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Das braune Gold: Frisch geerntete Kakaopflanzen

Das braune Gold: Frisch geerntete Kakaopflanzen

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL

Hohe Kakaopreise »Die Welt der Schokolade wird nicht mehr dieselbe sein«

Der Kakaopreis ist zuletzt extrem gestiegen, bald wird auch in Deutschland die Schokolade teurer. In Uganda ist die Frucht so wertvoll, dass bewaffnete Bürgerwehren die Anbaugebiete schützen.
Aus Bundibugyo, Uganda, berichten Heiner Hoffmann und Luke Dray (Fotos)

Es geht laut zu, was auch am Gin liegen könnte. Der Anführer der Bürgerwehr hat sich etwas Mut angetrunken. Dann stapft er in Armeehose und Kampfstiefeln, mit einem Speer in der Hand und einer Machete im Halfter, durch den dichten Wald. Immer wieder brüllt er: »Hier lang!«, oder »Halt!«

Wembley nennen sie diese bewaffneten Bürgerwehren hier im Westen Ugandas, kurz vor der Grenze zur Demokratischen Republik Kongo: Sieben Mann, in einer Linie hintereinander unterwegs, das Tempo irrwitzig schnell. Sie keuchen. Einer hält einen Pfeil und Bogen im Anschlag, während er sich hastig umschaut.

Die Truppe schützt nicht etwa eine Diamantenmine oder ein Dorf vor Rebellentruppen. Sie sichern die Kakaoplantagen in den Hügeln über Bundibugyo vor Dieben. »Das ist das braune Gold«, sagt Anführer Kitooke Harrison, der seinen eigenen Namen auf den Arm tätowiert trägt. Die Frucht ist inzwischen so begehrt, dass Diebe nachts durch die Plantagen ziehen, um sie von den Bäumen zu pflücken. In einigen Farmen verschwindet so die Hälfte der Ernte, schätzt der Wembley-Anführer.

Blick auf Bundibugyo im Westen Ugandas

Blick auf Bundibugyo im Westen Ugandas

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL

Der Kakaopreis ist von 3000 US-Dollar pro Tonne im Mai 2023 auf zwischenzeitlich mehr als 12.000 US-Dollar angestiegen, ein Allzeitrekord. Derzeit liegt er immer noch bei 9000 US-Dollar, Tendenz wieder steigend. Grund dafür sind vor allem schlechte Ernten in Westafrika, in Ghana und der Elfenbeinküste, wo ein Schädlingsbefall wütet. Zudem sind viele Bäume in den Hauptanbaugebieten überaltert und damit immer weniger produktiv. Spekulanten haben die Situation noch verschärft, weil sie auf steigende Preise wetteten. Viele sprechen von einer »Kakaokrise«.

Auslöser dieser Krise sind maßgeblich die Auswirkungen des Klimawandels. Die Wetterextreme nehmen zu, auf lange Trockenperioden folgen heftige Regenfälle, vor allem in den großen Anbaugebieten Westafrikas. Dadurch werden die Kakaobäume immer anfälliger, Schädlinge können sich ungehindert ausbreiten. Experten gehen davon aus, dass sich der Kakaoanbau langfristig in immer höher gelegene Regionen verlagern muss, weil nur noch dort das passende Klima vorzufinden ist.

Harrison Kitooke führt in Bundibugyo eine Bürgerwehr an

Harrison Kitooke führt in Bundibugyo eine Bürgerwehr an

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL
Mit Pfeil und Bogen, Speeren und Macheten schützen sie die Kakaofelder

Mit Pfeil und Bogen, Speeren und Macheten schützen sie die Kakaofelder

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL

So wie in Bundibugyo, wo der Kakao prächtig gedeiht. Die Bürgerwehr hält plötzlich inne, sie sind auf etwas gestoßen. Auf dem Boden liegt, nur spärlich versteckt, ein Haufen Kakaofrüchte. »So machen das die Diebe, sie horten ihre Beute, dann kommen sie nachts, um sie abzuholen«, erzählt Harrison. Manchmal legen sich die Wembley-Mitglieder dann im Dunkeln auf die Lauer, warten, bis die Täter zurückkommen und ertappen sie auf frischer Tat. Heute allerdings bringen sie das Diebesgut direkt zu den rechtmäßigen Besitzern zurück. Zur Belohnung für ihre Patrouillen gibt es nach jeder Ernte, zweimal im Monat, einen Lohn in Form von Kakaobohnen, eine Tasse pro beschützter Plantage für jedes Mitglied der Bürgerwehr.

Wegen der hohen Preise haben sie ihre Patrouillen aufgestockt, laufen in Tag- und Nachtschichten. Erst kürzlich haben sie wieder 15 Diebe erwischt, erzählen die jungen Männer. Die Täter wurden gefesselt und schließlich zur Polizei gebracht, so machen sie das immer.

