Zum Inhalt springen
Zur Ausgabe
Artikel 3 / 5
Foto:

Julia Steinigeweg / Dein SPIEGEL

GDL-Chef im Kinder-Interview Hatten Sie während der Bahnstreiks ein schlechtes Gewissen, Herr Weselsky?

Claus Weselsky ist Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. Die Kinderreporterinnen Elisabeth und Sophie haben mit ihm über seine Arbeit gesprochen und ihn gefragt, ob er wegen der Bahnstreiks mal einen Termin verpasst hat.
Redaktionelle Begleitung: Pelle Kohrs aus Dein SPIEGEL 7/2024

Dein SPIEGEL: Früher waren Sie Lokführer. Was mochten Sie an dem Beruf am meisten?

Weselsky: Es hat mir große Freu­de gemacht, dass man als Lokomotivführer allein unterwegs ist. Dadurch hat man eine große Verantwortung, aber auch jede Menge Freiheit. Und ich mochte es, an wunderschönen Landschaften vorbeizufahren.

Dein SPIEGEL: Wie häufig fahren Sie heute noch mit der Bahn?

Weselsky: Als Vorsitzender der GDL bin ich viel unterwegs, um Verhandlungen zu führen und im gesamten Land Mitglieder zu treffen. Ich fahre im Jahr rund 70.000 Kilometer mit dem Zug und 30.000 Kilometer mit dem Auto. Wenn es gar nicht anders geht, nehme ich auch mal das Flugzeug.

Dein SPIEGEL: Was gefällt Ihnen am Bahnfahren?

Weselsky: Dass ich während einer Bahnfahrt entspannen, arbeiten oder eine Runde schlafen kann, wenn es mal sehr früh ist. Zudem ist die Bahn ein überaus sicheres Verkehrsmittel. Was mir nicht gefällt, ist, dass die Bahn so unzuverlässig und unpünktlich ist. Da­ran ist der Vorstand der Deutschen Bahn schuld, der in den vergangenen Jahren viele falsche Entscheidungen getroffen hat. Seinetwegen gibt es etwa zu wenig Zugpersonal.

Eine GDL-Demonstration vor dem Hamburger Hauptbahnhof. Wegen der Streiks fielen viele Züge aus.

Eine GDL-Demonstration vor dem Hamburger Hauptbahnhof. Wegen der Streiks fielen viele Züge aus.

Foto: ABB / picture alliance

Dein SPIEGEL: Und warum gab es in letzter Zeit so viele Bahnstreiks?

Weselsky: Weil wir mit den Arbeitgebern des Zugpersonals über neue Arbeits­bedingungen verhandelt haben. Zum Zugpersonal gehören unter anderen die Lokführerinnen und die Zugbegleiter. Wir wollten erreichen, dass sie künftig nur noch 35 statt 38 Stunden pro Woche arbeiten müssen. Außerdem sollten sie anständiger bezahlt werden. Bei der Deutschen Bahn, dem größten Arbeitgeber in diesem Bereich, sind diese Forderungen auf viel Widerstand gestoßen. Also mussten wir streiken, um unsere Ziele durchzusetzen.

Sophie: Wenn ich Hausaufgaben mit einrechne, bin ich jede Woche bis zu 40 Stunden mit der Schule beschäftigt. Warum soll das Zugpersonal nur 35 Stunden arbeiten?

Weselsky: Weil in Schichten gearbeitet wird. Die Lokführerinnen und Zugbe­gleiter sind also häufig am Wochenende und in der Nacht im Einsatz. Dadurch sehen sie ihre Freunde und Familie seltener. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Schichtarbeit schlecht für die Gesundheit ist. Durch die Absenkung der Arbeitsstunden wollen wir diese Belastung verringern. Das soll auch dazu führen, dass mehr junge Menschen Lust auf diese Jobs haben.

Dein SPIEGEL: Vom Wolf zum Hund

Immer mehr Menschen halten sich einen Hund. Aber wann, wo und warum ging sie eigentlich los, diese besondere Beziehung zwischen Mensch und Vierbeiner? In der neuen Ausgabe von »Dein SPIEGEL«, dem Nachrichten-Magazin für Kinder, steht, wie der Wolf zum Hund wurde. Außerdem im Heft: Claus Weselsky, oberster Gewerkschafter der Lokführer, verrät, ob er wegen der Bahnstreiks ein schlechtes Gewissen hat. »Dein SPIEGEL« gibt es am Kiosk, ausgewählte Artikel online. Erwachsene können das Heft auch hier kaufen:

Bei meine-zeitschrift.de bestellen 

Bei Amazon bestellen 

Dein SPIEGEL: Viele Leute waren wegen der Streiks genervt oder sogar wütend. Wurden Sie auf der Straße von fremden Menschen auf das Thema angesprochen?

