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Rwanda Classified Deals mit der Diktatur

Die Union will ein Migrationsabkommen mit Ruanda, die EU stellt Gelder für die Imagepflege des Regimes bereit. Dabei ist Ruanda eine Autokratie, die gegen Kritiker rücksichtslos vorgeht, wie Recherchen zeigen.
Präsident Paul Kagame bei einer Gedenkfeier für die Opfer des Genozids: Es lassen sich immer zwei Geschichten erzählen

Präsident Paul Kagame bei einer Gedenkfeier für die Opfer des Genozids: Es lassen sich immer zwei Geschichten erzählen

Foto:

Andia / Universal Images Group / Getty Images

Jens Spahn inspiziert die Betten, zwei kleine Kissen sind akkurat am Kopfende platziert, die Bettwäsche blütenweiß, ein braunes Dekoband über das Laken drapiert. Der CDU-Politiker wirkt zufrieden. Dann geht die Tour weiter, zum Krankenzimmer mit einer Liege, zum Computerraum mit den Desktop-Geräten. Alles in bester Ordnung.

Zahlreiche Journalistinnen, Politiker und andere Abgesandte wurden schon durch das Hope Hostel in Kigali geführt, nun auch Jens Spahn. Denn hier sollen künftig Migrantinnen und Migranten aus Großbritannien untergebracht werden. Die Idee: Statt im Vereinigten Königreich Asyl zu erhalten, werden sie postwendend nach Ruanda geschickt, zur Abschreckung anderer. Dieser Plan ist international auf massive Kritik gestoßen, wurde zwischenzeitlich von Gerichten gestoppt. Trotzdem wünscht sich Jens Spahn ein ähnliches Abkommen auch für die EU. Die Voraussetzungen seien gut, sagt Spahn in Kigali.

Nach dem Besuch im Hope Hostel folgt das Highlight seiner Reise. Er trifft Präsident Paul Kagame, zur Begrüßung überreicht Spahn breit grinsend sein Gastgeschenk, den offiziellen Fußball der Europameisterschaft. Die beiden kennen sich, schon zu Spahns Zeit als Gesundheitsminister haben sie sich getroffen; die Chemie stimmt. Es scheint eine Win-win-Situation: Jens Spahn kommt mal wieder ins Rampenlicht und sein Gastgeber Kagame steht als Problemlöser da, als Partner auf Augenhöhe.

Jens Spahn als Gesundheitsminister im Jahr 2019 an der ruandisch-kongolesischen Grenze

Jens Spahn als Gesundheitsminister im Jahr 2019 an der ruandisch-kongolesischen Grenze

Foto: Xander Heinl / photothek / picture alliance

Dabei ist Ruanda eine Autokratie. Regierungsgegner werden unterdrückt und verfolgt, nicht wenige verschwinden spurlos oder kommen unter ungeklärten Umständen zu Tode, im Inland und im Ausland. Das Regime hat überall Spitzel, die verdächtige Vorfälle melden. Freie Wahlen gibt es nicht.

17 internationale Medien, darunter DER SPIEGEL, das ZDF und der österreichische STANDARD, haben in den vergangenen Monaten zu Menschenrechtsverletzungen und Repressionen des ruandischen Regimes recherchiert. Die gemeinnützige Investigativredaktion Forbidden Stories hat das Projekt unter dem Namen Rwanda Classified koordiniert. Der lange Arm des Regimes reicht offenbar sogar bis nach Deutschland, wie die Recherchen zeigen.

Über Ruanda, das kleine ostafrikanische Land mit etwa 14 Millionen Einwohnern, lassen sich immer zwei Geschichten erzählen. Die eine handelt davon, wie es aus dem Grauen der Vergangenheit auferstanden ist, wie es 30 Jahre nach dem verheerenden Völkermord von 1994 in die Moderne schreitet, die Wirtschaft wächst, wie die Hauptstadt Kigali inzwischen in Teilen aussieht wie eine europäische Metropole. Ein Vorzeigeland, mit dem man Abkommen schließen kann. Das ist die Geschichte, die Politiker aus dem Westen gern hören.

Aber es gibt eben auch die andere Geschichte. Sie handelt von Kritikern, die zum Schweigen gebracht werden, von politischen Morden, im Inland und im Ausland. Sie handelt von ruandischen Medien, die zur Jubelmaschinerie eines Diktators verkommen sind. Von kritischen Journalisten, die verschwinden. So wie John Williams Ntwali.

