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Foto: bettina theuerkauf / Dein SPIEGEL

Tierschutz in der Stadt Ein Hotel für Tauben

Am Hamburger Hauptbahnhof bekommen Stadttauben täglich Futter und einen geschützten Platz zum Schlafen. Das soll nicht nur den Vögeln helfen, sondern auch den Menschen.
Von Marei Vittinghoff aus Dein SPIEGEL 7/2024

Die Tauben haben Hunger. Das kann Claudia Voß schon von drinnen erkennen. Draußen vor dem Fenster sitzen sie dicht beieinander und warten. Worauf? Dass die 45-Jährige endlich das Fenster öffnet – und ihnen Einlass gewährt, damit sie sich satt fressen und nisten können, hier am Hamburger Hauptbahnhof, ganz oben unter dem Dach.

Dort hat Claudia Voß bereits alles vorbereitet. Mit einem Messbecher hat sie das Futter für den Tag auf verschiedene Schalen und Boxen verteilt. Für die Tauben gibt es eine Körnermischung. 25 Kilogramm gehen täglich weg, ein großer Sack voller Maiskörner, Erbsen, Hafer und Weizen. Auch Wasser steht in blauen Plastikbehältern bereit. Claudia Voß verstreut noch eine Handvoll Stroh und ein paar Stängel auf dem Boden, damit die Tauben es sich gemütlich machen können, dann öffnet sie das Fenster und macht Platz.

Plötzlich ist alles in Bewegung. Staubkörner und Federn fliegen durch den Raum, aufgewirbelt durch die hungrigen Tauben, die in Scharen durch das Fenster flattern und sich über das Futter hermachen. Das Taubenhotel hat geöffnet – herzlich willkommen!

Tauben gibt es am Hamburger Hauptbahnhof viele, aber gern gesehene Gäste sind sie nicht. Stacheln aus Stahl sollen sie davon abhalten, auf Anzeigetafeln oder Uhren zu kacken. Füttern ist verboten. Und hin und wieder treten Menschen nach ihnen, um sie aufzuscheuchen. Im Taubenhotel unter dem Bahnhofsdach ist das anders. Hier dürfen die Tauben kacken, wohin sie wollen. Gefüttert werden sie manchmal sogar mit Leckerlis. Und die Menschen, denen sie begegnen, meinen es gut mit ihnen.

Damit das Gedränge nicht zu groß wird: Claudia Voß verteilt das Taubenfutter auf verschiedene Gefäße im Raum.

Damit das Gedränge nicht zu groß wird: Claudia Voß verteilt das Taubenfutter auf verschiedene Gefäße im Raum.

Foto: bettina theuerkauf / Dein SPIEGEL

Claudia Voß ist eine von ihnen. Die 45-Jährige arbeitet ehrenamtlich für den Verein »Hamburger Stadttauben«. Die Mitglieder des Vereins möchten, dass Tauben in der Stadt ein besseres Leben haben. Deshalb kümmern sie sich in ihrer Freizeit unter anderem um das Taubenhotel am Hauptbahnhof, das der Verein seit 2016 mit der Deutschen Bahn betreibt. Rund 20 Ehrenamtliche kommen regelmäßig zum Füttern und Putzen vorbei, die Deutsche Bahn hat den Taubenschlag gebaut und hilft finanziell.

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Etwa 200 Vögel finden im Taubenhotel gleichzeitig Platz. In quadratischen Fächern aus Holz können sie schlafen und ihre Nester bauen. Weil täglich so viel Futter wegkommt, glaubt Claudia Voß jedoch, dass über den Tag verteilt mehr Tauben das Hotel besuchen, vielleicht sogar um die 600 bis 800. »Nicht alle bleiben über Nacht, aber wenn es kalt und regnerisch ist, dann ist hier die Hütte voll«, sagt sie.

Den Taubenschlag am Hauptbahnhof gibt es nicht nur, damit die Vögel artgerecht mit Körnern gefüttert werden. Er wurde vor allem als Aufenthaltsort gebaut, der die Tauben davon abhalten soll, ihr Essen im Abfall der Menschen zu suchen. Dort picken sie sonst an allem herum, was sie finden können. Das ist nicht nur schlecht für die Tauben, sondern stört auch viele Menschen.