Weselsky: Ja, oft sogar. Ich bin häufig mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie der U-Bahn oder dem Bus unterwegs. Während der Streiks haben mich dort immer wieder Menschen erkannt. Manche waren genervt und haben mir das auch so gesagt, doch die allermeisten reagierten freundlich. Sie sagten mir, dass ich bei den Verhandlungen stabil bleiben und nicht einknicken soll.

Dein SPIEGEL: Hatten Sie ein schlechtes Gewissen, weil manche Kinder wegen der Bahnstreiks nicht zur Schule konnten?

Weselsky: Nein. Das Streikrecht ist ein hohes Gut und durch unser Grundgesetz geschützt. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist es das letzte Mittel, um für faire Bedingungen zu sorgen. Ohne das Streikrecht müssten wir heutzutage vielleicht 80 Stunden pro Woche arbeiten, und es hätte womöglich niemand bezahlten Urlaub. Wenn ein Verkehrsmittel wegen eines Streiks ausfällt, müssen wir das also alle in Kauf nehmen und uns darauf einstellen. Zum Beispiel, indem Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen.

Dein SPIEGEL: Haben Sie wegen der Bahnstreiks selbst mal einen Termin verpasst?

Weselsky: Viele sogar. Während der Streik­phasen habe ich meistens das Auto genommen. Weil das viele andere Menschen ebenfalls taten, stand ich ständig in Staus. Aber ich hatte damit natürlich gerechnet – schließlich war ich derjenige, der zu den Streiks aufgerufen hat.

Dein SPIEGEL: Im März sind Sie sich in den Verhandlungen mit der Deutschen Bahn einig geworden. Was ändert sich nun?

Weselsky: In den kommenden Jahren verringert sich die Arbeitszeit des Zugpersonals schrittweise auf 35 Stunden pro Woche. Wer sich dafür ent­scheidet, mehr als 35 Stunden pro Woche zu arbeiten, bekommt auch mehr Geld. Dadurch haben wir die Arbeitsbedingungen aller Menschen verbessert, die bei der Eisenbahn im Schicht­system arbeiten.

Dein SPIEGEL: Wo haben Sie gelernt, so hart zu verhandeln?

Weselsky: Das haben mir schon meine Eltern beigebracht. Sie wollten nicht, dass ich Dinge einfach hinnehme, sondern dass ich sie hinterfrage und nicht lockerlasse. Ich habe mit ihnen daraufhin erfolgreich über mein Taschengeld verhandelt. Am Anfang bekam ich nur zehn Pfennige, später habe ich das auf 50 Pfennige erweitert, und ganz zum Schluss gab’s eine Mark.

Dein SPIEGEL: Welche Tipps würden Sie uns geben, wenn wir mal etwas ver­handeln müssen?

Weselsky: Wenn ich mehr Taschengeld möchte, sollte ich mich vorher fragen, ob sich meine Eltern das leisten können. Wenn ja, muss ich mir gute Argumente überlegen, warum ich das Geld benötige. Am wichtigsten ist es also, sich in die Lage des Gegenübers hineinzuversetzen, sich gut vorzubereiten und bereit für einen Kompromiss zu sein.

Dein SPIEGEL: Sie haben während der Verhand­lungen immer wieder Gegen­vorschläge der Deutschen Bahn abgelehnt.

Weselsky: Weil das keine Vorschläge waren, die zu Kompromissen geführt hätten. Stattdessen hat die Deutsche Bahn zu uns gesagt, dass sie überhaupt nicht bereit ist, über die Absenkung der Wochenarbeitszeit zu verhandeln. Durch die Streiks haben wir sie dazu gezwungen, es doch zu tun. Und da sich die Arbeitszeiten für das Zugpersonal nicht sofort, sondern erst im Laufe der Jahre ändern, haben wir uns letztlich auf einen Kompromiss eingelassen.

Dieses Interview erschien in »Dein SPIEGEL« 7/2024.

»Dein SPIEGEL« – Das Nachrichten-Magazin für Kinder

Liebe Eltern,

Kinder wollen die Welt verstehen. Sie interessieren sich für Natur, Menschen und Technik. Sie stellen Fragen. Und sie geben sich nicht mit den erstbesten Antworten zufrieden. Darum gibt der SPIEGEL für junge Leserinnen und Leser ab acht Jahren ein eigenes Nachrichtenmagazin heraus.

»Dein SPIEGEL« erscheint jeden Monat neu und bietet spannende, verständlich geschriebene Geschichten aus aller Welt, Interviews und News aus Politik und Gesellschaft. Für noch mehr Spaß sorgen Comics, Rätsel und kreative Ideen zum Mitmachen.

Informationen und Angebote
Zur Ausgabe
Artikel 3 / 5