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Weniger erschöpft im Job »Ein erster Schritt: morgens einfach mal den Laptop geschlossen lassen«

Wenn alles über uns zusammenbricht, bräuchten wir Superkräfte. Die aber haben wir längst, sagt Unternehmerin Anja Förster. Hier erklärt sie, wie man Nein sagt. Und was auf ihrer Not-to-do-Liste steht.
Ein Interview von Maren Hoffmann
Anja Förster: »Wir können die Krisen nicht ändern, aber unseren Umgang damit«

Anja Förster: »Wir können die Krisen nicht ändern, aber unseren Umgang damit«

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privat

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SPIEGEL: Überall Krise: Klima, Kriege, Spaltung der Gesellschaft. Und im Job macht uns vielleicht bald eine KI überflüssig. Wir bräuchten Superkräfte, um das alles zu bewältigen.

Förster: Das Gute ist ja: Die Kräfte tragen wir bereits in uns! Wir müssen lernen, sie zu kultivieren und zu stärken angesichts der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Das Problem mit der allgegenwärtigen Krise ist: Sie geht nicht weg. Die Polykrise ist das neue Normal. Der erste Schritt ist es, das zu akzeptieren. Wir können die Krisen nicht ändern, aber unseren Umgang damit.

Zur Person

Anja Förster ist Unternehmerin, Speakerin und Gründerin der Graswurzelbewegung Rebels at Work. Sie hat Bestseller wie »Alles, außer gewöhnlich« (2007), »Nein!« (2016) oder »Vergeude keine Krise« (2020) geschrieben. Ihr aktuelles Buch heißt »Die 7 Superkräfte: Gestalten, Leben und Sein in einer chaotischen Welt« (Econ 2024).

SPIEGEL: Vielen fällt genau das schwer. Weil ja auch noch die Probleme im Privaten hinzukommen.

Förster: Da sind wir bei einer unserer Superkräfte: Akzeptanz. Damit meine ich nicht, dass wir bei jedem Problem mit den Schultern zucken und Gleichmut heucheln sollten. Aber wenn wir uns in einer Situation befinden, die wir nicht ändern können, hilft radikale Akzeptanz. So kommen wir zur Ruhe. In jeder Krise stecken Schmerz und Verunsicherung. Aber wir brauchen Krisen, um uns weiterzuentwickeln. Um die beste Version unserer selbst zu werden.

SPIEGEL: Solche Sätze möchte ich keiner Mutter in einem Kriegsgebiet sagen.

Förster: Nein, ich auch nicht. In einer Situation voll unendlichem Leid greift diese radikale Akzeptanz ins Leere, und dort ist sie auch nicht angebracht. Aber viele Menschen verfallen schon in eine Schockstarre, wenn es im Beruf nicht läuft oder eine Trennung ihr Leben auf den Kopf stellt. Das ist kein Wunder, denn wir haben weder in der Schule noch in der Ausbildung oder im Studium gelernt, wie wir mit Krisensituationen umgehen sollen.

SPIEGEL: Machen wir zu viel mit uns allein aus?

Förster: Schon. Wenn Leute Gefühle wie Angst, Verunsicherung oder Schmerz spüren, dann kommt ihnen häufig der Gedanke, mit ihnen stimme etwas nicht. Insbesondere dann, wenn wir uns in den sozialen Medien tummeln, drängt sich der Eindruck auf, dass alle super erfolgreich und extrem happy sind. Damit vergleichen wir uns. Wir nehmen die Abweichung wahr und kommen nicht klar damit, dass unser Leben anders ist. Und schweigen über unsere Krisen.

SPIEGEL: Offenheit ist im Berufsleben ein schmaler Grat. Wir alle kennen die Kollegen, die einem mehr Persönliches erzählen, als man eigentlich jemals wissen wollte.

Förster: Unkontrolliertes Oversharing ist ausdrücklich nicht gemeint. Andererseits ist es anstrengend, immer die Hochglanzfassade aufrechtzuerhalten. Schmerz, Unsicherheit und Ängste gehören zum Leben. Sich als ganzer Mensch zu zeigen, der gute wie auch weniger gute Phasen in seinem Leben kennt, ist kein Eingeständnis von Inkompetenz und Schwäche. Es geht um Wahrhaftigkeit. Der Punkt, an dem man sich öffnen sollte, ist spätestens dann erreicht, wenn die Krise die eigene Leistungsfähigkeit beeinflusst.

SPIEGEL: Der ist nicht einfach zu gehen.

Förster: Genau. Denn wenn wir Krisen erleben, versuchen wir erst einmal, sie mit den Mitteln zu entschärfen, die uns bisher geholfen haben. In meinem Fall waren das Analytik und strategisches Denken. Und genau diese Eigenschaften standen mir beim Bewältigen meiner persönlichen Krise am meisten im Weg! Wie ein Floß, das einen sicher über einen Fluss getragen hat und das einen nur beschwert, wenn man danach zu Fuß weitergehen will. Es fällt aber schwer, sich davon zu trennen, weil es mir im geschäftlichen Kontext immer sehr dienlich war. Ich war darauf getrimmt, Probleme zu analysieren, einen Plan zu machen, die Schritte festzulegen und dann umzusetzen. Die Hoffnung, dass mir das in meiner Krise helfen würde, stellte sich als absurd heraus.