Dünne Nägel: Sogenannte Spikes, sollen verhindern, dass Tauben im Hauptbahnhof auf Lampen oder Fensterbänken Platz nehmen.

Dünne Nägel: Sogenannte Spikes, sollen verhindern, dass Tauben im Hauptbahnhof auf Lampen oder Fensterbänken Platz nehmen.

Foto: bettina theuerkauf / Dein SPIEGEL

Das Taubenhotel soll auch dazu beitragen, dass es auf lange Sicht weniger Tauben gibt. Das funktioniert so: Die Tauben dürfen im Hotel zwar ihre Nester bauen, ihre Eier werden jedoch gegen Gipseier ausgetauscht. Die Gipseier haben die gleiche Form und das gleiche Gewicht wie die echten Eier, nur farblich unterscheiden sie sich leicht, die echten schimmern ein wenig rosa. Der Unterschied fällt den Tauben nicht auf.

Rund 500 Eier wurden im vergangenen Jahr so ausgetauscht. Die Eier einfach wegnehmen, ohne ein Gipsei zu hinterlassen, dürfen die Ehrenamtlichen nicht. Die Tauben würden sonst immer neue Eier legen. »Das wäre ein enormer Kraftaufwand«, sagt Claudia Voß.

Vogel mit schlechtem Ruf

Dass es in den Städten so viele Tauben gibt, liegt an den Menschen selbst. Ursprünglich gab es Tauben nämlich nur in der Wildnis, vor allem in Gebieten mit Felsen und Klippen. Bereits vor mehreren Tausend Jahren fingen die Menschen jedoch an, Tauben als Nutztiere zu halten. Sie ernährten sich von ihrem Fleisch, verwendeten ihren Kot als Dünger und nahmen sie mit auf Reisen, um sie mit Briefen wieder nach Hause zu schicken.

Tauben finden selbst aus weiter Entfernung den Weg zurück und konnten so den Menschen als eine Art Postbote dienen. Irgendwann wurden Tauben jedoch nicht mehr als Übermittler von Botschaften gebraucht. Es gab bessere Wege, um Informationen auszutauschen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen sich viele verwilderte Tauben in den zerstörten Städten nieder. Dort gab es genug Futter und Orte, um Nester zu bauen – die Tauben vermehrten sich schnell. Heute haben Stadttauben eher einen schlechten Ruf. Manche Menschen bezeichnen sie auch als »die Ratten der Lüfte«. Damit soll ausgedrückt werden, dass Tauben eine besondere Gefahr für die Gesundheit von Menschen darstellen. Eigentlich übertragen sie aber nicht mehr Krankheiten als andere Vogelarten auch.

Weil das Taubenhotel im Hauptbahnhof bisher nicht ausreicht, um die Zahl der Tauben in Hamburg zu verringern, sollen bald noch mehr Taubenschläge gebaut werden. Das soll auch gegen den Taubenkot in der Stadt helfen, denn wenn Tauben sich falsch ernähren, bekommen sie Durchfall. Ihre Häufchen sind dann weiß und schleimig und lassen sich nur schlecht entfernen. Sind die Tauben gesund, sind die Häufchen fester.

Beliebte Plätze: Besonders an Bahnhöfen oder vor Geschäften suchen viele Stadttauben nach Essensresten.

Beliebte Plätze: Besonders an Bahnhöfen oder vor Geschäften suchen viele Stadttauben nach Essensresten.

Foto: Weingartner-Foto / CHROMORANGE / picture alliance

Das Leben in der Stadt ist für Tauben ohnehin gefährlich. Viele Tiere verletzen sich oder werden krank. Wer eine Taube findet, die Hilfe braucht, kann sich beim Verein »Hamburger Stadttauben« melden. Die Ehrenamtlichen kümmern sich dann um sie oder bringen sie in eine Praxis für Tiere. Ist die Taube gesund, kommt sie wieder frei. Geht das nicht, suchen die Ehrenamtlichen einen Platz in einer Voliere.

Claudia Voß sagt, dass sie verstehen kann, dass niemand will, dass eine Taube ihm am Bahnhof auf den Kopf macht. Sie hat aber einen Wunsch: »Dass die Menschen nicht mehr wegschauen, wenn sie sehen, dass eine Taube leidet.«

Dieser Artikel erschien in »Dein SPIEGEL« 07/2024.

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