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Ehemaliges Adoptivkind Uma Feed: Transfer von einem armen in ein reiches Land

Ehemaliges Adoptivkind Uma Feed: Transfer von einem armen in ein reiches Land

Foto: Siv Dolmen / DER SPIEGEL

Adoptionsskandal in Norwegen »Es war Raub. Ein Geschäft«

Uma Feed kam als Säugling nach Norwegen. 40 Jahre später fand sie heraus, dass ihre leiblichen Eltern sie nie weggeben wollten. Ihr Kampf gegen Auslandsadoptionen könnte das Ende der Praxis bedeuten, auch in anderen Ländern.
Aus Oslo berichten Jan Petter und Siv Dolmen (Fotos)

Uma Feed wird die Namen ihrer verlorenen Familienangehörigen in diesem Leben wohl nie wieder vergessen. Sie hat sie sich tätowieren lassen, trägt sie unter der Haut am linken Unterarm: den der Mutter, des Vaters, ihres Bruders – jedenfalls fast. Die koreanischen Namen, die sie vor weniger als einem Jahr mit 40 das erste Mal hörte, sind falsch gestochen. Die schwarzen Zeichen gehen von links nach rechts anstatt von oben nach unten. Es ist noch das harmloseste Versehen in dieser ganzen Geschichte.

Vier Jahrzehnte lang lebte Feed im Glauben, womöglich Vollwaise zu sein. Fast ihr ganzes Leben lang ahnte sie nicht, dass ihre wirkliche Mutter sie weder verkauft noch verlassen hatte. Dass ihr eigener Vater sich irgendwann einredete, dass sie längst tot sei, um den Schmerz zu betäuben. Dass am anderen Ende der Welt ein Bruder existierte, der sich schwor, selbst nie Kinder zu bekommen, um das Trauma seiner Eltern endlich zu überwinden. Sie wusste nichts davon, dass sie durch pure Willkür von Südkorea nach Norwegen gekommen war und dort an eine Familie übergeben wurde wie ein besseres Urlaubsmitbringsel.

Heute sagt die Künstlerin: »Es war Raub. Ein Geschäft. Denn so nennt man es, wenn man Geld ausgibt, um etwas zu erhalten, auch wenn es einem nicht gehört.«

Uma Feed in ihrer Wohnung in Oslo: »Es war Raub«

Uma Feed in ihrer Wohnung in Oslo: »Es war Raub«

Foto: Siv Dolmen / DER SPIEGEL

Sie weiß inzwischen, dass sie nicht die einzige ist. Sie fordert Aufklärung. Und vor allem, dass es aufhört: Sie will, dass Auslandsadoptionen international verboten werden.

Mehr Adoptionen als irgendwo sonst

Norwegen ist nicht das einzige Land, das in den vergangenen Monaten über die jahrzehntelange Adoptionspraxis diskutierte. Auch in den Niederlanden, in Schweden und Dänemark gab es ähnliche Fälle wie den von Uma Feed und ähnliche Diskussionen. Doch nirgendwo lässt sich so genau nachzeichnen, wie das Narrativ hinter den Adoptionen gerade seine Glaubwürdigkeit verliert.

In keinem anderen Land wurden im Verhältnis zur Bevölkerung wohl mehr Kinder aus dem Ausland adoptiert als in Norwegen. Zehn bis fünzehnmal mehr als in anderen Industrieländern, mehr als 20.000 insgesamt.

Adoptionen sind ein außergewöhnlicher Vorgang, vielleicht ist es der am weitesten reichende Verwaltungsakt, der in einem Rechtsstaat überhaupt möglich ist: Ein Mensch wird von einem Land in ein anderes Land gebracht, meist noch ehe er seinen Namen sagen kann, erhält dort neue Papiere, eine andere Staatsangehörigkeit, eine neue Familie, oft auch einen anderen Namen. Eine Identität, die mit einer Weltreise beginnt, mit einem Transfer von einem armen in ein reiches Land.

Ob das gut geht, ob alles richtig und rechtsstaatlich abgewickelt wurde, zeigt sich oft erst Jahrzehnte später. Darf sich ein Staat so etwas überhaupt anmaßen?