Auf einem Baumstumpf im Dorf sitzt Karen Kule, die Mutter des Anführers. Die 50-Jährige trägt eine Duschhaube auf den Haaren und sieht erschöpft aus; sie hat gerade heruntergefallene Früchte aufgelesen. 1000 Kakaobäume nennt sie ihr Eigen. Ernten dürfen sie nur zwei Mal pro Monat, am 15. und 30., so haben es die Farmer gemeinsam mit den einkaufenden Firmen festgelegt, damit die Qualität nicht leidet. Bald ist es wieder so weit. Und die Zeiten könnten kaum besser sein. »Es ist wirklich eine Art Goldrausch«, erzählt die Farmerin. »Früher konnte ich kaum meine Kinder zur Schule bringen, heute baue ich ein neues Haus aus Stein.« Sie zeigt dabei nach oben, den Hügel hinauf, wo das neue Dach zu erkennen ist.

Karen Kule besitzt etwa tausend Kakaobäume. Sie freut sich über die hohen Kakaopreise.

Karen Kule besitzt etwa tausend Kakaobäume. Sie freut sich über die hohen Kakaopreise.

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL

Mehrere Hundert Meter bergab von der Kakaofarm schützt ein bewaffneter Sicherheitsmann ein schweres Eisentor. Dahinter liegt das Lager von Latitude, einem der größten Kakaoexporteure der Region. Es ist leer im Moment, der kostbare Rohstoff längst verschickt zur Weiterverarbeitung, in einem gesicherten Lkw. Allan Mayanja, ein rundlicher Mann mit freundlichem Lachen, ist verantwortlicher Manager hier in der Außenstelle der Firma. Er erzählt gern die Geschichte der Landwirtschaft in der Region, davon, wie hier früher Palmen für Öl gepflanzt wurden, später Reis, dann Kaffee, schließlich der Kakao – je nachdem, was gerade am profitabelsten erschien.

Bundibugyo ist ein Vorzeige-Anbaugebiet. So gut wie alle Farmen sind in Familienhand und produzieren Bioware, »wenn hier jemand Pestizide nutzt, wird er oder sie verscheucht«, erzählt Mayanja. Kinderarbeit sei seit einigen Jahren kein Thema mehr, anders als in Westafrika, bestätigen auch Experten. Es gibt zwar auch hier zunehmend Schädlingsbefall, doch von den Problemen in Westafrika ist man noch weit entfernt.

Field Manager Allan Mayanja hat es immer schwerer, die benötigte Menge Kakao zusammenzubekommen

Field Manager Allan Mayanja hat es immer schwerer, die benötigte Menge Kakao zusammenzubekommen

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL

Mayanja, der Manager, muss sich darum kümmern, dass trotz aller Probleme genug Kakao in die Lager kommt, muss bei den Farmern anklopfen und nach Bohnen fragen. Latitude hat in den vergangenen Monaten ein Drittel mehr exportiert, auch wegen der gestiegenen Nachfrage für Kakao aus Uganda. »Es drängen immer mehr Händler auf den Markt, die alles leer kaufen. Auch Bohnen von schlechter Qualität werden den Bauern aus den Händen gerissen«, sagt er. Es gebe immer öfter Tage, an denen er viel weniger Ware bekomme als erhofft. Und die Lage wird nicht einfacher: Fast 400.000 Tonnen Kakao werden in den nächsten Monaten auf dem internationalen Markt fehlen, schätzen Experten.

Weil in Westafrika die Ernteausfälle hoch sind, wird Uganda als Kakaoexporteur immer wichtiger. Schon jetzt zählt es zu den zehn weltweit größten Lieferanten, wenn auch noch deutlich hinter Ghana oder Elfenbeinküste. Die braunen Bohnen sind ein wichtiger Devisenbringer für das Land, nach Gold, Kaffee, Fisch und Zucker ist Kakao das fünftwichtigste Exportgut Ugandas.

Etwa acht Stunden Autofahrt von Bundibugyo entfernt, in der ugandischen Hauptstadt Kampala, riecht es nach frischer Schokolade. Hier betreibt Latitude eine eigene Schokoladenfabrik, die Bohnen werden geröstet, dann mit den weiteren Zutaten vermischt, schließlich in Tafelform abgefüllt, alles in Handarbeit. Das hat seinen Preis: Eine Tafel Schokolade kostet etwa drei Euro, in Uganda ein stolzer Preis.

Auch hier steigt der Kostendruck: Schokolade von Latitude in Kampala

Auch hier steigt der Kostendruck: Schokolade von Latitude in Kampala

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL

Im ersten Stock des Gebäudes, direkt über der Manufaktur, sitzt Buchhalter Shafik Waswa über seinen Laptop gebeugt. Der Geruch der Schokolade dringt auch in die Büroräume, auf dem Tisch liegen Proben von Bohnen und Aromen. »Noch konnten wir die Preise für unsere Schokolade stabil halten«, erzählt er. Sie hätten noch genug Kakao auf Lager, auch die Präsenz vor Ort im Anbaugebiet zahlt sich aus. »Doch der Druck wächst, irgendwann müssen auch wir erhöhen.«

Experten rechnen damit, dass die Kakaokrise die Hersteller von industrieller Schokolade am härtesten treffen wird, schließlich kalkulieren sie stets mit möglichst niedrigen Einkaufspreisen. Spätestens in einigen Monaten, wenn die Lager leer sind, wird das auch bei den Verbrauchern ankommen.

