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Uno-Weltflüchtlingsbericht Zahl der Vertriebenen erreicht neuen Höchststand

Jeder 69. Mensch war im Jahr 2023 auf der Flucht. Das waren mehr als je zu vor. In Europa ist Deutschland beliebtestes Zielland.
Ein Ersthelfer versorgt in Armenien eine geflüchtete Frau aus Berg-Karabach

Ein Ersthelfer versorgt in Armenien eine geflüchtete Frau aus Berg-Karabach

Foto: Nanna Heitmann / The New York Times / Redux / laif

Es ist wieder ein Rekordwert, zum zwölften Mal in Folge: Stand Mai 2024 sind mehr Menschen auf der Flucht als je zuvor. Das geht aus dem neuen Global Trends Report des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR hervor. Demnach mussten 120 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. Der Anstieg im Vergleich zu 2022 betrug acht Prozent. Die Zahl bezieht sich sowohl auf Binnenvertriebene als auch auf ins Ausland Geflüchtete. 40 Prozent der Betroffenen waren Kinder.

Jede 69. Bewohnerin oder Bewohner der Erde war damit im Jahr 2023 auf der Flucht. Vor einem Jahrzehnt war es noch jede 125.

Als Hauptgründe für Flucht und Vertreibung nennt UNHCR Verfolgung, Konflikte und Menschenrechtsverletzungen. Die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen habe zugenommen, und damit auch die Zahl der Opfer, heißt es in dem Bericht. Vor allem die Kriege im Sudan, in Gaza und in Myanmar hätten die ohnehin schon angespannte Lage weiter angeheizt.

»Hinter den blanken Zahlen stecken unzählige menschliche Tragödien. Dieses Leid muss die internationale Gemeinschaft aufrütteln, um endlich die Kernursachen der Vertreibung anzugehen«, sagt Uno-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi.

Allein durch den Bürgerkrieg im Sudan wurden inzwischen mehr als zehn Millionen Menschen vertrieben. Im Sudan liefern sich die paramilitärischen Rapid Support Forces erbitterte Kämpfe mit der offiziellen Armee, auch Zivilisten geraten zunehmend ins Visier. In der Region Darfur sprechen einige Beobachter bereits von einem Völkermord.

Auch in der Demokratischen Republik Kongo sind im vergangenen Jahr bewaffnete Konflikte wieder aufgeflammt. Dort kämpfen von Ruanda unterstützte Rebellen der Gruppe M23 gegen kongolesische Streitkräfte und ihre Verbündeten. Die Rebellen drangen dabei bis kurz vor die Millionenstadt Goma vor. Im Osten des Landes sind mittlerweile mehr als sieben Millionen Menschen auf der Flucht.

Durch den Krieg im Gazastreifen mussten laut Uno bis Ende vergangenen Jahres 75 Prozent aller Palästinenser ihren Heimatort verlassen. Die zahlenmäßig größte Flüchtlingspopulation stammt weiterhin aus Syrien: Fast 14 Millionen Bewohnerinnen und Bewohner wurden bislang durch den Bürgerkrieg vertrieben, entweder innerhalb des Landes oder ins Ausland.

Der Weltflüchtlingsbericht räumt aber auch mit einem in Europa weitverbreiteten Vorurteil auf: Die große Mehrheit der Vertriebenen zieht es nicht in den Globalen Norden. 68 Millionen Betroffene, also weit mehr als die Hälfte, blieben in ihren eigenen Ländern. Diese Zahl der Binnenvertriebenen stieg in den vergangenen fünf Jahren um 50 Prozent, deutlich stärker als die Zahl der im Ausland Schutzsuchenden.

Geflüchtete aus dem Sudan warten im Nachbarland Tschad auf Essensrationen des Welternährungsprogramms

Geflüchtete aus dem Sudan warten im Nachbarland Tschad auf Essensrationen des Welternährungsprogramms

Foto: Dan Kitwood / Getty Images

Die Hauptlast der Migrationsbewegungen tragen auch nicht Europa oder die USA, sondern Länder niedrigen und mittleren Einkommens. 75 Prozent der ins Ausland Geflüchteten leben in Staaten dieser Kategorie, meistens sind es die direkten Nachbarländer der Konfliktgebiete.

Trotzdem wächst auch im Globalen Norden der Migrationsdruck: Die Zahl der Asylanträge hat 2023 mit 3,6 Millionen einen neuen Rekordwert erreicht. Die beliebtesten Zielländer waren dabei die USA, Deutschland, Ägypten, Spanien und Kanada. Diese fünf Länder verzeichneten zusammen mehr als die Hälfte aller weltweiten Asylanträge.

In Europa bleibt Deutschland das beliebteste Zielland, mit 2,6 Millionen dort lebenden Geflüchteten. Die meisten davon stammen laut UNHCR aus der Ukraine (1,1 Million), gefolgt von Syrien (705.800), Afghanistan (255,100) und Irak (146.500).

Entspannung gab es nur in kleinen Dosen: 6,1 Millionen Vertriebene kehrten 2023 in ihre Heimat zurück, laut Uno-Flüchtlingskommissar Grandi immerhin »ein Funken Hoffnung«. Etwa 160.000 Geflüchtete fanden im Rahmen des sogenannten Resettlements eine neue Heimat – sie wurden von Flüchtlingslagern etwa in Afrika oder Asien zumeist in den Globalen Norden umgesiedelt.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Eine ausführliche FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.

hho