst und sich dabei, was Charme, Witz und Wendungen angeht, spielerisch selbst übertroffen. Bei den Filmfestspielen von Venedig war »Hit Man«, wie der Film im Original heißt, ein so großer Überraschungserfolg, dass Netflix sich die Rechte sicherte. In ausgewählten Ländern kommt er aber auch ins Kino – seit dem 4. Juli zum Beispiel in Deutschland.

Großartige Rollenspiele

Die Idee zum Film geht auf einen Bericht in der Zeitschrift »Texas Monthly«  über den Philosophiedozenten Gary Johnson zurück, der bis zur Jahrtausendswende in Houston als Lockvogel für die Polizei gearbeitet hatte. Powell und Linklater waren unabhängig voneinander auf den Artikel gestoßen, auf Drängen von Powell machten sie sich an ein gemeinsames Drehbuch. Was sie an Johnsons Geschichte so reizt, erklärt sich mit einem Blick auf ihre eigenen Karrieren: Powell und Linklater sind ebenfalls gewissermaßen karierte Kurzarmhemden – mit ebenfalls erstaunlichem Innenleben.

Richard Linklater, Jahrgang 1960, hat sich seit seinem Debütfilm »It’s Impossible to Learn to Plow by Reading Books« von 1988 bis auf wenige Ausnahmen stilistisch kaum vom US-Mainstreamkino wegbewegt und schon früh seinen Platz im freundlichen Nirgendwo zwischen mal größeren, mal kleineren Publikumserfolgen eingenommen. Dennoch ist er einer der bemerkenswertesten Filmemacher unserer Zeit. Mit einfachsten Mitteln wie dem Einsatz von tatsächlich vergangener Zeit – etwa in »Boyhood« oder der »Before«-Trilogie – hat er verblüffende emotionale Tiefen erschlossen. Alltägliches wie das Aufziehen von Kindern oder das Führen einer Langzeitbeziehung fühlt sich in seinem Kino wie das größte Lebensabenteuer an.

Filminfos

»A Killer Romance«
USA 2023
Regie: Richard Linklater
Buch: Richard Linklater, Glen Powell
Mit: Glen Powell, Adria Arjona, Retta, Austin Amelio, Sanjay Rao
Produktion: Barnstorm Productions et al.
Verleih: Leonine
Länge: 115 Minuten
Start: 4. Juli 2024

Der 28 Jahre jüngere Powell hat sich derweil vom Jugenddarsteller beharrlich in die zweite Riege der Hollywoodstars vorgearbeitet. In Filmen wie »Hidden Figures« oder »Top Gun: Maverick« hat er verlässlich gut gespielt, aber auch nicht gerade bleibenden Eindruck hinterlassen. Dass er häufig mit Seriendarsteller Justin Hartley verwechselt wird und darüber selbst Witze macht, gehörte die längste Zeit noch zu Powells bemerkenswerteren Eigenschaften.

Ein Killer ganz nach ihren Wünschen

In »A Killer Romance« macht er sich seine austauschbare Attraktivität nun zu Nutzen und geht in Garys Rollenspiel großartig auf. Je nachdem, auf wen er als Lockvogel angesetzt wird, arbeitet sich Gary in die Psyche seiner Auftraggeber in spe ein und performt für sie den Auftragsmörder, der ihren Wünschen und Träumen entspricht: einen Yakuza-artigen Killer etwa für den wohlstandsverwahrlosten Teenager, der vom Geballere in Videospielen irgendwie auf den Auftragsmord an seiner Mutter gekommen ist; einen Männerdutt tragenden Sonnyboy für die reiche Rentnerin, die nach dem Beseitigen des leidigen Ehemanns noch etwas erleben möchte.

Powell spielt sie alle mit verblüffender Verwandlungsfähigkeit, behält dabei aber einen komödiantischen Unterton bei, der unterstützt durch das smarte Drehbuch und Linklaters zügige Regie nie abflacht. Den Umstand, dass Gary Philosophie und Psychologie unterrichtet, nutzt »A Killer Romance« zudem, um einige allgemeinere Bemerkungen einfließen zu lassen über die Wandelbarkeit von Identität und die Lust daran, sich auf diese Wandelbarkeit einzulassen.

Als Gary verkörpert Glen Powell diese Lust buchstäblich. Wann ihr Dozent denn bitte so heiß geworden sei, fragen sich Garys Studierende zum Ende des Semesters hin, als Gary so tief in das Rollenspiel eingetaucht ist, wie es nur möglich erscheint. Ähnliches kann man sich zum Ende des Films auch als Kinopublikum fragen – wann aus Glen Powell denn ein Star geworden ist. Nach »A Killer Romance« ist er es nämlich, sogar im karierten Kurzarmhemd.