In fast allen westlichen Ländern gab es seit der Mitte des 20. Jahrhunderts eine steigende Zahl an Auslandsadoptionen, Norwegen spielte dabei schon immer eine Sonderrolle. Lange Zeit war es selbst Auswanderungsland, keine Einwanderungsgesellschaft, auch keine Kolonialmacht. Vielleicht deshalb war das Land auch im Globalen Süden ein gern gesehener Partner. Inlandsadoptionen zu fremden Familien waren selten. »Dafür waren unsere eigenen Standards zu hoch«, sagt die Juristin Kirsten Sandberg, ehemalige Richterin am Obersten Gerichtshof in Norwegen und Vorsitzende des Uno-Kinderrechtsausschusses. »Kinder sollten nach norwegischer Tradition in der eigenen Familie aufwachsen. Die Adoptionen aus dem Ausland kamen uns hingegen ideal vor. Die Norweger konnten sich die hohen Kosten leisten, noch dazu erschien es wie ein humanitärer Akt.«

Heute hält Sandberg diese Annahmen für einen Ausdruck von Überheblichkeit. Schon möglich, dass das Leben in Norwegen besser ist als in vielen anderen Ländern der Erde. Aber ist es deshalb auch das Beste für ein Kind, wenn man es nach Norwegen bringt?

Uma Feed sagt heute, sie habe sich schon immer anders gefühlt, noch bevor sie ihre wahre Geschichte kannte. Die Paradoxie von Auslandsadoptionen beschreibt sie so: »Wenn deine Mutter fremd wird und eine Fremde deine Mutter.«

Am guten Willen ihrer Eltern hat sie nie gezweifelt

Das norwegische Paar, das sie 1983 aufnahm, nennt sie immer noch »Papa« und »Mama«. Fotos zeigen sie und ihre beiden Geschwister in norwegischen Trachten, am Nationalfeiertag, in rustikalen Wohnstuben und beim Angeln an Fjorden. Von ihrer Ankunft als Säugling bis zu ihrem 19. Lebensjahr hieß sie fortan Anne. Sie sollte eine normale Norwegerin sein. Ihre Eltern hätten alles richtig machen wollen, daran habe sie nie gezweifelt.

Über ihre Herkunft wusste sie nur, dass sie vermutlich als Waise zur Adoption freigegeben worden sei. Ihre Geschwister, ebenfalls Adoptivkinder sagten ihr: Sei doch froh, hier zu sein. Feed sagte: Schickt mich zurück, ich will meine Herkunft verstehen.

Die einzigen anderen nicht weißen Menschen im Ort seien die vietnamesischen Bootsflüchtlinge gewesen, erinnert sich Feed.

Heute ist das Verhältnis zu ihren Adoptiveltern angespannt, sie hält den Kontakt vor allem für ihre eigenen Kinder. Feed ist inzwischen selbst zweifache Mutter.

Feed mit ihrem sechsjährigen Sohn Mio

Feed mit ihrem sechsjährigen Sohn Mio

Foto: Siv Dolmen / DER SPIEGEL
Feed mit ebenfalls adoptierten Freunden: »Als Migrantin bist du anders, aber du hast zumindest eine Community«

Feed mit ebenfalls adoptierten Freunden: »Als Migrantin bist du anders, aber du hast zumindest eine Community«

Foto: Siv Dolmen / DER SPIEGEL

Wie viele solcher Schicksale es gibt, wurde erst in der jüngsten Vergangenheit klar. Seit bald eineinhalb Jahren berichten Journalisten der Tageszeitung »Verdens Gang« darüber. Anfangs ging es nur darum, ähnliche Berichte der schwedischen Schwesterzeitung aufzugreifen. Dann meldeten sich noch während der Recherche für den ersten Text mehr als 200 Adoptierte zurück. »Ich habe noch nie so etwas erlebt«, sagt Martin Folkvord, Investigativjournalist bei VG. »Normalerweise müssen wir lange graben, um Betroffene zu finden. Diese Geschichte kam wie eine Welle auf uns zugerollt.«

Seither enthüllten er und seine Kolleginnen zum Beispiel, dass schon in den Achtzigerjahren bekannt wurde, wie für Adoptionen in Ecuador Gefälligkeiten geleistet wurden und wie viele Adoptierte bis heute auf Antworten warten. Seitdem ist ein mehrteiliger Podcast erschienen, das Fernsehen berichtet regelmäßig.

Hinweise gab es schon früh

Die Zahl der Adoptierten, die bei Beratungsstellen um Hilfe baten, hat sich innerhalb eines Jahres verdreifacht. Die Regierung beharrte anfangs darauf, nichts von möglichen Verstößen gewusst zu haben. Inzwischen ist klar, dass es allein von den Siebzigerjahren bis 2022 mindestens 88 Hinweise auf Unregelmäßigkeiten gab.