So präsentiert sich Ruanda gern: Moderne Fußgängerzone in der Hauptstadt Kigali

So präsentiert sich Ruanda gern: Moderne Fußgängerzone in der Hauptstadt Kigali

Foto: Guillem Sartorio / DER SPIEGEL
Auch Biontech investiert in Ruanda: Gerade wurde eine Impfstofffabrik in Kigali eröffnet. Zum feierlichen Spatenstich 2022 traf Gründer Uğur Şahin auch auf Paul Kagame

Auch Biontech investiert in Ruanda: Gerade wurde eine Impfstofffabrik in Kigali eröffnet. Zum feierlichen Spatenstich 2022 traf Gründer Uğur Şahin auch auf Paul Kagame

Foto: Simon Wohlfahrt / DER SPIEGEL

Der Investigativjournalist war einer der wenigen, die es noch wagten, Unrecht aufzudecken. Ntwali recherchierte etwa zu Enteignungen in einem riesigen Slum in Kigali, zu den zahlreichen Prozessen gegen Oppositionelle, zur Inhaftierung von Journalisten. Schon lange fürchtete er, selbst zur Zielscheibe zu werden. Zeugen erinnern sich im Gespräch mit den Medienpartnern von Rwanda Classified daran, was Ntwali ihnen vor seinem Tod erzählt habe: Er werde verfolgt, das Regime wolle ihn umbringen. Einer Quelle zufolge spricht Ntwali davon, dass der Geheimdienst ihn konkret gewarnt hätte: »Wir werden dich überfahren, wenn du auf deinem Motorrad sitzt.« Kurz darauf kam der Journalist laut offizieller Version bei einem Verkehrsunfall auf einem Motorradtaxi zu Tode.

Doch es gibt erhebliche Zweifel daran, dass es sich tatsächlich um einen tragischen Unfall gehandelt hat. Nicht nur seine Freunde und Unterstützer halten einen gezielten Mord für möglich, auch Menschenrechtsorganisationen. »Wir glauben, dass es starke Anhaltspunkte für die Behauptungen gibt, dass er getötet wurde«, sagt Lewis Mudge, Direktor für Zentralafrika bei der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch, die zu Menschenrechtsverletzungen recherchiert. Die ruandische Regierung ließ eine SPIEGEL-Anfrage unbeantwortet.

Der Tod von John Williams Ntwali ist Ausgangspunkt der Rwanda-Classified-Recherche. Dutzende Journalistinnen und Journalisten haben vor Ort in Ruanda recherchiert, haben mit Sicherheitsbehörden, Regimegegnern und Insidern gesprochen. Auch in Deutschland.

Rwanda Classified
Rwanda Classified ist eine internationale Recherche-Kooperation von 17 Medien, darunter DER SPIEGEL, die Zeit, das ZDF, der österreichische STANDARD, Le Monde und der Guardian. Koordiniert wurde das Projekt von Forbidden Stories, einer gemeinnützigen Investigativredaktion. Über Monate wurde zu Repression, verdeckter Einflussnahme und Menschenrechtsverletzungen durch das ruandische Regime recherchiert.

Rwanda Classified ist eine internationale Recherche-Kooperation von 17 Medien, darunter DER SPIEGEL, die Zeit, das ZDF, der österreichische STANDARD, Le Monde und der Guardian. Koordiniert wurde das Projekt von Forbidden Stories, einer gemeinnützigen Investigativredaktion. Über Monate wurde zu Repression, verdeckter Einflussnahme und Menschenrechtsverletzungen durch das ruandische Regime recherchiert.

Foto: Forbidden Stories

An einem Samstagabend im Mai hat sich in der Dortmunder Franziskanerkirche ein Chor versammelt. Frauen und Männer, teils in blaue Tücher gekleidet, singen Lieder des ruandischen Sängers Kizito Mihigo, auch er kam auf mysteriöse Weise ums Leben. Angeblich soll er sich in einer Polizeistelle in Kigali erhängt haben, behauptet die Regierung. Viele zweifeln diese Version an. Mihigo war verhaftet worden, weil er in seinen Gospelsongs Kritik an der Regierung übte.

Auch hier in Dortmund glaubt niemand aus dem Chor der Exilruander an Selbstmord. Immerhin dürfen sie in Deutschland seine Lieder singen, in Ruanda wäre das nicht möglich, sagen sie. Trotzdem sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sehr vorsichtig, sie trauen kaum jemandem, schon gar nicht ihren Landsleuten.

