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Gewann mit der progressiven »Move Forward«-Partei die Wahlen in Thailand, nun droht ihm das politische Ende: Pita Limjaroenrat

Gewann mit der progressiven »Move Forward«-Partei die Wahlen in Thailand, nun droht ihm das politische Ende: Pita Limjaroenrat

Foto: Lauren DeCicca / DER SPIEGEL

Thailändischer Wahlsieger vor dem Aus »Es kostet sie mehr, uns zu töten, als uns in der Nähe zu haben«

Für die Jungen ist er ein Reformer, für Militär und Königshaus ein Radikaler: Vor einem Jahr gewann Pita Limjaroenrat die Wahlen in Thailand, durfte aber nicht regieren. Jetzt soll er von der Politik ausgeschlossen werden.
Ein Interview von Maria Stöhr; Fotos von Lauren DeCicca

Pita Limjaroenrat, 43, ehemaliger Star der thailändischen Politik, lässt sich, wenige Tage, bevor seine politische Karriere für immer vorbei sein könnte, betont entspannt in einen Sessel im Soho House im Zentrum von Bangkok fallen.

Vor gut einem Jahr hatte Limjaroenrat noch als Spitzenkandidat der progressiven »Move Forward«-Partei die Wahlen in Thailand gewonnen – weit vor den anderen Parteien. Für ihn hatten nicht nur die jungen Menschen gestimmt, die sich ein anderes Thailand ersehnen: ein moderneres, mit gleichberechtigten Chancen und mehr Mitspracherecht. Die Stimmen für ihn und seine Partei kamen aus der Breite der Gesellschaft.

Limjaroenrat und seine Partei waren anders aufgetreten als die Regierung, die seit einem Militärputsch vor zehn Jahren das Land regiert. Mit jungem, oft weiblichem Personal, mit Forderungen für eine gerechtere Zukunft in dem südostasiatischen Land. Sie wollten Monarchie, Militär und den sogenannten Majestätsbeleidigungsparagrafen reformieren – alles Ideen, die in Thaliand als radikal gelten. Und für die bis heute junge Menschen kämpfen, im Gefängnis landen, in Hungerstreiks treten.

Das konservative Establishment aus Militärtreuen und Royalisten hinderte den Wahlsieger  deshalb am Regieren. An diesem Sonntag schließt die Beweisaufnahme für ein Verfahren, das das Oberste Gericht Thailands gegen ihn eröffnet hat. »Move Forward« könnte aufgelöst, Limjaroenrat für die Politik gesperrt werden. Ähnlich erging es nach der Wahl 2019 bereits der Vorgängerpartei. Auch sie war damals nach der Wahl verboten worden.

SPIEGEL: Herr Limjaroenrat, Sie könnten heute Premierminister Thailands sein, aber Sie sind es nicht.

Pita Limjareonrat: Ich bin sehr enttäuscht. Dabei geht es weniger um mich persönlich. Es ist ein Verrat am Potenzial dieses Landes. Ich soll vom Wahlsieger zu einem gemacht werden, der aller politischen Rechte beraubt wird. Eine Achterbahnfahrt, die zu erwarten war. Das ist thailändische Politik: Du gewinnst die Wahl, deine Partei wird verboten, du gewinnst wieder die Wahl, deine Partei wird wieder verboten. Wir erleben diesen Teufelskreis zum fünften Mal. Die vom Volk Gewählten kämpfen gegen unsichtbare Kräfte der Gegenseite. Das Recht wird benutzt gegen den Willen des Volkes. Für Leser aus Deutschland muss das ziemlich verwirrend sein.

SPIEGEL: Und wie ist es für Sie – sind Sie wütend?