Es ging um Geldzahlungen oder um Kinder, die ohne Papiere ins Land gebracht wurden und dennoch bleiben durften. Experten gehen davon aus, dass die norwegische Hilfsbereitschaft teilweise erst dazu geführt haben könnten, dass man vor Ort nach Kindern suchte, die man ins Ausland geben konnte. Ein südkoreanisch-dänischer Untersuchungsbericht stellte im vergangenen Jahr fest, dass kein einziger von 1000 überprüften Fällen frei von Unregelmäßigkeiten sei. Die Aufarbeitung ist mühsam. Wo vor 50 Jahren keine Dokumente angelegt wurden, lässt sich heute die Wahrheit nur noch schwer ermitteln.

Mittlerweile forscht eine Untersuchungskommission. Bis sie fertig ist, empfiehlt die zuständige Aufsichtsbehörde Bufdir, für mindestens zwei Jahre sämtliche weitere Auslandsadoptionen zu verbieten.

Für die drei norwegischen Adoptionsagenturen wäre es wohl das Ende, ihr Geschäftsmodell wankt schon seit Jahren. Die größte, »Adopsjonsforum«, residiert noch in einer Villa im Diplomatenviertel neben der chilenischen Botschaft, von 25 Mitarbeitern sind nur noch 5 da, die Ikea-Möbel wirken abgewetzt. Die Geschäftsführerin sagt, wenn sich nichts ändere, sei man in wenigen Monaten pleite.

Auch Helge Solberg befürchtet ähnliches, selbst wenn es nicht zu einem Verbot kommen sollte. Er arbeitet für »Verdens Barn«, übersetzt Kinder der Welt.

Adoptionsvermittler Helge Solberg: »Man kann uns heute nicht vorwerfen, was damals nicht falsch war«

Adoptionsvermittler Helge Solberg: »Man kann uns heute nicht vorwerfen, was damals nicht falsch war«

Foto: Siv Dolmen / DER SPIEGEL

Solbergs Agentur vermittelte seit den Sechzigerjahren Kinder an norwegische Familien. Er erzählt gern von seiner eigenen, seine Ehefrau sei auch ein Adoptivkind, die Kinder ebenfalls aus dem Ausland. Für andere organisiert Verdens Barn dagegen nur noch selten Adoptionen, immer mehr Länder wurden von den Behörden in den vergangenen Jahren von der Liste der möglichen Herkunftsländer gestrichen. Derzeit kommen die meisten Kinder aus Südafrika.

Ursprünglich wurde die Agentur als Verein gegründet, der Waisenkinder des Koreakriegs unterstützt. Man verstand sich als Kinderschutzorganisation. Es muss allen Beteiligten wie eine Win-win-Situation erschienen sein. Das damals arme und autoritär regierte, asiatische Land wurde Waisen, uneheliche und vermeintliche Soldatenkinder los. In Europa und Nordamerika freute man sich, unkompliziert helfen zu können. Nicht nur den Koreanern, sondern auch Paaren mit Kinderwunsch. Plötzlich gab es sehr viele abgegebene Säuglinge und Waisenkinder. Für eine Adoption reichten oft wenige Blätter Papier und drei Stempel. Allzu kritische Fragen stellte damals kaum jemand. Das Vorgehen wurde zum Standard, auch in anderen Ländern.

Zeitweise, sagen Betroffene, die ihre Familiengeschichte recherchierten, seien die Kinder wie Handgepäck von Stewardessen nach Europa gebracht worden. Auch Uma Feed kam so zu ihren Eltern.

Helge Solberg wirkt angespannt, während er seine Sicht der Dinge erzählt. Er kämpft nicht um sein Leben, aber um sein Lebenswerk. Die Frage ist, ob diese Betroffenheit die Aufklärung erleichtert. Den Agenturen wird vorgeworfen, sich nicht genügend zu engagieren. Solberg sagt: »Man kann uns heute nicht vorwerfen, was damals nicht falsch war.«

Reicht das als Erklärung, wenn Tausende Menschen ihre Wurzeln vermissen und von Menschenhandel die Rede ist?

Südkorea schickte bereits eine Wahrheitskommission nach Nordeuropa

Das Interesse an Auslandsadoptionen ging schon lange vor den Enthüllungen zurück, nicht nur in Norwegen. Die Nachfrage, so sagen es alle Beteiligten, sei geschrumpft. Vor allem aber das Angebot. Weltweit ist heute die medizinische Versorgung besser, es gibt weniger Waisen und ungeplante Schwangerschaften. Länder wie Indien wollen am liebsten gar keine Auslandsadoptionen mehr, Südkorea hat bereits eine Wahrheitskommission nach Nordeuropa geschickt, die dort, am anderen Ende der Welt, die Folgen der eigenen Vergangenheit aufklären sollte.