Alice Munyarubuga ist Stargast des Abends, sie kannte Mihigo persönlich. Als er im Februar 2020 starb, nahm sie einen Song für ihn auf, in Gedenken, und veröffentlichte ihn auf YouTube. Kurz darauf begannen die Probleme. Munyarubuga brauchte einen neuen Reisepass, doch plötzlich bekam sie keinen Termin mehr zur Abholung in der ruandischen Botschaft in Berlin, erzählt sie. Die Ruanderin fragte bei der Ersten Botschaftssekretärin nach, das belegen Chats, die dem SPIEGEL vorliegen. Statt einer Antwort sendete ihr die Sekretärin kommentarlos den Link zu Munyarubugas YouTube-Video. Wer nicht spurt, der wird bestraft, so die wenig subtile Botschaft.

Chortreffen in Dortmund: Zahlreiche Exilruander versammeln sich hier

Chortreffen in Dortmund: Zahlreiche Exilruander versammeln sich hier

Foto: Sophia Baumann

Die ruandische Botschaft in Berlin war auf SPIEGEL-Anfrage nicht zu erreichen, ebenso wenig die ehemalige Botschaftssekretärin.

Auch andere Exilruander in Deutschland berichten von Einschüchterungen. Sie erzählen etwa von Drohanrufen von anonymen Nummern. »Manchmal haben sie gar nichts gesagt, 10 bis 15 Sekunden lang«, sagt Emmanuel Ndahayo, der sich früher für eine ruandische Oppositionspartei engagiert hat. Oder aber: »Wir wissen, wo du bist.« Viele fürchten Konsequenzen für ihre Familie und Freunde in der Heimat. Es kommt nicht selten vor, dass Angehörige von Kritikern spurlos verschwinden oder bedroht werden.

Die deutschen Behörden wissen bislang wenig über die Aktivitäten ruandischer Geheimdienste in Deutschland, obwohl Experten der Menschenrechtsorganisation Freedom House Ruanda zu den zehn schlimmsten Ländern in Sachen grenzüberschreitender Unterdrückung zählen. Etwas weiter sind da die Belgier, ehemalige Kolonialmacht in Ruanda und Wohnort zahlreicher regierungskritischer Exilruander. Der belgische Militär-Geheimdienst SGRS bestätigt »geheime Aktivitäten« Ruandas auf belgischem Boden. Laut belgischen Behördenkreisen geht es dabei um Überwachungsmaßnahmen und sogar Gewalttaten gegen die ruandische Diaspora. Das sei »inakzeptabel«. Auch in Schweden wurden bereits ruandische Diplomaten ausgewiesen, weil sie Geflüchtete ausspioniert haben sollen.

Behörden und Diplomaten mehrerer EU-Länder äußern regelmäßig Kritik an der ruandischen Regierung, sprechen deren Menschenrechtsverletzungen offen an. Die Deutschen hingegen hielten sich lieber zurück und bevorzugten positive Nachrichten aus Kigali, schildert ein europäischer Diplomat. Und davon gibt es einige: Biontech hat gerade eine Impfstofffabrik in Ruanda eröffnet, Außenministerin Annalena Baerbock reiste extra an. VW schraubt im Industriegebiet, nur wenige Meter von Biontech entfernt, Fahrzeuge zusammen, bietet zudem eine Taxi-App an; die Autos sind im ganzen Stadtgebiet zu sehen. Der Chef von VW Mobility in Kigali war früher für die ruandische Regierung tätig, in seiner Selbstbeschreibung auf dem Kurznachrichtendienst X steht noch immer: »#Team PK«. Der Hashtag wird als Bekenntnis zu Paul Kagame genutzt.

Oft verehrt, oft kritisiert: Langzeitmachthaber Paul Kagame

Oft verehrt, oft kritisiert: Langzeitmachthaber Paul Kagame

Foto:

Jean Bizimana / REUTERS

Eine weitere positive Nachricht ließ sich im August 2023 verkünden. Ruandas Machthaber Kagame hielt ein mit zahlreichen Autogrammen versehenes Trikot des FC Bayern München in die Kamera, neben ihm stand ein Topfunktionär des deutschen Klubs. Ruanda stieg als »Platin-Partner« des Vereins ein, zahlt dafür jährlich einen Millionenbetrag an den FC Bayern. Ein kleines afrikanisches Land, angewiesen auf Entwicklungshilfe, ist plötzlich Großsponsor des reichsten deutschen Bundesliga-Klubs. Der Schriftzug VISIT RWANDA leuchtet seither bei allen Bundesliga-Heimspielen prominent von der Bande.