Limjaroenrat: Ich kann nachts schlafen. Weil ich weiß, diese Attacken sind nicht gegen mich persönlich gerichtet. Meine persönlichen Umfragewerte lagen anfangs bei drei Prozent. Die Wahl haben wir mit knapp 40 Prozent gewonnen. Die Umfragewerte unserer Partei sind ein Jahr nach der Wahl sogar noch mal gestiegen – inmitten einer Region, in der auch in unseren Nachbarländern Demokratie und Menschenrechte nicht gesichert sind. Das letzte Jahr war deshalb auch ein Jahr der Hoffnung. Ich bin ein Neuling in der Politik, und habe es geschafft, dass die Menschen anders über Wahlen nachdenken.

SPIEGEL: Sie könnten demnächst für zehn Jahre für die Politik gesperrt werden, dürften dann für kein politisches Amt mehr kandidieren, würden Ihren Sitz als Abgeordneter verlieren. Kann man da wirklich Hoffnung in die Demokratie Thailands haben?

Limjarienrat: In den vergangenen 20 Jahren sind wir weder politisch noch wirtschaftlich weitergekommen. Ich habe mit 21 Jahren angefangen, mich für Politik zu interessieren. Seitdem habe ich in Thailand zwei Militärputsche erlebt, mehrere Verfassungsänderungen, Gerichtsaffären, strategische politische Manöver. Ich habe gesehen, wie die Dinge in diesem Land laufen. Ich habe das, was nun mit mir und der Partei geschieht, erwartet. Du gewinnst, sie zerstören dich. Andererseits wandelt sich die Gesellschaft. Wie die Wahlen vergangenes Jahr zeigten, wollen die Menschen Veränderung. Sie wollen sich auf die Institutionen verlassen können. Ich kämpfe gegen die Art, wie die Dinge hier laufen. Thailand ist doch kein House of Cards! (Anm. d. Redaktion: US-Serie über Machtmissbrauch im Weißen Haus.) Die Menschen wünschen sich eine Partei, die Reformen durchführt und gleichzeitig die Monarchie bewahrt.

Pita Limjaroenrat: »Du gewinnst, sie zerstören dich«

Pita Limjaroenrat: »Du gewinnst, sie zerstören dich«

Foto: Lauren DeCicca / DER SPIEGEL

Pita Limjareonrat muss, wenige Tage vor Prozessbeginn, seine Worte zum Königshaus abwägen. Seine Partei steht für viele Menschen, die die Monarchie heute ablehnen, die im Kino nicht mehr aufstehen und in den Parks nicht mehr achtungsvoll innehalten, wenn die Hymne auf den König erklingt. Und für jene, die bei den großen Demokratieprotesten 2020 auf die Straßen gegangen sind.

Limjaroenrat und »Move Forward« hatten versprochen, den umstrittenen Majestätsbeleidigungsparagrafen 112 abzuschwächen, der in erster Linie ein Demokratieverhinderungsparagraf ist, weil jede missliebige Äußerung gegen die Monarchie damit verfolgt werden kann.

Im Moment sind mehr als 250 Menschen wegen dieses Paragrafen angeklagt, viele sitzen in Haft. Erst vor Kurzem hungerte sich eine 28-jährige Aktivistin im Gefängnis zu Tode. Das Verfassungsgericht, das als Instrument der Machthaber gilt, wird ermitteln, ob Limjaroenrat mit der Reform von »112« einen »Umsturz der Monarchie« im Sinn gehabt habe.

SPIEGEL: Braucht Thailand denn die Monarchie noch?

Limjaroenrat: Thailand soll eine konstitutionelle Monarchie bleiben. Sie ist der Rahmen für die Reformen, die wir anstreben. Wir wollen sichergehen, dass der König über der Politik steht. Aber nicht als Waffe eingesetzt wird, um politische Gegner zu vernichten. Menschen mit anderen politischen Ansichten sollten nicht bestraft werden. Es soll die Unschuldsvermutung gelten. Unser Anliegen ist, dass der Majestätsbeledigungsparagraf von niemandem – zu keiner Zeit und in keiner Provinz – dafür verwendet werden kann, jemanden aufgrund seiner Meinung zu zerstören. Im Moment werden in Thailand 14-Jährige angeklagt, weil sie angeblich die Monarchie beleidigen.