Zusätzlich bietet das Land ehemaligen Adoptionskindern und Eltern Zusammenführungen an. Nur so erfuhr Uma Feed im vergangenen Jahr von ihrer leiblichen Familie, durch einen südkoreanischen DNA-Abgleich. Den entscheidenden Anruf erhielt sie am 3. Mai 2023 auf der Toilette.

Keine vier Wochen später saß sie im Flieger. Auf ihr iPhone hatte sie sich eine Übersetzungsapp heruntergeladen.

Uma Feed sagt, sie wisse inzwischen, was damals passiert sei. Ihre Mutter habe sie zur Pflege abgeben müssen, weil sie krank wurde. Als sie zurückkam, war die Tochter weg. Als es in Norwegen hieß, sie sei weggeben worden, fragte niemand nach der Unterschrift ihrer Mutter. In Südkorea erklärte man erst gar nicht groß, was passiert war. Ein Kind war verschwunden. Nicht das Erste.

Feed erzählt heute, dass ihre Eltern 40 Jahre lang auf sie gewartet hätten. Regelmäßig seien sie zum Tempel. Der Vater habe Dollarscheine als Opfergaben gebracht, die Mutter für sie gebetet. Ihr größerer Bruder sagt, er habe als Kind jahrelang jeden Nachmittag im Dorf nach seiner Schwester gesucht. Bei ihrem ersten Besuch zeigten sie Uma, wie man buddhistisch betet. Sie erzählten von ihrer Scham, die Tochter und Schwester verloren zu haben.

Feed in Oslo: Mit 40 zum ersten Mal im Gesicht eines anderen Menschen wiedererkannt

Feed in Oslo: Mit 40 zum ersten Mal im Gesicht eines anderen Menschen wiedererkannt

Foto: Siv Dolmen / DER SPIEGEL

Der Bruder sagte, er habe als junger Erwachsener beschlossen, selbst nie eine eigene Familie gründen zu wollen. Zu groß sei die Angst gewesen, einmal Ähnliches zu erleben.

Am Ende sagten sie alle: Bitte vergib uns nie unsere Schuld.

Sie weiß, dass es keinen Weg zurück gibt

In ihrer Wohnung in Oslo stehen inzwischen ein paar asiatische Lebensmittel und ein koreanisches Kochbuch neben der Kaffeemaschine. An der Wand hängen Zettel mit unbeholfenen Malversuchen des eigenen Geburtsnamens. Im Gesicht ihres Vaters, erzählt Feed, habe sie zum ersten Mal an einem Menschen die eigenen Züge wiedererkannt. Da war sie 40.

Feed sagt oft, sie wolle keine Opfergeschichte präsentieren. Nicht erneut ein Objekt sein. Sie versuche nur, ihr bisheriges Leben neu zu verstehen.

Ihr scheint klar, dass es keinen Weg zurück gibt. Beim ersten Besuch in dem kleinen Dorf in den Bergen Südkoreas fand sie, ihre Familie rieche nach Fisch und Meeresfrüchten. Umgekehrt sagte ihr Cousin: Uma, du riechst so nach Milch. Die Mutter sagte: Mit den Tattoos siehst du aus wie eine Nordkoreanerin. Wenn du willst, zahlen wir dir eine Schlupflidkorrektur.

Feed sagt, sie wolle keine Schönheitsoperation und auch kein Mitleid.

»Ich will, dass dieses System abgeschafft wird.«

Feed plant einen Film über ihren Fall, eine Kamerafrau begleitet sie dafür ins Familienministerium

Feed plant einen Film über ihren Fall, eine Kamerafrau begleitet sie dafür ins Familienministerium

Foto: Siv Dolmen / DER SPIEGEL
Sie will ihre Geschichte wieder selbst erzählen – und dokumentieren, wie das Adoptionssystem kollabiert

Sie will ihre Geschichte wieder selbst erzählen – und dokumentieren, wie das Adoptionssystem kollabiert

Foto: Siv Dolmen / DER SPIEGEL

Inzwischen ist Feed zu einer Art Sprachrohr der Adoptierten in Norwegen geworden. Kürzlich erhielt sie einen Menschenrechtspreis für ihre Arbeit. Bei einem Abendessen sitzen ein Bekannter, der aus Brasilien stammt, ein gebürtiger Südkoreaner und eine Freundin von den Philippinen zusammen. »Als Migrantin bist du anders, aber du hast zumindest eine Community«, sagt die Frau, »als asiatisches Kind, dem gesagt wird, dass es norwegisch sei, hast du nichts.« Über Jahre habe sie sich mit niemandem austauschen können. Heute macht sie eine Therapie. »Am schlimmsten war das Leugnen, dass ich anders war«, sagt der Südkoreaner. Er wuchs als Sohn eines norwegischen Fischers auf einer Insel auf. Noch immer hat er das Gefühl, seinen Adoptivvater enttäuscht zu haben.