Für Paul Kagame ist der Deal ein großer Erfolg, ein weiterer Schritt in Richtung Normalisierung seines Regimes. FC-Bayern-Vorstandschef Jan-Christian Dreesen verteidigte die Entscheidung des Vereins damals und versicherte, man habe sich vor Abschluss des Werbevertrags »sehr intensiv mit Ruanda beschäftigt«. Auf SPIEGEL-Anfrage teilt der FC Bayern heute mit, man habe unter anderem auf Einschätzungen der Europäischen Union, deutscher Bundesministerien und der deutschen Botschaft in Kigali vertraut.

Recherchen des SPIEGEL und seiner Medienpartner legen nahe, dass es eher gezielte Einflussnahme war, die den Deal möglich machte, vorangetrieben von einer umtriebigen Exilruanderin namens Chantal Mukashyaka. Sie habe das Sponsoring eingefädelt, berichten mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen. Auf einem Gruppenfoto, das Kagame mit Vertretern des FC Bayern zeigt, steht die Geschäftsfrau in der ersten Reihe.

Zwischen Mukashyaka und Kagame lächelt der Münchner Sportunternehmer Stefan Schaffelhuber. Schaffelhuber und die gebürtige Ruanderin waren zumindest zeitweise ein Paar, das legen frühere Fotos aus der Münchner High Society nahe. Die beiden waren oder sind aber auch Geschäftspartner in der Schaffelhuber Consulting GmbH; ihr gehören laut Handelsregister 20 Prozent der Anteile. Im Duo hätten sie den Deal zwischen der ruandischen Tourismusbehörde und dem FC Bayern eingefädelt, schildert ein Insider. Der FC Bayern will sich dazu nicht äußern. Schaffelhuber und Mukashyaka waren auf SPIEGEL-Anfrage nicht zu erreichen.

Die gebürtige Ruanderin Chantal Mukashyaka soll den Werbedeal mit eingefädelt haben, schildern Insider

Die gebürtige Ruanderin Chantal Mukashyaka soll den Werbedeal mit eingefädelt haben, schildern Insider

Foto: Maria Retter

Der Fall zeigt, wie Ruanda den regimetreuen Teil seiner Diaspora nutzt, um Einfluss zu nehmen, um im Ausland gut dazustehen. Regelmäßig veranstalten regierungstreue Organisationen zudem den sogenannten Rwanda Day, an dem sich Exilruander versammeln, um ihre Heimat zu feiern. Auch in Deutschland fand 2019 ein solches Treffen statt. Laut Interviews von Human Rights Watch mit Betroffenen werden beim Rwanda Day Regimegegner gezielt eingeschüchtert.

Manchmal braucht das ruandische Regime aber gar keine klandestinen Netzwerke. Dann kann es sich auf offizielle Hilfe aus dem Westen verlassen. Mit EU-Geldern soll das Marketing der ruandischen Regierung unterstützt werden. Das belegen unter anderem zwei Ausschreibungen der Europäischen Union. In einer der Ausschreibungen geht es um »Nation Branding«, die wirtschaftlichen Fortschritte des Landes sollen besser nach außen kommuniziert werden, es wird eine Firma gesucht, die sich darum kümmern kann. Ruandas Image wird also mit EU-Geldern aufpoliert, bezahlt aus Mitteln des Europäischen Entwicklungsfonds. Noch ist der Auftrag in Höhe von 848.000 Euro laut EU nicht vergeben worden.

Von Menschenrechtsverstößen und Unterdrückung der Opposition ist in den öffentlich einsehbaren Dokumenten jedenfalls keine Rede, das positive Image Ruandas scheint wichtiger. Aus dem zuständigen Büro in der Europäischen Kommission heißt es auf Nachfrage, die Ausschreibungen unterstützten den Tourismussektor, wodurch das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen gefördert würden.

Auch CDU-Politiker Jens Spahn scheint mit seinem Ruanda-Besuch zufrieden. Natürlich müsse man mit der Regierung auch über kritische Aspekte sprechen, sagt er während seiner Reise in einem Interview. »Aber wenn wir nur Länder als Partner nehmen, die so sind wie Deutschland, dann werden wir nicht viele Partner auf der Welt finden für Migrationsabkommen.« Im Zweifel also ein Auge zudrücken beim Thema Menschenrechte, Hauptsache, die Flüchtlinge sind weg. Autokrat Paul Kagame dürfte das freuen.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Eine ausführliche FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.