Kakaobohnen und -butter sind nicht nur rar, sondern auch immer teurer

Kakaobohnen und -butter sind nicht nur rar, sondern auch immer teurer

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL
Alles in Handarbeit: Die Schokolade wird in kleine Tafeln abgefüllt

Alles in Handarbeit: Die Schokolade wird in kleine Tafeln abgefüllt

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL

»Zu Weihnachten werden die Kunden in Europa deutlich mehr für ihre Schokolade zahlen«, vermutet Julia Zotter, Co-Chefin der Schokoladenfirma Zotter in Österreich. Gemeinsam mit ihrem Vater stellt sie seit 25 Jahren Bioschokolade her; viele ihrer Bohnen kommen aus Bundibugyo, aber auch aus Westafrika. Schon jetzt sei vor allem die Kakaobutter knapp und koste ein Fünffaches des üblichen Einkaufspreises.

Trotzdem sieht Zotter diese Entwicklung nicht nur negativ. Zumindest für jene Bauern, deren Ernten noch ergiebig genug waren, bringe sie Vorteile: »Jetzt bekommen sie endlich genug Geld, um in ihre Plantagen zu investieren, um sich an den Klimawandel anzupassen.« Nur so könne die Kakaokrise langfristig gelöst werden.

Denn es gibt Lösungen, doch die kosten Geld: Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen zum Beispiel fördert weltweit Projekte für einen nachhaltigeren Kakaoanbau. Dabei sollen die Plantagen umgebaut, weitere Baum- und Pflanzenarten zwischen dem Kakao gepflanzt werden. Der Schatten dieser anderen Gewächse schützt die Kakaopflanzen vor extremer Witterung, der Boden wird gesünder und damit resistenter. Zwar sind ohne direktes Sonnenlicht die Erträge zunächst niedriger, doch langfristig zahlt sich eine solche Mischkultur aus. Zudem forschen Labore in aller Welt derzeit an neuen, klimaresistenten Kakaosorten.

Aber all diese Maßnahmen brauchen Zeit: Neu gepflanzte Kakaobäume müssen bis zu vier Jahre lang wachsen, um Früchte zu tragen, eine Umgestaltung der Plantagen ist langwierig. Eine schnelle Entspannung ist also nicht in Sicht.

Unternehmerin Julia Zotter rechnet mit acht bis zehn Prozent Preissteigerung für ihre eigene Schokolade in diesem Jahr – verhältnismäßig wenig, weil sie ohnehin schon hochpreisigen Kakao eingekauft hatten. Andere werde es viel härter treffen. »Die Welt der Schokolade wird nicht mehr dieselbe sein, langfristig wird sich ein doppelter Preis einpendeln«, sagt die Unternehmerin. Schon jetzt würden viele Firmen die Zutaten ändern, weniger Kakao und mehr Zucker nutzen, weil das günstiger sei. Auf Kosten der Qualität.

In Bundibugyo herrscht indes Feststimmung, die Bars sind voll, mit jeder Ernte landet mehr Geld auf dem Tisch der Farmer. Trotzdem sitzt Mary Karungi vor ihrem Haus auf einem Plastikstuhl und schaut etwas frustriert drein. »Ich habe kein Wohnzimmer mehr«, schimpft sie. In der ehemaligen Stube riecht es jetzt stechend-süßlich, wie in einem Weinkeller. An den Wänden hängen noch die Familienfotos, doch darunter gären die Kakaobohnen. Costa Byamukama, ihr Mann, fermentiert sie.

Costa Byamukama und seine Frau Mary Karungi legen die Bohnen zum Trocknen aus

Costa Byamukama und seine Frau Mary Karungi legen die Bohnen zum Trocknen aus

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL

Karungi und ihr Mann haben investiert, sie verarbeiten die Bohnen nun selbst weiter, statt sie erntefrisch zu verkaufen. Sie erwerben zusätzlich Kakao von anderen Farmen. Draußen vor dem Haus, auf einer Plane, breiten sie die Bohnen zum Trocknen aus, verscheuchen regelmäßig die Vögel und lassen ihre Schätze niemals aus den Augen. »In Europa beschweren sie sich über hohe Preise. Ich würde sagen: Endlich bekommen wir faire Löhne«, sagt Byamukama. Inzwischen ist er sogar mehrfach nach Europa gereist, zu Messen der Kakaobranche.

Dichter Kakaowald in Bundibugyo

Dichter Kakaowald in Bundibugyo

Foto: Luke Dray / DER SPIEGEL

Nachts schlafe er mit einer Machete bewaffnet auf einer Matratze auf dem Boden, erzählt er, direkt neben der Ware. »Ich habe alle Möbel rausgeräumt und den Kakao hierhergebracht, um ihn vor Dieben zu schützen«, grinst er. Der Sack mit Bohnen, der an der Wand lehnt, sei schließlich mehr als 1000 Euro wert: »Wenn der verschwindet, dann bringe ich mich um.«

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft

Unter dem Titel »Globale Gesellschaft« berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa – über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen in einer eigenen Sektion im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.

Eine ausführliche FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.