Was heißt es, wenn es selbst in einem Wohlfahrtsstaat wie Norwegen intransparent läuft?

Die Sozialwissenschaftlerin Kjersti Grinde Satish erforscht seit 2014, wie es Adoptivkindern in Norwegen ergeht. Damals suchte sie im Rahmen ihrer Promotion nach Fällen. Es habe sie erstaunt, wie wenig Forschung es dazu gab, sagt sie. Schon damals meldeten sich innerhalb weniger Wochen Dutzende. Mit 26 führte Grinde Satish mehrstündige Gespräche. Fast alle hätten von Anpassungsproblemen, Einsamkeit und teilweise von Suizidgedanken berichtet.

Viele Adoptivkinder in Norwegen würden Rassismus erfahren. Manche bezahlten das Anderssein mit ihrem Leben. Mindestens drei Mordfälle sind bekannt. »Was heißt das für die grundlegende Idee, wenn Adoptionen selbst in einem reichen Wohlfahrtsstaat wie Norwegen solche Konsequenzen haben?«, fragt Satish. Die legendäre norwegische Premierministerin Gro Brundtland erklärte einmal: »Es ist typisch norwegisch, gut zu sein.« Satish sagt: »Wir alle haben das ein wenig zu gern geglaubt.«

Können Auslandsadoptionen überhaupt fair sein? In den USA sind seit einigen Jahren offene Adoptionen Standard, bei der sich abgebende und aufnehmende Eltern begegnen. Seitdem sei das Interesse deutlich gesunken, sagen Agenturen.

Im vergangenen Jahr wurden nur noch 45 Kinder vermittelt

Die zuständige Abteilungsleiterin Kristin Ugstad Steinrem der Aufsichtsbehörde in Oslo sagt: »Das Risiko illegaler Praktiken ist real, aus unserer Sicht ist die Dokumentation in vielen Fällen nicht gut genug.« Ohne vollständige Papiere und nachgewiesene Not würden sie keine Auslandsadoptionen mehr zulassen. Derzeit wickeln die Behörden noch 23 Fälle ab, die bereits weit fortgeschritten sind. Danach wäre man froh, keine Verfahren mehr annehmen zu müssen. Im vergangenen Jahr wurden von den drei Agenturen zusammen noch 45 Kinder vermittelt. Streng genommen ist dieses System wohl jetzt schon am Ende.

Uma Feed mit Kindheitsbildern: Einfach eine normale Norwegerin sein

Uma Feed mit Kindheitsbildern: Einfach eine normale Norwegerin sein

Foto: Siv Dolmen / DER SPIEGEL

In Dänemark untersagte die zuständige Aufsichtsbehörde zuletzt der einzigen verbliebenen Adoptionsagentur die Vermittlung von Kindern aus Südafrika. Die Agentur verkündete kurz darauf ihr eigenes Ende. In Schweden und den Niederlanden laufen seit Längerem ähnliche Diskussionen, fordern Politiker einen generellen Stopp der Praxis. In Oslo könnte es ähnlich laufen, Adoptionen aus Madagaskar, Vietnam, Taiwan und aus den Philippinen wurden bereits gestoppt. Eine endgültige Entscheidung müsste die Familienministerin treffen.

Uma Feed plant inzwischen einen Film über ihre Geschichte. Sie lässt sich von einer Kamerafrau begleiten, wenn sie das Familienministerium in Oslo aufsucht oder mit ihrer Sachbearbeiterin spricht. Sie will Spuren hinterlassen und dokumentieren, wie das Adoptionssystem kollabiert. Auf ihrer Haut trägt sie inzwischen weitere Tattoos. Ein Anker ist darunter und ein buddhistisches Zeichen. Dazu die Namen ihrer Kinder auf dem rechten Unterarm. Eine stille Familienzusammenführung. Aber in lateinischen Buchstaben.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

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