SPIEGEL: Wenn Sie über den Artikel 112 sprechen, wählen Sie ihre Worte mit Bedacht. Wie schwierig ist es, etwas zu verändern, über das man nicht offen sprechen kann?

Limjaroenrat: In den vergangenen Jahren hat sich in Thailand trotz allem einiges verändert. Vor vier Jahren hätten wir dieses Interview so nicht führen können. Keine Chance. Aber jetzt debattieren wir im Parlament, in den thailändischen Medien über die Reform der Majestätsbeleidigung. Endlich können wir anfangen, transparent und erwachsen zu diskutieren. Es gibt eine gesellschaftliche Verschiebung.

SPIEGEL: Ihr Versuch, den Majestätsbeleidigungsparagrafen abzuschwächen, wurde im Parlament dennoch als Hochverrat bezeichnet.

Limjaroenrat: Den Teufelskreis zu durchbrechen, ist schwierig. Es verlangt dir alles ab. Es bedeutet, Menschen zuzuhören, sie zu verstehen und schließlich auf deine Seite zu bringen. Wir müssen die vorherrschenden Strukturen von innen heraus aufbrechen. Es geht nicht nur darum, Wahlen zu gewinnen, sondern auch um die Vorherrschaft von Ideen. Wenn der Gedanke, dass die Bürgerinnen und Bürger Thailands etwas Besseres verdient haben, einmal in die Köpfe gepflanzt ist, ist das eine nachhaltige Veränderung. Und sehr schwer zurückzudrehen. Die Leute haben verstanden: Politik geht auch anders. Im Moment knallen die harten Institutionen gegen neue, weiche Ideen. Ich hoffe, ich kann die Brücke sein. Ich bin eine Ressource, keine Bombe. Wenn sie mich nicht vorher politisch töten.

Pita Limjaroenrat im Gespräch

Pita Limjaroenrat im Gespräch

Foto: Lauren DeCicca / DER SPIEGEL

SPIEGEL: Was tun Sie, sollten Sie demnächst tatsächlich gesperrt werden?

Limjaroenrat: Sie können mir das Recht nehmen, für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Aber ich kann weiter in der Zivilgesellschaft aktiv sein, Kampagnen regionaler und nationaler Wahlen unterstützen. Aber ich schaue mich auch außerhalb Thailands um. Wenn Thailand mich nicht will, mache ich mich woanders nützlich. Zum Beispiel, um die nächste Generation internationaler Führungskräfte heranziehen. Ich habe damals Politik studiert und Lehrbücher in politische Realität verwandelt. In Büchern habe ich gelesen, wie man erfolgreiche Kampagnen führt, auch wenn man viel weniger Ressourcen als der politische Gegner zur Verfügung hat. Das habe ich bei der Wahl erfolgreich umgesetzt. Diese Erfahrungen würde ich gern an junge politische Menschen in Asien, in Malaysia, Indonesien, Laos, Kambodscha, Myanmar weitergeben. Ich denke, meine Zeit wird kommen. Ich kann warten. In zehn Jahren bin ich erst 53. Da kann ich immer noch Premier werden.

SPIEGEL: Was wird aus Ihrer Partei, wenn sie aufgelöst wird?

Limjaroenrat: Dann packen wir unsere Sachen und ziehen um in ein neues Haus. Ganz einfach. Wir haben Erfahrung mit der Gründung neuer Parteien. Das ist kinderleicht für uns. Es ist ein vergeblicher Versuch, uns zerstören zu wollen. Unser Kampfgeist ist ungebrochen. Kurzzeitig kannst du uns loswerden, aber langfristig sind solche Angriffe wie Turbolader für uns: Es kostet sie mehr, uns zu töten, als uns in der Nähe zu haben. Wir kommen jedes Mal größer zurück.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

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