SPIEGEL: Was soll daran falsch sein? Ist es nicht eine gute Idee, dem Chaos Struktur entgegenzusetzen?

Förster: Krisen und Umbrüche sind Situationen, die außerhalb unserer Kontrolle liegen. Sie sind chaotisch. In Zeiten des Umbruchs sind diese Werkzeuge stumpf. Es wird immer wieder etwas kommen, das unsere Pläne zunichtemacht. Wir sollten in einer schwierigen Situation nicht hektisch handeln, sondern in uns hineinhorchen: Was passiert hier eigentlich gerade – und vor allem: Was fühle ich? Wie kann ich damit umgehen? Wir sind darauf trainiert, gleich loszurennen. Aber wir sollten erst mal schauen, wo wir überhaupt stehen.

SPIEGEL: Wie kann das gelingen?

Förster: Meditation ist ein sehr guter Ansatz. Je mehr die dauergehetzte Atemlosigkeit unser Leben bestimmt, desto wichtiger ist es, Zeiten der Stille in den Alltag zu integrieren. Ein erster Schritt wäre es, morgens einfach mal den Laptop geschlossen zu lassen und eine Weile nachzudenken, ehe man ans Tageswerk geht. Zeit für die Birne, so nenne ich das.

SPIEGEL: Also erst mal Ruhe reinbringen. Und dann?

Förster: Die Grenzen des Machbaren für sich selbst klug und eigenverantwortlich einzuschätzen und Entschiedenheit zu praktizieren. Eine gute Übung ist, mal auf die eigenen Worte zu achten. Wie häufig ertappen wir uns bei einem »ich muss«: Ich muss aufstehen, ich muss zur Arbeit, ich muss ins Meeting. Dabei müssen wir gar nichts! Wir treffen Entscheidungen. Und machen uns oft nicht bewusst, dass wir überhaupt eine Wahl haben. In Krisen finden wir dann keinen Ausweg, weil wir den Blick für die Optionen verloren haben.

SPIEGEL: Einfach nicht mehr zur Arbeit zu gehen – das klingt nach mehr Stress als nach Erleichterung, wenn man es zu Ende denkt.

Förster: Wir zahlen für alles einen Preis, egal für welche Option wir uns entscheiden. Wer sich jeden Morgen zur Arbeit schleppt, die sich nicht mehr richtig anfühlt, zahlt dafür einen Preis; auch wenn das oftmals ausgeblendet wird. Und was erschwerend hinzukommt, ist, dass auch das Umfeld und die Familie einen Preis zahlen, weil sich die Unzufriedenheit auch nach Feierabend auswirkt. Es geht darum, aus der Duldungsstarre herauszutreten und eine Entscheidung zu treffen. Kann ich mich mit dem, was ist, doch noch arrangieren oder nicht? Uns muss klar sein: Niemand kommt, um uns zu retten. Wir müssen aufhören, uns als Opfer der Umstände wahrzunehmen, und selbst ins Handeln kommen.

»Es kann eine gute Idee sein, dieses Spiel einfach mal nicht mehr mitzumachen. Nein zu sagen.«

SPIEGEL: Sinnlose Meetings absagen?

Förster: Ja, auf das Risiko hin, dass Kollegen das nicht gut finden. Das ist dann der Preis. Aber der Preis, immer wieder teilzunehmen, obwohl ich bei Licht betrachtet keinen Wertbeitrag leiste, sondern nur hingehe, weil ich auf dem Einladungsverteiler stehe, ist verschwendete Zeit, die ich viel besser nutzen könnte und sollte.

SPIEGEL: Es gibt eine Beharrungskraft ja nicht nur bei Menschen, sondern auch in Organisationen.

Förster: Das lässt sich eins zu eins übertragen: Unternehmen ticken oft ähnlich wie Individuen. Sie klagen über Rohstoffpreise und Marktlage, jammern über den Fachkräftemangel, immer sind die anderen schuld. So kommt man nicht ins Handeln. In vielen Firmen herrscht noch die alte industrielle Denkart: Mitarbeitende sind Rädchen im Getriebe, die zu funktionieren haben. Alles wird mit Zahlen, Zahlen, Projektionen und Szenarien erschlagen. Damit entsteht eine trügerische Sicherheit, und alle fallen aus den Wolken, wenn trotzdem etwas vor die Wand fährt. Und dann geht die Suche nach dem Schuldigen los. Es kann eine gute Idee sein, dieses Spiel einfach mal nicht mehr mitzumachen. Nein zu sagen.

SPIEGEL: Sie führen eine Not-to-do-Liste. Was steht denn darauf?

Förster: Ganz oben: Stille statt Bullshit. Alles fängt damit an, dass man bei sich selbst ist und sich Zeit für die Reflexion nimmt. Herausfindet: Was ist mein großes Ja? Wofür stehe ich morgens auf? Und daraus leiten sich die Neins ab – in meinem Fall: Nein zur Perfektion, Nein zum schnellen Ja, Nein zur Hochglanzfassade.